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# taz.de -- Fotografien politischer Prozesse: Geistergestalten im hohen Haus
> Angelika Kohlmeier präsentiert im Willy-Brandt-Haus in Berlin
> langzeitbelichtete Fotos von Plenartagungen und Politikertreffen im und
> am Bundestag.
Bild: Angelika Kohlmeier hält ihre Motive mit Lochkameratechnik fest
Licht schafft Räume. Das weiß man spätestens dann, wenn man erstmals mit
Taschenlampen- oder Kerzenlicht in dunkles Ambiente vorgedrungen ist. Der
kleine Lichtkegel, mal stabil bei der Lampe, gespenstisch flackernd beim
brennenden Docht, tastet Wände ab und erschließt so Räumlichkeiten.
[1][Auf Fotopapier] lässt sich das natürlich auch bannen. Die Fotografin
und Fotojournalistin Angelika Kohlmeier griff dafür auf das Uraltmodell der
Lochkamera zurück und ließ in Belichtungszeiten von einigen Minuten bis zu
mehreren Stunden die Umrisse von Bundestag und den benachbarten
Parlamentsgebäuden auf dem analogen Speichermedium erscheinen.
Die Resultate sind eindrucksvoll. Hell hebt sich etwa die eigentlich dunkle
Fassade des Reichstags vor dem düster erscheinenden, weil stärker
belichteten Berliner Himmel ab. Die Wiese davor wirkt dank der Lichtreflexe
wie eine Wasserfläche. Und das nicht ganz kreisrunde Loch der
Lochbildkamera kreiert einen ovalen Ausschnitt, der den Eindruck eines
Auges macht, durch den jetzt der Betrachter blickt. Innenaufnahmen
variieren je nach Belichtungszeit. Manchmal scheint das Mobiliar in einem
weißen Meer fast zu ertrinken, dann wieder zeichnen sich sehr deutliche
Konturen ab.
## Bundesadler in Bewegung
Eine besondere Performance legt der Bundesadler im Plenarsaal hin:
Tiefschwarz hebt er sich von der weißen und hellgrauen Fensterfront ab. Er
scheint sich gar zu bewegen, drängt dem Betrachter entgegen.
Kohlmeier experimentierte auch mit Bewegung bei ihren Langzeitbelichtungen.
Bei Fahrstuhlfahrten krümmt der abgebildete Raum sich, ähnlich der
Vorstellung, die man bei superschnellen Weltraumfahrten in
Science-Fiction-Romanen und -Filmen haben kann.
Mitunter tauchen auch Menschen auf. Als sich im September 2022 die
Parlamentspräsidentinnen und -präsidenten der G7-Staaten mit ihren
Amtskolleginnen und -kollegen aus der Ukraine und dem Europäischen
Parlament zu einer Art Familienfoto treffen, ist Kohlmeier ebenfalls dabei.
Als helle Silhouetten, die meisten verwischt, weil sie eben noch nicht
still standen, heben sie sich vom dunklen Hintergrund ab. Sie wirken wie
Geistererscheinungen.
Kohlmeier gründete 1985 gemeinsam mit ihrem Ehemann Bernd das „studio
kohlmeier“ in Berlin. Anfangs fiel sie mit Fotos bei Ausgrabungskampagnen
des Deutschen Archäologischen Instituts und der Deutschen
Orientgesellschaft im Nahen Osten auf. Nach 1989 hielt sie den
[2][architektonischen Wandel des geeinten Berlins] fest. Seit mehr als 20
Jahren begleitet sie das politische Treiben im Bundestag fotografisch.
Transparenz oder Verzauberung
Sie spezialisierte sich zudem auf Panorama- und 360-Grad-Fotografie. Mit
der althergebrachten Lochkameratechnik will sie jetzt „demokratische
Prozesse transparent machen“, wie es im Begleittext heißt.
Die beabsichtigte Transparenz verwandelt sich allerdings in eine Art
Verzauberung. Räume erscheinen unwirklich, Menschen darin wirken eher wie
Geistergestalten, die man an Ausgrabungsstätten vermuten würde, wenn dort
die Eingänge freigelegt werden und der Staub der Jahrhunderte sich zu
temporären Phänomenen verdichtet.
Dass die Durchleuchtungsabsicht nicht aufgeht, sich vielmehr eine poetische
Schicht über das hohe Haus legt, darf man aber durchaus als Reiz verstehen.
„PhotonenSpur und Paragraphen“ ist ein so eindrucksvoller wie
überraschender Zugang zum politischen Alltag.
22 May 2025
## LINKS
[1] /Fotografie-von-Tata-Ronkholz-in-Koeln/!6083191
[2] /Architektur-der-Moderne-in-Berlin/!6078992
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Fotografie
zeitgenössische Fotografie
Bundestag
Reichstag
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Armenien
zeitgenössische Fotografie
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