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# taz.de -- Bundeskanzler in spe: Friedrich und sein Naziopa
> Als die taz vor Jahren zur Vergangenheit seines Großvaters recherchierte,
> verklagte Friedrich Merz die Zeitung. Wie sieht er seinen Naziopa heute?
Bild: Es wirkt nicht so, als hätte Merz sich nach der taz-Recherche eingehende…
Vor 21 Jahren, im Januar 2004, habe ich mit Kolleginnen und Kollegen bei
der taz zur Nazivergangenheit des Großvaters von Friedrich Merz
recherchiert. [1][Auslöser war eine Rede], in der sich der damalige
Fraktionsvize der Union positiv über seinen Opa mütterlicherseits,
[2][Josef Paul Sauvigny], geäußert hatte. Vor Parteifreunden in seinem
sauerländischen Heimatort Brilon rief Merz dazu auf, das „rote Rathaus“ der
Stadt „zu stürmen“. Zur Begründung verwies er auf seinen Großvater, der
dort einst als Bürgermeister amtiert hatte.
Wir bekamen Hinweise darauf, dass Merz’ Großvater als Bürgermeister von
Brilon ein glühender Hitler-Anhänger war. Ein 20-jähriger
Zivildienstleistender mit SPD-Parteibuch, Dirk Wiese, grub im Stadtarchiv
eine braune Rede Sauvignys aus [3][und meldete sich bei der taz]. Heute ist
Wiese SPD-Bundestagsabgeordneter.
Merz behauptete damals, sein Opa sei kein Nationalsozialist gewesen:
„[4][Nach allem, was ich aus meiner Familie weiß, war mein Großvater eine
beeindruckende Persönlichkeit und ein erfolgreicher Bürgermeister].“
[5][Die taz recherchierte, dass Sauvigny Mitglied der NSDAP und der SA
war.] Der Opa lief ab 1933 von der Deutschen Zentrumspartei zu den Nazis
über.
[6][„Der journalistische Stil der taz ist widerlich“], schrieb Merz damals.
Sauvigny sei „ohne sein Zutun“ zum SA-Unteroffizier befördert und ebenfalls
„ohne eigenes Zutun“ in die NSDAP überführt worden. Merz klagte gegen Tei…
der Berichterstattung. Er bekam nur in einem Punkt recht: Die taz durfte
nicht mehr behaupten, sein Großvater sei sein „größtes Vorbild“ oder
„politisches Vorbild“. Die Recherche beanstandete das Gericht nicht.
## „In Abgründe hineingeraten“
Bis heute ist diese online nachzulesen. [7][Zum Beispiel die Analyse von
Christian Semler], wie Merz die Schutzbehauptungen seines Großvaters aus
dessen Entnazifizierungsverfahren von 1947 unkritisch übernommen hatte.
Merz wurde in der beginnenden Merkel-Ära immer bedeutungsloser. 2009
verließ er den Bundestag. Ein Politikcomeback später ist Friedrich Merz ab
Dienstag voraussichtlich der zehnte Kanzler der Bundesrepublik.
Im Wahlkampf kam Merz’ Umgang mit seinem Naziopa kaum vor. [8][In einem
Podcast von Table Media] wurde die „Causa Paul Sauvigny“ kurz erwähnt.
Weggefährten aus Brilon wurden gefragt, doch keiner wollte sich so richtig
äußern. Einmal sprach Merz über seinen Großvater – und zwar Mitte Januar
[9][im Interviewpodcast der Zeit].
Merz: „[…] Na ja, und diesen Großvater habe ich ja auch noch kennengelernt
– der ist 1967 im Alter von 92 Jahren gestorben, da war ich 13 –, der aber
schon seit 1917 Bürgermeister war, […] als Zentrumspolitiker. Und dann eben
auch in diese Abgründe des Nationalsozialismus hineingeraten ist und 1937
dann aufgehört hat. Ja, aber das hat auch unsere Familie immer wieder
begleitet.“
Man ist halt irgendwie „hineingeraten“, in „Abgründe“. Vokabeln mit ei…
geschichtspolitischen Sound der Entlastung. So richtig wird nicht klar, ob
Friedrich Merz doch schon vor 2004 wusste, dass sein Großvater NSDAP- und
SA-Mitglied war.
## Vor der Bundestagswahl sprach Merz von „Judenfahnen“
Es klingt nicht so, als hätte Merz sich nach der Recherche in der taz
eingehender mit Schuld und Verantwortung seines Vorfahren beschäftigt.
Die Zurückhaltung, wenn es um die Geschichte seines Naziopas geht, steht im
Widerspruch zu Merz’ politischer Rhetorik, in der historische Anspielungen
öfter vorkommen. So bezeichnete er die Ampelparteien als
„Novemberbankrotteure“. Das klingt, in Anspielung auf die
Novemberrevolution, verdächtig nach einem rechten Kampfbegriff der Weimarer
Republik, den „Novemberverbrechern“. Im Januar betonte Merz, den weiteren
Aufstieg der AfD verhindern zu wollen, und machte einen historischen
Vergleich: „Einmal ’33 reicht.“ Wenig später nahm er AfD-Stimmen in Kauf.
[10][In seiner berüchtigten Suada gegen „grüne und linke Spinner“ kurz vor
der Bundestagswahl sprach er von „Judenfahnen“].
Die Frage, ob und welche Lehren Friedrich Merz aus der deutschen Geschichte
gezogen hat, ist angesichts des Umgangs der Union mit der AfD relevanter
denn je. Warum wird dieser Bezug in den deutschen Medien bisher kaum
hergestellt? Die Berichte ausländischer Korrespondenten zur
Nazifamiliengeschichte des CDU-Chefs sind in dieser Frage deutlich
pointierter.
[11][Der Berlinkorrespondent des britischen Telegraph etwa machte sich auf
nach Brilon im Sauerland.] In der Heimatstadt von Merz recherchierte James
Rothwell unter anderem zu einem „dunklen Familiengeheimnis aus den
dreißiger Jahren“. In seinem im Januar erschienenen Artikel zitierte er den
Direktor eines örtlichen Museums für Lokalgeschichte, Carsten Schlömer.
Übersetzt heißt es in dem Artikel:
„[…] Wie in vielen wohlhabenden deutschen Familien gibt es auch hier ein
schwarzes Schaf: Josef Paul Sauvigny, der Großvater mütterlicherseits von
Herrn Merz, war in den frühen Jahren des Dritten Reichs Bürgermeister von
Brilon und Mitglied der NSDAP. Aus lokalen Archivunterlagen, die dem
Telegraph vorliegen, geht hervor, dass Herr Sauvigny in einem
Stadtrundschreiben für seinen ‚nationalsozialistischen Geist‘ gelobt wurde,
als er 1937 als Bürgermeister zurücktrat. Während seiner Amtszeit wurden
zwei Straßen in Brilon in ‚Adolf-Hitler-Straße‘ und ‚Hermann-Göring-St…
umbenannt.
## Was sollen die Deutschen aus den Naziverbrechen lernen?
Darüber hinaus gibt es in Brilon offenbar nur wenige Aufzeichnungen über
seine Beteiligung am Dritten Reich. Einer Akte aus dem Briloner Archiv
zufolge ist nicht einmal klar, wann genau er der NSDAP beitrat. Herr
Schlömer, der sonst vor Stolz auf seine Museumsausstellungen strotzt,
wirkt etwas verlegen, wenn er nach der NS-Vergangenheit von Herrn Merz’
Großvater gefragt wird. […]“
[12][Bereits im Juli 2023 berichtete die US-amerikanische
Nachrichtenagentur AP] über Merz und Sauvigny. Der damalige
AP-Korrespondent Frank Jordans stellte Bezüge her zwischen der politischen
Vergangenheit des Opas und der politischen Strategie des Enkels:
„[…] Merz reagierte gereizt auf die Frage, ob die deutschen Konservativen
aus der Vergangenheit gelernt hätten, etwa aus dem Verhalten seines
Großvaters, der als Bürgermeister der westfälischen Stadt Brilon nach der
Machtergreifung Adolf Hitlers 1933 mit den Nazis kooperierte. Solche
Vergleiche seien unangebracht, sagte der 67-Jährige. […]“
Der Historiker Götz Aly beschreibt in seinem Buch „Unser
Nationalsozialismus“ von 2023 das „weit verbreitete Bedürfnis nach
maximaler Distanz“. Aber die Taten zwischen 1933 und 1945 hätten „keine
Außerirdischen“ verbrochen, „die Nationalsozialisten“ oder „die
Rassenideologen“, sondern „normale Menschen aus allen Schichten der
deutschen Bevölkerung“. Die „allermeisten heutigen Deutschen möchten aus
den Verbrechen ihrer hitlerdeutschen Vorfahren lernen. Aber was?“
In seiner taz-Analyse von 2004 schrieb der verstorbene Christian Semler,
Merz interpretiere die politischen Motive seines Großvaters in genau der
gleichen Weise, wie Sauvigny selbst sich gerechtfertigt habe: „Die Frage
ist jedoch, ob Merz mit seinen apologetischen Erklärungen für das Handeln
seines Großvaters nicht an einem politischen Klima mitwirkt, das
Opportunismus und Anpassertum an den Nazismus als Tugend preist und damit
der politischen Kultur unseres Landes schadet“, schrieb Semler. „Im Kern
argumentiert Merz: Mein Großvater war und blieb Antinazi, aber politisch
konnte er leider nicht anders.“
## Ein rechtskonservativer Golfkumpel als Kulturstaatsminister
Von einem Politiker, der Bundeskanzler sein will, kann eine kritische
Öffentlichkeit mehr, Genaueres und auch Persönlicheres erwarten als die
auch von Merz vorgetragenen Bekenntnisse zum Kampf gegen Rechtsextremismus
und Antisemitismus.
Zwei Tage nach der Bundeskanzlerwahl wird Merz sich wohl auch zum 80.
Jahrestag des Kriegsendes äußern. Es wäre eine Gelegenheit, über Lektionen
aus der eigenen Familiengeschichte zu reflektieren. 40 Jahre nach der
[13][Weizsäcker-Rede von 1985] wäre es ein Signal eines Kanzlers Merz, wenn
er am 8. Mai über die Rolle seines Großvaters im NS-Staat sprechen würde –
und damit über die Frage, wie ein Land mit vielen Millionen
Nazivergangenheiten erinnern und daraus lernen kann.
Hoffentlich lässt Merz sich bei seiner Rede nicht von seinem designierten
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer beraten. Weimer schrieb 2018 in seinem
„Konservativen Manifest“ vom „monströsen Abgrund des Nationalsozialismus…
Weimer beklagt, in Deutschland sei „Herkunftsbewusstein“ nach 1945
„bekämpft und systematisch zerstört“ worden, als hätte es „die Welt vor
1933“ nie gegeben. Kapitel wie „Nation ehren“ lesen sich stellenweise
anschlussfähig zu AfD-Mitgründer Alexander Gauland, für den Hitler und
die Nazis ein „Vogelschiss in über 1.000 Jahren erfolgreicher deutscher
Geschichte“ waren. Friedrich Merz’ Golfkumpel wird im Kabinett auch für die
NS-Gedenkstätten verantwortlich sein.
Der Großvater von Friedrich Merz vollzog in den 1930er Jahren einen
„flotten Farbenwechsel“, wie Semler schrieb, vom politischen Katholizismus
zum Nazitum. Es bleibt abzuwarten, welche Wechsel sein Enkel noch
durchzieht. Dass politischer Opportunismus von ihm zu erwarten ist, zeigten
der Umgang mit der AfD vor und die Abwendung von der Schuldenbremse nach
der Bundestagswahl.
Vielleicht bekommt Friedrich Merz von Maischberger, Lanz oder Illner
irgendwann doch noch die Frage gestellt: Herr Merz, niemand kann etwas für
seinen Naziopa – aber was haben Sie seit 2004 aus der Geschichte Ihres
Großvaters gelernt?
Auf Anfrage der taz wollte sich Friedrich Merz nicht äußern.
5 May 2025
## LINKS
[1] /Merz-bejubelt-rechten-Grossvater/!806584/
[2] https://www.stadtarchiv-brilon.de/fileadmin/redakteur-dateien/archiv/dateie…
[3] /Alles-mitgemacht/!804032/
[4] /!803361/
[5] /Merz-Grossvater-SA--und-NSDAP-Mitglied/!803355/
[6] /Merz-Grossvater-SA--und-NSDAP-Mitglied/!803355/
[7] /Falsches-Verstaendnis/!802596/
[8] https://table.media/podcast/table-today/friedrich-merz-aufstieg-eines-unbeq…
[9] https://www.zeit.de/politik/2025-01/friedrich-merz-interviewpodcast-alles-g…
[10] /Totalausfall-von-Friedrich-Merz/!6071285
[11] https://www.telegraph.co.uk/politics/2025/01/26/late-afd-surge-threatening…
[12] https://apnews.com/article/germany-conservatives-cdu-merz-migrants-b049e24…
[13] /Richard-von-Weizsaeckers-Rede-zum-8-Mai/!5682814
## AUTOREN
Martin Teigeler
## TAGS
8. Mai 1945
Friedrich Merz
Schwerpunkt Tag der Befreiung
Schwerpunkt Nationalsozialismus
GNS
Merz und sein Naziopa
Kolumne Materie
Merz und sein Naziopa
Täter
SPD
Koalitionsvertrag
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwerpunkt Flucht
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