| # taz.de -- Zivilgesellschaftliche Förderung bedroht: Die gekürzte Demokratie | |
| > Mobile Beratung gegen rechts oder psychosoziale Hilfe für Geflüchtete | |
| > sind bedroht. Ein Blick auf den Rückzug des Staates aus dem | |
| > Demokratieschutz. | |
| Bild: Eindrucksvolles Zeichen der Zivilgesellschaft gegen Rechtsradikalismus un… | |
| Der Aufstieg der [1][extremen Rechten] scheint unaufhaltsam. [2][Erstmals | |
| lag die AfD] in einer Sonntagsfrage auf dem ersten Platz. Politisch scheint | |
| der Kampf gegen den Rechtsextremismus in einer Sackgasse zu stecken, rechte | |
| Politik wird kopiert, wo es nur geht, während die blauen Balken wachsen. | |
| Viele [3][zivilgesellschaftliche Initiativen], die Demokratieschutz | |
| betreiben, fürchten um ihre Existenz. | |
| In vielen Bundesländern und Kommunen drohen Haushaltskürzungen, die die | |
| Zivilgesellschaft massiv unter Druck setzen. In Sachsen fehlen der | |
| schwarz-roten Minderheitsregierung, die gerade um den Doppelhaushalt | |
| 2025/26 ringt, wegen gestiegener Kosten 4,3 Milliarden Euro, die die | |
| Ministerien einsparen müssen. Der Entwurf des Sozialministeriums sieht | |
| unter anderem bei Demokratieprojekten Einsparungen vor. | |
| In NRW sollen nach Protesten gegen Sozialkürzungen nun rund 40 Millionen | |
| Euro eingespart werden. Die Förderung der Zivilgesellschaft durch | |
| Bundesmittel ist ebenfalls keine sichere Bank. Nach dem Aus der Ampel im | |
| November war der Bundeshaushalt für 2025 geplatzt. | |
| Zwar werden vielen Projekten nun Mittel durch die vorläufige | |
| Haushaltsführung zugesichert. Wie es mit Schwarz-Rot weitergeht, ist aber | |
| unklar. Im Koalitionsvertrag heißt es, man wolle das Programm „Demokratie | |
| leben!“, durch das das Bundesfamilienministerium Hunderte Projekte fördert, | |
| fortsetzen. | |
| Andrea Walter, die an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung | |
| NRW zu zivilgesellschaftlichem Engagement forscht, sagt: „Die Lage ist sehr | |
| angespannt. Die Kürzungsszenarien, die zivilgesellschaftlichen | |
| Organisationen auf Bundes- und Landesebene drohen, haben eine erschreckende | |
| Dimension.“ | |
| Dass das nicht nur für die Projekte selbst weitreichende Folgen haben | |
| könnte, weiß Michael Nattke, Geschäftsführer vom Kulturbüro Sachsen e. V. | |
| Der Verein gehört zu den wenigen mobilen Beratungsstellen in Sachsen, die | |
| im ganzen Bundesland aktiv sind, um Menschen beim Kampf gegen | |
| Rechtsextremismus zu unterstützen. Dafür nehmen fünf Teams aus | |
| Soziologinnen, Jurist:innen, und Historiker:innen weite Wege auf sich, | |
| fahren auch in entlegene Dörfer im Bundesland. | |
| ## Auf Unterstützung von außen angewiesen | |
| Die Beratungsanfragen seien vielfältig, berichtet Nattke. „Das reicht vom | |
| Verwaltungsmitarbeiter, der verhindern will, dass Rechtsextreme eine | |
| Immobilie im Ort kaufen, über den Kirchenvorstand, der nicht weiß, wie er | |
| mit einem AfD-Mitglied in den eigenen Reihen umgehen soll, bis zu | |
| Schüler:innen, die Rassismuserfahrungen machen.“ | |
| Vielerorts seien die Akteure auf Unterstützung von außen angewiesen. „Die | |
| wenigen, die sich im ländlichen Raum in Sachsen gegen die Normalisierung | |
| von Rechtsextremismus wehren, werden dem permanenten Druck ohne | |
| Unterstützung nicht standhalten können.“ | |
| Laut aktuellem Haushaltsentwurf von Schwarz-Rot in Sachsen müssten sie das | |
| in Zukunft wohl aber. Dem Kulturbüro Sachsen e.V. würde ein Drittel der | |
| staatlichen Fördermittel wegbrechen. Nicht nur ihm. Etlichen Trägern, wie | |
| dem „Netzwerk Tolerantes Sachsen“, einem Zusammenschluss von 150 | |
| Initiativen, drohen massive Einsparungen. | |
| Nattke sagt: „Die Konsequenz könnte sein, dass wir ein Drittel von Sachsen | |
| aufgeben müssen.“ In drei von zehn Orten gäbe es keine Unterstützung mehr | |
| für Menschen, die rechtsextreme Strukturen zurückdrängen wollen. Dabei | |
| fehle schon jetzt die Kapazität, um den rund 200 jährlichen Anfragen an den | |
| Verein gerecht zu werden. | |
| Die Kürzung von Fördermitteln trifft häufig da, wo es für Betroffene | |
| besonders weh tut. Rund ein Drittel der Menschen mit Fluchterfahrung | |
| brauchen laut bundesweiter Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren | |
| für Flüchtlinge und Folteropfer (BAFF e. V.) psychologische Unterstützung. | |
| Doch nur rund vier Prozent bekommen eine. Diese angespannte Lage droht | |
| durch Kürzungen zu eskalieren: Einsparungen auf Bundes- und Landesebene, | |
| sowie von Mitteln aus dem Europäischen Asyl-, Migrations- und | |
| Integrationsfond bringen die Zentren an ihre Grenze. | |
| Im Koalitionsvertrag schreibt Schwarz-Rot lediglich, dass man die | |
| psychosozialen Zentren weiterhin unterstützen wolle. In den | |
| Koalitionsgesprächen war der Punkt ein Streitthema: Während die | |
| Sozialdemokraten für einen Ausbau von Förderung geworben hatten, lehnte die | |
| Union das ab. | |
| Dabei sind die psychosozialen Zentren kein Luxusprojekt: „Vielerorts sind | |
| sie die einzige Möglichkeit, psychologische Unterstützung für Geflüchtete | |
| zu gewährleisten.“, sagt BAFF-Geschäftsleiter Lukas Welz. Erfolge keine | |
| zeitnahe Versorgung in den psychosozialen Zentren, könne das in vielen | |
| Fällen zur Chronifizierung oder Verschlechterung psychischer Erkrankungen | |
| führen. „Dann müssten mehr Menschen stationär behandelt werden und das | |
| bedeutet neben vermeidbarem menschlichem Leid auch, dass die Behandlung | |
| deutlich teurer wird.“ | |
| ## Längerfristige Förderzeiträume gefordert | |
| Auf Landesebene wird deutlich, welche Folgen das haben kann. In Aachen | |
| musste ein Zentrum schließen. Auch in Sachsen bewegt man sich offenbar an | |
| der Kapazitätsgrenze, weil die Finanzierung für die nächsten Monate nicht | |
| sicher ist. „Kolleg:innen aus Sachsen berichten von verzweifelten Menschen, | |
| die weinen, die sich übergeben müssen, die sich in akuten psychischen | |
| Krisen befinden, aber weggeschickt werden müssen, weil es keine Kapazitäten | |
| gibt.“ | |
| Psychosoziale Zentren würden einen wichtigen Beitrag zur offenen und | |
| demokratischen Gesellschaft leisten, meint Welz. „Das scheint vielen | |
| politischen Verantwortungsträgern egal zu sein.“ | |
| Zivilgesellschaftsforscherin Walter sagt: „Wenn Strukturen, die mühsam und | |
| über Jahre aufgebaut wurden, einmal weg sind, kommen sie nicht einfach so | |
| wieder.“ Deshalb sei es wichtig, über längerfristige Förderzeiträume zu | |
| sprechen. So kämpfen viele Initiativen und Projekte mit finanzieller | |
| Unsicherheit, auch wenn keine akuten Kürzungen bevorstehen. Förderzeiträume | |
| sind oft auf eine Legislaturperiode begrenzt. | |
| Ein Verein in Köln weiß davon zu berichten. Beim Shahrzad e. V, kommen | |
| gehörlose und schwerhörige Menschen mit Migrationsgeschichte zusammen. | |
| Einmal wöchentlich diskutieren sie aktuelle Nachrichten. Es geht um Fake | |
| News, um Israel und die Schuldenbremse. Außerdem werden die Menschen zu | |
| Terminen bei Behörden und zum Arzt begleitet und bei der Arbeitssuche | |
| unterstützt. | |
| Mitarbeiter Martin Grebenstein sagt: „Fast alle Strukturen in Deutschland | |
| sind schlecht aufgestellt, was Intersektionalität betrifft. Geflüchtete | |
| Menschen mit Behinderung fallen immer wieder aus dem Raster.“ Die | |
| Nachrichtentreffen seien ein wichtiger Ort für die Menschen, die besonders | |
| von Isolation und Diskriminierung betroffen seien. | |
| Bisher wird das Projekt durch Gelder vom Bund gefördert, das Programm läuft | |
| im Herbst aus. Zudem ist Shahrzad e. V. vom Ende der Förderung durch das | |
| Programm „Komm-An“ in Nordrhein-Westfalen betroffen, das die | |
| Landesregierung Ende des Jahres hatte auslaufen lassen. Wie es nach dem | |
| Herbst weitergeht, sei unklar, meint Grebenstein. „Für die Community | |
| gehörloser geflüchteter Menschen in der Region wäre das Ende dieses | |
| Projekts ein krasser Einschnitt.“ | |
| Der Verlust von sozialen Netzwerken treffe gehörlose Geflüchtete besonders | |
| hart. Zudem werde die politische Teilhabe reduziert, wenn keine staatliche | |
| Förderung mehr existiere. „Die finanzielle Sicherheit und den politischen | |
| Rückhalt, den wir uns wünschen würden, gibt es nicht“, so Grebenstein. | |
| Ohne langfristige und sichere Förderung sei es schwierig, stabile | |
| Strukturen aufzubauen. So würden private Spenden auf Dauer wichtiger. Auch, | |
| um sich unabhängiger von politischen Mehrheiten zu machen. | |
| „Gesellschaftliche Verantwortung sollte auch von Unternehmen und privaten | |
| Spender:innen übernommen werden“, meint Andrea Walter von der Hochschule | |
| für Öffentliches Recht und Polizei NRW. „Davon haben die Unternehmen ja | |
| auch selbst etwas: Wer zum Demokratieschutz in der Region beiträgt, macht | |
| sich für Arbeitnehmer attraktiver.“ Staatliche Förderung könne so trotzdem | |
| nicht ersetzt werden. | |
| ## Massiv unter Druck | |
| Nicht nur finanziell stehen zivilgesellschaftliche Akteure massiv unter | |
| Druck. Die Diskussion um staatliche Förderung von Vereinen für | |
| Demokratieschutz ist zum Kulturkampf geworden. Von ganz rechts werden | |
| Initiativen seit Jahren angefeindet und bedroht. | |
| Eine Strategie der AfD ist, Vereine, die Kritik an der Partei üben, beim | |
| Finanzamt anzuzeigen, um für die Aberkennung ihres Gemeinnützigkeitsstatus | |
| zu sorgen. Dadurch verlieren Vereine Steuervorteile. Dass das zum Teil | |
| funktioniert, liegt am veralteten Gemeinnützigkeitsrecht: Vereine müssen | |
| bestimmte Kriterien erfüllen, um als gemeinnützig zu gelten. | |
| Positionieren sie sich aus Sicht des Finanzamts zu politisch, kann eine | |
| Aberkennung folgen. Im Koalitionsvertrag kündigen SPD und Union eine Reform | |
| des Gesetzes an. Ob die kommen wird, steht in den Sternen – schon die | |
| Ampelregierung hatte eine solche versprochen. | |
| Die Angriffe auf die Zivilgesellschaft kommen nicht nur von rechtsaußen. Im | |
| letzten Bundestag blockierte die FDP das Demokratiefördergesetz, das für | |
| eine stabilere Finanzierung von Projekten sorgen sollte. Die Liberalen | |
| argumentierten, dass ein solches besonders linke identitätspolitische | |
| Projekte unterstützen würde. | |
| Auch die Union beteiligte sich am Kulturkampf, als sie kurz nach der | |
| Bundestagswahl eine kleine Anfrage an die Bundesregierung stellte, in der | |
| sie die politische Neutralität von Organisationen infrage stellte, die zum | |
| Teil zu Demos gegen eine Zusammenarbeit von Union und AfD aufgerufen | |
| hatten. | |
| Expertin Walter meint: „Wir können eine Verschiebung im Diskurs beobachten. | |
| Die Wertschätzung für zivilgesellschaftliches Engagement fehlt.“ Mit der | |
| kleinen Anfrage habe die Union suggeriert, dass die Zivilgesellschaft Geld | |
| bekomme, ohne eine Gegenleistung zu erbringen. „Dadurch wurde das Vertrauen | |
| der zivilgesellschaftlichen Akteure aufs Spiel gesetzt. Das muss jetzt | |
| zurückgewonnen werden.“ | |
| Zivilgesellschaft ist aber kein Selbstläufer. „Wir müssen verstärkt in | |
| diese Strukturen investieren.“ Ansonsten sei denkbar, dass sich immer mehr | |
| frustriert zurückziehen würden. | |
| 14 Apr 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Rechtsextreme-Jugendszene/!6076353 | |
| [2] /Wahlergebnis-der-AfD/!6070939 | |
| [3] /Demokratiefoerderung-im-Koalitionsvertrag/!6077911 | |
| ## AUTOREN | |
| Joscha Frahm | |
| ## TAGS | |
| Zivilgesellschaft | |
| Demokratieprojekte | |
| Förderung | |
| Schwerpunkt Demos gegen rechts | |
| GNS | |
| Koalitionsvertrag | |
| Karin Prien | |
| Sachsen | |
| Regierungsbildung | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Innensenatorin Iris Spranger | |
| Koalitionsvertrag | |
| Charkow | |
| Schwerpunkt Demos gegen rechts | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Bildungsministerin will NGOs prüfen: Karin Prien wegen Extremismus-Aussagen in… | |
| Die Bundesbildungsministerin will „Demokratie leben“ überprüfen. | |
| SPD-Abgeordnete sprechen von einem „frontalen Angriff“ auf die | |
| Zivilgesellschaft. | |
| Rechtsruck in Sachsen: Linker Verein raus, Neonazis rein | |
| Der Verein Colorido sollte in Plauen den Bahnhof beleben. Das klappte, | |
| trotzdem schmeißt die Bahn ihn raus. Jetzt treffen sich Rechte dort. | |
| Kulturstaatsminister Wolfram Weimer: Kulturkampf statt Kulturpolitik | |
| Der Publizist Wolfram Weimer soll Kulturstaatsminister werden. Er irritiert | |
| mit identitären Positionen. Mit Interesse für Kulturpolitik fiel er dagegen | |
| nicht auf. | |
| Dachdeckerfirma inseriert in Amtsblatt: Anzeige drin, Strafanzeige raus | |
| Eine Dachdeckerfirma schaltet im Amtsblatt der sächsischen Stadt Sebnitz | |
| eine rassistische Anzeige. Die Stadt reagiert, steht aber selbst in der | |
| Kritik. | |
| Abschaffung von legalen Fluchtrouten: In Richtung Abschottung | |
| Die Finanzverwaltung blockiert die Aufnahmeregelung für Flüchtlinge mit | |
| Verwandten in Berlin – de facto das Ende des letzten | |
| Landesaufnahmeprogrammes. | |
| Demokratieförderung im Koalitionsvertrag: Zivilgesellschaft bleibt misstrauisch | |
| Immerhin: Das Förderprogramm „Demokratie leben“ bleibt. Doch es gibt auch | |
| Leerstellen im Koalitionsvertrag, vor allem beim Kampf gegen | |
| Rechtsextremismus. | |
| Umweltschutz in Ukraine: Wie sich die Zivilgesellschaft für einen Wald einsetzt | |
| In Charkiw in der Ostukraine leisten Bewohner:innen Widerstand gegen | |
| eine Kiesgrube. Sie wollen ihr Land ökologisch wieder aufbauen. | |
| 551 Fragen im Bundestag: Große Kleine Anfrage | |
| Die Union legt sich mit der demokratischen Zivilgesellschaft an. Die Omas | |
| gegen Rechts und andere Vereine sind entsetzt. |