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# taz.de -- Strack-Zimmermann zur politischen Lage: „Das ist eine komplett ne…
> Die FDP-Europapolitikerin begrüßt Gespräche über eine Waffenruhe in der
> Ukraine. Das entbinde die EU jedoch nicht von mehr
> Verteidigungsinvestitionen.
Bild: „Wir werden Prioritäten setzen müssen, das wird unbequem.“ Marie-Ag…
taz: Frau Strack-Zimmermann, was folgt aus dem Eklat im Oval Office für
Deutschland?
Strack-Zimmermann: Was wir da serviert bekamen, ist eine inszenierte
Geschichte: Offensichtlich hat Donald Trump Wolodymyr Selenskyj eingeladen,
[1][um ihn vor den Augen der Weltöffentlichkeit bloßzustellen.] Das ist ein
unfassbarer Vorgang. Wir brauchen in Deutschland sehr schnell eine
Bundesregierung und einen aktualisierten Haushalt. Umso befremdlicher ist,
dass Olaf Scholz nach Großbritannien gereist ist und Friedrich Merz nicht
mitgenommen hat. Es ist unklug, den möglichen künftigen Kanzler in so einem
entscheidenden Augenblick nicht mit einzubinden.
taz: Steht die FDP angesichts dieser Lage dazu bereit, mit der alten
Bundestagsmehrheit Ausnahmen von der Schuldenbremse oder ein neues
Sondervermögen zu verhandeln?
Strack-Zimmermann: Das wird die noch existierende FDP-Bundestagsfraktion
entscheiden müssen. Innerhalb einer Interimszeit eine so hohe Summe auf den
Weg zu bringen, halte ich demokratietheoretisch für einen schwierigen
Vorgang – auch wenn das Geld dringend erforderlich ist. Zudem hat Friedrich
Merz keinen Plan vorgelegt: Es geht ja nicht nur um ein weiteres
Sondervermögen. Es geht darum, den Haushalt im Verteidigungsbereich sofort
deutlich anzuheben und auch umzuschichten.
taz: Wie blicken Sie auf die Verhandlungen in England über [2][einen
möglichen europäischen Waffenruhe-Plan?]
Strack-Zimmermann: Wenn man einen Plan für eine Waffenruhe aufsetzt, ist
das grundsätzlich gut. Jeder Versuch, etwas hinzubekommen, womit die
Ukraine dem Frieden und ihrer Sicherheit näher kommt, ist wichtig. Am Ende
muss die Ukraine darüber entscheiden, was möglich ist, womit sie leben kann
und womit nicht. Denn eine Waffenruhe besagt noch keinen gerechten Frieden.
Wir dürfen auch nicht vergessen: Derzeit ist es Russland, das kein
Interesse an einem Frieden hat, im Gegenteil. Moskau möchte die ganze
Ukraine vernichten und kann vor Freude kaum an sich halten, welche
Verbündeten es plötzlich hat.
taz: Trumps Beauftragter für die Ukraine, Keith Kellogg, sagte auf der
Münchner Sicherheitskonferenz wörtlich: „ ‚Whatever it takes‘ ist keine
Ukrainestrategie sondern ein Autoaufkleber.“ Was halten Sie davon?
Strack-Zimmermann: Ich bin eine Transatlantikerin. Bei aller Kritik an der
US-Politik hatten wir bisher einen gemeinsamen Wertekonsens. Wir sind
Freunde, das, was aktuell passiert, ist für mich offen gestanden
unvorstellbar. Das ist eine komplett neue Weltordnung, die wir gerade
erleben. Das muss man jetzt akzeptieren und europäisch vorangehen.
taz: Sie sind Europapolitikerin. Was halten Sie von gemeinsamen
europäischen Schulden, um den Mitgliedstaaten höhere Verteidigungsausgaben
zu ermöglichen?
Strack-Zimmermann: Ich glaube nicht, dass es dafür eine Mehrheit gibt. Es
gibt Staaten, die das wollen. Andere lehnen es strikt ab.
taz: Wie bewerten Sie das?
Strack-Zimmermann: Ich halte das auch für problematisch.
Verteidigungspolitik ist in Europa nationale Sache. Das heißt, jedes Land
muss für sich klären, welche Mittel bereitgestellt werden müssen.
taz: Sie sagen aber auch, dass es angesichts der Volten von Trump wichtig
wäre, dass Europa sich strategisch unabhängig von den USA macht. Eine
solide Finanzierung wäre hierfür doch essenziell.
Strack-Zimmermann: Die gemeinsame Finanzierung ist ein großes Thema. Ich
will da auch gar nicht ausweichen. Die Frage wird letztendlich sein: Haben
die Nationen genug Vertrauen in Europa? Da gibt es ja ein Misstrauen auch
in Deutschland nach dem Motto: Oh Gott, wenn die Kohle erst mal in Brüssel
ist, dann ist sie weg. Ich glaube, da muss man ansetzen und dieses Thema
mit Deutlichkeit diskutieren. Das muss auch der nächste Bundeskanzler
wissen.
taz: Das klingt nicht nach einem Nein zu Gemeinschaftsschulden.
Strack-Zimmermann: Ich verstehe, dass Sie eine klare Antwort wollen. Aber
das bestätige ich Ihnen jetzt ausdrücklich nicht. Wenn man nicht vorher
einen Plan hat, was man mit dem Geld machen will, brauchen wir über
Schulden gar nicht zu sprechen.
taz: [3][US-Präsident Donald Trump könnte mit seinem Verhalten in der
Verteidigungspolitik die Schuldenbremse in Deutschland trotzdem schneller
zu Makulatur werden lassen, als man gedacht hätte.]
Strack-Zimmermann: Es ist spannend zu sehen, wie Friedrich Merz seine
Versprechen bricht, bereits bevor er zum Bundeskanzler gewählt ist. Innere
wie äußere Sicherheit können Sie nicht dauerhaft auf Schuldenbasis
aufbauen. Wir werden den Verteidigungshaushalt verdoppeln müssen, und um
die Aufgaben stemmen zu können, müssen Sie den Haushalt anders aufstellen.
taz: Und wie sollen diese Investitionen Ihrer Meinung nach gelingen ohne
neue Schulden?
Strack-Zimmermann: Wir werden Prioritäten setzen müssen. Das wird unbequem,
aber wir haben einen Riesenhaushalt mit einem Volumen von 500 Milliarden
Euro.
taz: Sie sagen, wir müssen doppelt so viel in Verteidigung investieren wie
bislang. Inklusive Sondervermögen wären wir dann bei etwa 150 Milliarden
Euro im Jahr.
Strack-Zimmermann: Das Sondervermögen würde ich gerne mal rausnehmen. Rein
rechnerisch müssen wir letztlich auf 100 Milliarden kommen.
taz: Also etwa ein Fünftel des Haushalts allein für Militärausgaben?
Strack-Zimmermann: Für die Sicherheit. Damit hier kein Missverständnis
entsteht, wir reden nicht nur über Panzer und Raketenabwehr, sondern auch
über den kompletten hybriden und Cyberabwehr-Bereich.
taz: War es im Nachhinein ein Fehler, dass die FDP die Koalition
ausgerechnet wegen der Schuldenbremse hat platzen lassen?
Strack-Zimmermann: Der richtige Augenblick wäre gewesen, [4][als das
Bundesverfassungsgericht im November 2023 einen Teil der Haushaltsplanung
für nichtig erklärt hat.] Da hätte man sagen müssen: So, lieber
Bundeskanzler, wir brauchen einen neuen Haushalt, oder wir gehen in eine
Neuwahl.
taz: Woran hat es gelegen, dass die FDP jetzt den Einzug in den Bundestag
verpasst hat?
Strack-Zimmermann: Wir haben offensichtlich ein strukturelles Problem. Vor
zwölf Jahren sind wir nach einer Regierung mit der Union aus dem Bundestag
ausgeschieden. Jetzt sind wir nach einer Koalition aus SPD und Grünen nicht
wieder reingekommen. Es greift also zu kurz, wenn man sagt, unser
Misserfolg lag nur an der Ampel.
taz: Würden Sie sagen, die FDP muss künftig [5][mehr Bürgerrechte im Sinne
von Gerhart Baum] wagen? Oder mehr Disruption im Sinne Elon Musks?
Strack-Zimmermann: Musk halte ich für ein schlechtes Beispiel. Aber wir
müssen trotzdem mehr wagen – nicht nur die FDP, sondern dieses ganze Land,
das ja völlig erstarrt ist in der Bürokratie. Dass Musk technisch innovativ
ist, kann man ihm nicht absprechen. Seine charakterlichen Eigenschaften
sollen damit nicht gemeint sein.
taz: Musk wurde von Ihrem amtierenden Parteivorsitzenden als Beispiel für
einen disruptiven Impuls genannt. [6][Und er stellt sich aktiv in den
Dienst der AfD.]
Strack-Zimmermann: Christian Lindner hat den Namen genannt, bevor Musk
völlig frei drehte und sich mit Alice Weidel traf und sich in den Wahlkampf
einschaltete. Um es deutlich zu sagen: Musk ist kein Vorbild. Der Mann ist
nicht liberal, er ist autoritär und toxisch. Ich verwahre mich dagegen,
dass dieses Denken mit uns in Zusammenhang gebracht wird.
[7][taz: Trauern Sie Christian Lindner als Parteivorsitzendem hinterher?]
Strack-Zimmermann: Ich gehöre jedenfalls nicht zu denen, die nach einer
verlorenen Wahl, die wir gemeinsam zu verantworten haben, dem
Parteivorsitzenden Vorwürfe machen. Er hat uns zweimal hintereinander
zweistellig in den Bundestag geführt. Jetzt ist es anders gekommen. Ich
finde es bemerkenswert, dass er in dem Moment sagt: Ich trete zurück. Diese
Verantwortung wünsche ich mir von anderen auch. Abgesehen davon bin ich
Christian Lindner zutiefst dankbar. Er hat mich auf die bundespolitische
Bühne geholt. Ohne ihn wäre ich nicht in den Bundestag gekommen. Und daran
anschließend nicht in das EU Parlament.
taz: Stünden Sie bereit, dieses Erbe weiterzuführen und für den
Parteivorsitz zu kandidieren?
Strack-Zimmermann: Jetzt kandidiert hier gar keiner. Wir arbeiten erst das
Wahlergebnis auf. Ich glaube, dass wir dafür ein Team brauchen. Das wird
keine One-Man- oder One-Woman-Nummer.
taz: Also eine Doppelspitze?
Strack-Zimmermann: Von unserem Statut her geht das nicht, und es würde
wegen der Fristen schwierig, das bis zum Parteitag im Mai noch zu ändern.
Wir haben aber in Landesverbänden bereits Doppelspitzen, die gut laufen.
Ich persönlich finde das gut. Wenn die Mehrheit der Partei aber sagt, da
soll nur einer auf dem Haufen sitzen und krähen, ist das auch okay. Ich bin
da schmerzlos.
taz: Gibt es denn jemand, der den Parteivorsitz ähnlich gut oder besser als
Sie übernehmen könnte?
Strack-Zimmermann: Ja, klar. Es gibt immer Leute, die besser sind, vor
allem auch jünger sind als ich. Schauen Sie: Ich gehöre zu einer
Generation, die auf die Herausforderungen der letzten Jahre nicht die
Antworten gefunden hat, die für junge Leute relevant sind. Das muss man
einfach mal zur Kenntnis nehmen. Die 40-Jährigen, deren Leben mit großer
Wahrscheinlichkeit noch länger vor ihnen liegt als meines, müssen in
Verantwortung gehen. Und da haben wir gute Frauen und gute Männer. Die sind
jetzt aufgerufen, sich einzubringen. Ich finde, dass die Zukunft der
Liberalen in junge Hände gehört.
2 Mar 2025
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## AUTOREN
Cem-Odos Güler
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