# taz.de -- Europa nach dem Bruch mit Trump: „Koalition der Willigen“ für … | |
> Einen Tag nach dem Eklat in Washington ist der ukrainische Präsident in | |
> London eingetroffen. Am Sonntag kommen die europäischen Staatschefs | |
> hinzu. | |
Bild: Andere Körpersprache, anderer Inhalt als in Washington: Selenskyji bei K… | |
London taz | Keine 24 Stunden waren seit dem [1][Eklat im Weißen Haus] | |
vergangen, da saß der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wieder auf | |
einem Sessel, diesmal im ungewöhnlich sonnigen London [2][mit dem | |
britischen Premierminister Keir Starmer]. Starmer erklärte in seinem | |
Amtssitz in 10 Downing Street dem frisch aus den USA eingeflogenen | |
Selenskyj, dass das Vereinigte Königreich nicht nur hinter seinem Land | |
stehe, solange es nötig sei, sondern der Ukraine auch zu ihrer Verteidigung | |
ein neues Darlehen von umgerechnet 2,74 Milliarden Euro gewähre, das aus | |
eingefrorenen russischen Guthaben bedient werden soll. | |
Und wieder wurde die Ehrenkarte gezückt: Hatte Starmer bei seinem Besuch | |
bei Donald Trump am Donnerstag vergangene Woche bereits dem US-Präsidenten | |
mit einer Einladung zu einem zweiten Staatsbesuch mit Visite bei Ihrer | |
Majestät König Charles III geschmeichelt, so wurde jetzt auch Selenskyj | |
beim König empfangen – und hat damit Donald Trump überholt. Eine kleine, | |
aber deutliche Geste. | |
Denn dem Premierminister Großbritanniens ist aufgrund der Unabhängigkeit | |
des Landes außerhalb der EU eine Vermittlerrolle zugefallen, die sich nun | |
auch in der Beziehung zur Ukraine erweitert hat. Als einziger | |
Regierungschef hat er Trump und Selenskyj innerhalb von drei Tagen beide | |
persönlich getroffen. Auf die Demütigung des ukrainischen Präsidenten in | |
Washington am Freitag folgte sein besonders herzlicher Empfang in London am | |
Samstag; das Zwiegespräch in 10 Downing Street und die königliche Audienz | |
waren beide ursprünglich nicht vorgesehen. | |
Großbritannien hatte beim russischen Überfall vor drei Jahren unter dem | |
damaligen konservativen Premierminister Boris Johnson früher und stärker | |
als alle anderen Länder Europas die Ukraine militärisch unterstützt; der | |
ehemalige ukrainische Armeechef Waleri Saluschni, der populärste Politiker | |
der Ukraine neben Präsident Selenskyj, ist seit einem Jahr ukrainischer | |
Botschafter in London. | |
## Vom Arbeitstreffen zum Krisengipfel | |
Das [3][Gipfeltreffen 18 europäischer Nato-Staatsführer:innen] am | |
Sonntagnachmittag in Londons Lancaster House in unmittelbarer Nähe von | |
Buckingham Palace war ursprünglich eigentlich als Arbeitstreffen gedacht: | |
Großbritannien hatte kurz vor Ende der US-Präsidentschaft Joe Bidens den | |
Vorsitz der Ukraine-Kontaktgruppe übernommen, die in den vergangenen Jahren | |
regelmäßig am US-Luftwaffenstützpunkt im deutschen Ramstein Militärhilfe | |
für die angegriffene Ukraine koordiniert hatte. Jetzt kommt dem Londoner | |
Treffen unter dem Titel „Securing Our Future“ eine ganz neue Bedeutung zu. | |
„Wir sind hier heute versammelt, weil dies ein entscheidender Moment für | |
Europas Sicherheit ist und wir alle etwas tun müssen“, sagte Starmer zur | |
Gipfeleröffnung. Eine gute Lösung für die Ukraine sei „lebenswichtig für | |
die Sicherheit jeder Nation hier und vieler anderer“. Polens | |
Ministerpräsident Donald Tusk forderte eine Aufstockung europäischer | |
Nato-Truppen in Osteuropa – es wird befürchtet, dass Trump das US-Militär | |
abzieht. In Warschau hatte er vor seinem Abflug bemängelt: „500 Millionen | |
Europäer wollen, dass 300 Millionen Amerikaner sie vor 140 Millionen Russen | |
schützen.“ | |
Beim Gipfel saß Keir Starmer am Kopfende des Tisches, flankiert von | |
Wolodymyr Selenskyj und Emmanuel Macron. Für die Ukraine will Starmer nach | |
eigenen Worten eine „Koalition der Willigen“ schmieden, ausgehend von einer | |
engen Zusammenarbeit Großbritanniens und Frankreichs – die beiden stärksten | |
Militärmächte Europas. Schon zuvor hatten sich Starmer und Macron beide | |
bereit erklärt, Friedenstruppen in die Ukraine zu entsenden, um einen | |
möglichen Waffenstillstand abzusichern. | |
Dies werde jedoch nur mit einer militärischen Absicherung durch die USA | |
funktionieren, damit Russland den Waffenstillstand nicht bricht, | |
wiederholte Starmer am Sonntag – eine Forderung, mit der sowohl Macron als | |
auch Starmer bei Donald Trump vergangene Woche abgeblitzt waren. Trump will | |
von „Sicherheitsgarantien“ seitens der USA, wie sie auch Selenskyj am | |
Freitag forderte, nichts wissen. | |
„Großbritannien, Frankreich und andere werden mit Ukraine an einem Plan | |
arbeiten, die Kämpfe zu beenden“, erklärte Starmer unbeirrt nach Abschluss | |
des Gipfels: „Wir werden ihn mit den USA diskutieren“. Er habe am Samstag | |
Abend mit Trump darüber bereits gesprochen und sei zuversichtlich, führte | |
er aus. Die Alliierten müssen die Ukraine jetzt verstärkt militärisch | |
unterstützen und den ökonomischen Druck auf Russland verstärken, und jeder | |
„Deal“ müsse von der Ukraine mitgetragen werden und ihre „Souveränität… | |
Sicherheit“ gewährleisten. Großbritannien stehe bereit, eine Vereinbarung | |
mit Bodentruppen und Luftwaffe abzusichern. | |
Müsste und könnte also Europa allein einen Waffenstillstand in der Ukraine | |
absichern und dem Land „starke Sicherheitsgarantien“ bieten, wie es Starmer | |
am Sonntag erneut formulierte? „Wir müssen unsere Vorbereitungen der | |
europäischen Elemente von Sicherheitsgarantien intensivieren und weiter in | |
Diskussion mit den USA bleiben“, erklärte der britische Premier am | |
Samstagabend. Der französisch-britische Plan sollte am Sonntag den anderen | |
Gipfelteilnehmern vorgelegt werden. | |
Ob es überhaupt zu einem Waffenstillstand kommt, den jemand absichern | |
müsste, ist aber zunehmend fraglich. Eher steht im Raum, dass Trump jetzt | |
aus Wut die US-Militärhilfe für die Ukraine sofort beendet und dass | |
Russland sich ermutigt sieht, seinen Angriffskrieg nochmal zu | |
intensivieren, bevor andere Partner diese Lücke schließen können. | |
Ukrainische Experten sagen, dann könne das Land höchstens noch sechs Monate | |
gegen Russland bestehen. Zwar setzen die ukrainischen Streitkräfte immer | |
stärker auf eigene Rüstungsproduktion, aber Aufklärungsdaten, die | |
US-Geheimdienste der Ukraine zur Verfügung stellen, sind unmittelbar nicht | |
zu ersetzen. | |
Manchen europäischen Partnern gehen die in London ventilierten Überlegungen | |
daher nicht weit genug. „Während wir diskutieren, verteidigen Ukrainer in | |
den Schützengräben unseren Kontinent, Russlands 190 Milliarden Euro sitzen | |
unangetastet in unseren Bankkonten, unsere besten Waffen sind weitab von | |
der Front eingelagert und unsere Piloten sichern die Himmel nicht“, | |
schimpfte Litauens Ex-Außenminister Gabrelius Landsbergis bereit am | |
Freitagabend auf X. Europa müsse die eingefrorenen russischen Gelder | |
nutzen, statt Spardiskussionen zu führen, die militärische gegen soziale | |
Sicherheit ausspielen, hatte er zuvor schon gesagt. | |
Auf dem Londoner Gipfel wurden auch neue Hilfszusagen von Nato-Staaten an | |
die Ukraine in einem Umfang von 40 Milliarden Euro erwartet. Zudem hat die | |
britische Regierung Pläne zur Gründung einer „Europäischen Rüstungsbank“ | |
vorgelegt, die mit 10 Milliarden Euro Eigenkapital Investitionen in die | |
Verteidigung in zehnfacher Höhe finanzieren könne. Das Vorbild dafür ist | |
die 1991 nach dem Zusammenbruch des Ostblocks gegründete Europäische Bank | |
für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) mit Sitz in London, die mit einem | |
Stammkapital von 30 Milliarden Euro Investitionen in Osteuropa finanziert. | |
## Militär auf Kosten des Entwicklungsetats | |
In Großbritannien wird bereits deutlich, was passieren kann, wenn mehr | |
Sicherheit ohne mehr Geld geschaffen werden muss. Kurz vor seiner US-Reise | |
hatte Premier Starmer eine Erhöhung des britischen Verteidigungsetats auf | |
2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) ab 2027 festgelegt. Bis zu den | |
nächsten Wahlen, die spätestens 2029 stattfinden, sollen es 3 Prozent | |
werden. Dafür sinkt der Etat für Entwicklungshilfe von 0,5 auf 0,3 Prozent | |
des BIP – bis 2021 waren es noch 0,7 Prozent gewesen. | |
Kaum war Starmer aus Washington zurück, trat aus Protest | |
Entwicklungsministerin Anneliese Dodds zurück. Sie erklärte, dass sie eine | |
Erhöhung des Verteidigungsetats durchaus verstehe, nicht jedoch auf Kosten | |
der Entwicklungshilfe. Ihrer Meinung nach wäre es an der Zeit, über die | |
Steuerpolitik der Labour-Regierung zu sprechen. Noch Anfang Februar hatte | |
der britische Außenminister David Lammy [4][Kürzungen im Entwicklungsetat | |
der USA] kritisiert: Diese könnten von Ländern wie China ausgenutzt werden, | |
erklärte er. Nun tut seine eigene Regierung das Gleiche. | |
Finanzministerin Rachel Reeves will noch weiter gehen. In einem | |
[5][Interview mit der Sunday Times] kündigte sie an, den derzeit 27,8 | |
Milliarden Pfund (33,7 Milliarden Euro) umfassenden „National Wealth Fund“ | |
– der britische Staatsfonds, der Einnahmen etwa aus dem Ölexport in | |
Infrastrukturinvestitionen leitet – auch für höhere Militärausgaben nutzen | |
zu wollen. Bisher sollten daraus vor allem Klimaschutzinvestitionen | |
finanziert werden. In ihrem nächsten Staatshaushalt, den sie Ende März | |
vorlegen soll, dürfte es außerdem Sozialkürzungen in Milliardenhöhe geben. | |
2 Mar 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Ukraines-Praesident-in-Washington/!6072965 | |
[2] /-Nachrichten-im-Ukraine-Krieg-/!6072975 | |
[3] https://www.gov.uk/government/news/prime-minister-keir-starmer-to-host-lead… | |
[4] /Die-USA-unter-Trump/!6071935 | |
[5] https://www.thetimes.com/uk/politics/article/rachel-reeves-defence-spend-la… | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
Dominic Johnson | |
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