# taz.de -- Probleme beim Musikstreaming-Boom: The Winner Takes It All | |
> Spotify hat 95 Prozent Marktanteil am Musikstreaming in Deutschland. | |
> Welche Gefahren darin liegen, erläutert ein investigatives Buch von Liz | |
> Pelly. | |
Bild: Hat die Schweigemauer um Spotify aufgebördelt: US-Autorin Liz Pelly | |
0,0033 Euro. Knapp 0,3 Cent. So viel ist das Abspielen eines Musikstücks | |
dem Streamingdienst Spotify wert. 0,3 Cent. Sagen wir, das Lied dauert drei | |
Minuten. Wie viel Zeit und kreative Kopfarbeit fließen ein, bis die drei | |
Minuten nach Musik klingen? Sind 0,3 Cent als Gegenwert für das Abspielen | |
gerechtfertigt? Wird damit die künstlerische Leistung beim Komponieren | |
ausreichend gewürdigt? | |
Eher nicht, denn Streaming funktioniert nach dem Prinzip: The Winner takes | |
it all. Gewinner sind hauptsächlich Superstars, die durch hohe Gagen eh | |
schon reich gesegnet sind, aber auch von Millionenstreams profitieren. | |
Seit 2018 erwirtschaftet Streaming den größten Anteil an Umsätzen auf dem | |
deutschen Markt. Digitale Musikwirtschaft boomt. Spotify scheffelt | |
inzwischen mehr Geld mit Streaming, als der Verkauf physischer Tonträger | |
und Erlöse aus Konzerttickets zusammen an Einnahmen erzielen. Spotify ging | |
2018 auch an die Börse. | |
Das hat sich gelohnt, das Vermögen von Unternehmensgründer Daniel Ek wurde | |
2023 auf 2,3 Milliarden US-Dollar taxiert. [1][Weil er gar nicht wusste, | |
wohin mit dem Geld, hat er versucht, Anteile am Fußballclub Arsenal London | |
zu erwerben. Nachdem das misslang, kam die Nachricht, Ek investiert bei | |
einem KI-Unternehmen, das für die Rüstungsindustrie tätig ist.] | |
## Am Anfang war illegales Filesharing | |
Die Anfänge seiner Firma liegen in der illegalen Filesharing-Szene | |
Skandinaviens. Erste Musikdateien hat Spotify von der Tauschbörse The | |
Pirate Bay gesaugt. 2024 hat der schwedische Streaminganbieter für den | |
US-Wahlkampf von Donald Trump eine sechsstellige Summe gespendet. | |
Was in den Jahren dazwischen passiert ist, zeichnet US-Autorin Liz Pelly in | |
dem investigativen Sachbuch „Mood Machine“ anschaulich nach. Geholfen hat | |
Spotify am Anfang Risikokapital, das auch von Leuten aus der Musikindustrie | |
investiert wurde. Schon bald ging es um den IPO, den idealen Zeitpunkt, um | |
an die Börse zu gehen. | |
## Die Rede von der Demokratisierung | |
Das Versprechen von Spotify: offiziell lizenzierte Musik kundenfreundlich | |
im Netz anbieten. Von der Demokratisierung der Produktionsmittel war damals | |
die Rede, von der Chance, die riesigen Mengen an neuer und alter Musik aus | |
den Archiven zu bündeln, das hat Spotify mit Unterstützung der Majorlabels | |
allmählich hinbekommen. | |
[2][Dann tauchten Mitte der Zehnerjahre Gerüchte über Ghostartists, | |
fiktive Künstler und gefakte Playlists auf.] Intern ist der Begriff dafür | |
PFC, Perfect Fit Content. Liz Pelly ist eine der Ersten, die mit | |
US-Musikern aus dieser Grauzone gesprochen hat: Künstler, die anonym | |
Auftragswerke für Spotify komponieren. Nach Verzicht auf alle | |
Verwertungsrechte wird sie unter Pseudonym auf unzähligen Playlists | |
veröffentlicht. Der Erfolg jener Gebrauchsmusik kam analog zum | |
Selbstoptimierungskult. Dafür muss Spotify keine Urheberrechte zahlen. | |
Früher, in der analogen Musikindustrie, war freilich auch nicht alles | |
besser, obwohl, wenigstens die Preisspirale hielt sich in Grenzen. | |
„Mondpreise auf dem Vinylmarkt bereiten aktuell wenig Vergnügen. Und der | |
Secondhand-Markt hat durch den Internethandel inzwischen auch diktierte | |
Preise“, weiß Maurice Summen, der in Berlin die beiden Indielabel Staatsakt | |
und Fun In The Church betreibt. „Ein Monatsabo über 10 Euro bei einem | |
Streaminganbieter ist im Vergleich dazu billig.“ | |
## Zusammenarbeit mit Tesla, Uber und Virgin | |
Wissen die UserInnen überhaupt, dass Spotify Kundendaten weiterverarbeitet? | |
Liz Pelly zählt den Autobauer Tesla, den Fahrdienst Uber oder die | |
Fluggesellschaft Virgin auf und weitere Unternehmen, mit denen der | |
Streaminganbieter bereits „Kollaborationen“ eingegangen ist. | |
Auch ist die Rede von „Databrokern“, wie der US-Marketingfirma Acxiom, | |
die Datensätze von Spotify-Usern erhalten haben soll. Ein besonders | |
peinvoll zu lesendes Kapitel bei Pelly ist „Streaming as Surveillance“. | |
[3][Darin legt die Autorin offen, was mit den Kundendaten von Spotify nach | |
dem Einloggen geschieht.] | |
Von Shoshana Zuboffs Grundlagenwerk „Das Zeitalter des | |
Überwachungskapitalismus“ weiß man zumindest theoretisch, dass im digitalen | |
Zeitalter „menschliche Erfahrung als Rohstoff in Verhaltensdaten“ | |
umgewandelt wird. Durch Tracking analysiert Spotify exakt, wer wann | |
Herzschmerzsongs hört, früh zum Yoga Musik spielt und abends vor dem | |
Einschlafen ASMR-Sound. | |
## 13 Prozent Umsatz mit Werbung | |
Spotify erwirtschaftet 13 Prozent seines Umsatzes durch Werbung. Shoshana | |
Zuboff erkennt in der forcierten Netzkommerzialisierung „die Verfinsterung | |
des digitalen Traums“ und Liz Pelly bricht diese schöne neue Welt am | |
Beispiel Spotify auf 18 Kapitel herunter. Am Ende wird klar: Um Musik geht | |
es nur vordergründig, hauptsächlich sollen User:Innen auf der Seite | |
gehalten werden. | |
Konfrontiert man Pia Dahmen, Pressesprecherin des Bundesbeauftragten für | |
Datenschutz in Bonn, mit dem täglichen Durcheinander aus Konsumvorhersage | |
und der Verarbeitung personenbezogener Daten bei Spotify, kommt ein | |
Warnhinweis: „Aus Sicht des Datenschutzes ist problematisch, wenn | |
Datenverarbeitungen zu Zwecken der Personalisierung, etwa von Werbung, | |
besonders umfassend sind und potenziell unbegrenzte Daten betreffen sowie | |
erhebliche Auswirkungen auf Nutzende haben, weil deren Online-Aktivitäten | |
zu großen Teilen aufgezeichnet werden. Dies kann das Gefühl eines ständigen | |
Überwachtseins im Privatleben auslösen.“ | |
Musste sich früher nackig machen, wer eine Platte käuflich erwarb? Lieber | |
als über die seltsamen Unternehmenspraktiken von Spotify würde ich über | |
interessante Bands und zukunftsträchtige Produktionsmodelle schreiben, | |
Pelly geht es ähnlich. Bevor sie für The Baffler und diverse Publikationen | |
Texte schrieb, half die 35-Jährige einem Musikclub in New York bei der | |
Programmgestaltung. | |
## Wichtige Recherche | |
Für ihr Buch hat sie mehr als 100 Interviews geführt, teilweise anonym. | |
Musik- und Techbranche sind notorisch einsilbig, wenn es um Plattenverträge | |
oder sonstige Details geht. Umso wichtiger ist Pellys Recherche: 615 | |
Millionen Menschen führten 2023 Userkonten weltweit bei Spotify, davon | |
waren 239 Millionen Bezahlabos. | |
In Deutschland ist der schwedische Provider Marktführer und hat 95 Prozent | |
der Anteile am Streamingmarkt. Für viele junge Leute ist Musikhören | |
gleichbedeutend mit „Spotify“-Playlist hören. 140.000 Tracks werden tägli… | |
hochgeladen. Bestimmt findet sich darunter gute Musik, auch wenn sie nicht | |
unbedingt zuerst von Spotify und den drei Majorlabels Universal, Sony und | |
Warner, die seit 2008 Anteile bei dem Streamingdienst haben, entdeckt | |
wird. | |
Talente, neue Trends, interessante Musikphänomene tauchen zuerst in lokalen | |
Musikszenen auf und werden oft durch Indielabels gefördert. Wenn | |
Idealismus früher gerne von den Majors verhöhnt wurde, so droht er im | |
Plattformzeitalter zermalmt zu werden. Einer der wenigen, der sich | |
aufseiten der Politik für die Indieszene einsetzt, ist Erhard Grundl, der | |
für Die Grünen im Bundestag sitzt: | |
## Mehr Transparenz | |
„Monopolstellungen sind immer problematisch. Gerade für eine florierende | |
Musikszene, die von einem vielfältigen Angebot lebt, braucht es eine | |
Demokratisierung der Marktmacht. Ein erster Schritt hierfür ist mehr | |
Transparenz bei den Zahlungen an Kreative und eine fairere Verteilung der | |
Einnahmen zwischen Anbietern und Urhebern.“ | |
Spotify teilt Musikschaffende intern in verschiedene „Etagen“ (englisch | |
tiers), je nach Erfolgsaussicht, und unterscheidet extern zwischen „Profis“ | |
und „Hobbyisten“. Auch daran entzündete sich Streit: 2023 entschied der | |
Streaminganbieter, erst ab einer Anzahl von mehr als 1.000 Streams Musik | |
zu vergüten. „Das Internet ist ein Major-Business: Amazon, Eventim, Spotify | |
…“, erklärt Maurice Summen, der selbst auch in der Band Die Türen aktiv | |
ist. „Wir bekommen seit Jahren die gleichen Microcent-Beträge | |
ausgeschüttet. Mir fällt kein anderes Business ein, in dem die Preise seit | |
ewig gleichgeblieben wären. Da wünsche ich mir zumindest mal einen | |
Inflationsausgleich.“ | |
Spotify bezahlt KünstlerInnen nie direkt. Es schüttet anteilsmäßig („per | |
rata“) Gelder an Rechteinhaber, Majors, Indies und Vertriebe aus. Aktuell | |
kommt eine unabhängig erstellte Studie des Netzwerks Digitale Kultur zu | |
einem eindeutigen Ergebnis: 75 Prozent der deutschen Streamingumsätze | |
gingen 2023 an 0,1 Prozent der Künstler:innen. 68 Prozent der | |
Künstler:innen verdienten mit Streaming weniger als 1 Euro. The Winner | |
takes it all. | |
## Hartnäckiges Gerücht | |
Auch darum hält sich in der Indieszene ein hartnäckiges Gerücht: | |
Majorlabels haben Sonderkonditionen mit Spotify ausgehandelt. „Soweit ich | |
informiert bin, hat noch nie jemand Verträge zwischen den Majors und | |
Spotify eingesehen,“ erklärt Thorsten Seif, A & R des Hamburger Indielabels | |
Buback. | |
Buback kann nicht auf die Streamingeinnahmen verzichten. „Wir | |
kalkulieren mit 4.200 Euro Vergütung bei einer Million Streams. Davon geht | |
noch die Vertriebsmarge weg, sodass circa 3.500 Euro hängen bleiben. Die | |
meisten Künstler:innen bei uns kommen innerhalb von 12 Monaten auf eine | |
Streaminganzahl pro Song von 20.000 bis 350.000. Wir sind froh, wenn wir | |
für ein Album nach ein, zwei Jahren genügend Streams bekommen, um für die | |
oben genannte Summe Einnahmen zu generieren.“ | |
Für Buback zählt der Umsatz mit physischen Tonträgern nach wie vor mehr, | |
geschätzt. Zweidrittel zu einem Drittel durch Streaming. „Durch die | |
Monopolstellung von Spotify und das daraus resultierende Verhalten beim | |
Musikhören ist der Traum vom Hit immanent in der Branche geworden. | |
Eigentlich ist das ein klassisches Prinzip von Angebot und Nachfrage und | |
der damit verbundenen Selbstausbeutung. Wer jung ist, hat damit kein | |
Problem. Schwierig wird es für die, die länger im Geschäft sind. Meine | |
Prognose ist, dass sich die Menge an Artists und Musik bei Spotify nach | |
unten korrigieren wird.“ | |
Als Erstes müssen die 0,3 Cent deutlich nach oben korrigiert werden. | |
27 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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