# taz.de -- Vergütung bei Musikstreaming: Erziehung zur Unmündigkeit | |
> Schöne neue Streamingwelt: Was die Muting-Funktion bei Spotify zu | |
> bedeuten hat und welche Alternativen es beim Musikhören per App gibt. Ein | |
> Überblick. | |
Bild: Pro Stream 0,00286 Euro: Musiker Drangsal (Mitte) mit Band | |
Das Phänomen, sich an einem Song zu „überhören“, ist allen bekannt, die | |
gern Musik hören. Man entdeckt ein Lied, das so gut gefällt, bis man es in | |
Dauerschleife hört. Und irgendwann merkt man, dass das eventuell ein wenig | |
zu oft war. | |
Anschließend verschwindet der Song in den Untiefen der eigenen digitalen | |
Musiksammlung. Beispielsweise bei Spotify, dem Streamingdienst, der [1][in | |
Deutschland Marktführer] ist. Weltweit hören etwa 626 Millionen Menschen | |
ihre Musik über diesen Dienst, etwa 246 Millionen davon in der | |
Bezahlvariante. | |
Um die Marktmacht zu steigern, lässt man sich bei Spotify allerlei | |
Zusatzfunktionen einfallen. Die neueste? Bald kann man einzelne Songs | |
muten. Sie werden dann für einen Zeitraum von 30 Tagen nicht in der | |
Playlist ausgespielt. „Mit dieser Option kannst du einen Titel | |
vorübergehend aus deinen Empfehlungen entfernen, um die Musik frisch zu | |
halten und gleichzeitig die Möglichkeit für ein Wiedersehen offen zu | |
halten“, begründet Spotify die Entwicklung. | |
## Am Schlechtesten bei Spotify | |
Wo hier nur ansetzen? Viel Geld entgeht den gemuteten Künstler:innen | |
nicht. Pro Song, der gestreamt wird, erhalten sie bei Spotify ohnehin | |
gerade mal 0,00286 Euro, also 2,86 Euro für 1.000 Streams. Spotify ist | |
damit der Dienst, bei dem die Vergütung für die Musikerinnen am | |
schlechtesten ausfällt. Wie viel Künstler:innen allerdings wirklich über | |
den Dienst verdienen, ist schwer nachzuvollziehen, bei den konkreten | |
Auszahlungen agiert Spotify bis jetzt intransparent. | |
Dabei gibt es gute Alternativen: Weit transparenter und zudem mit besserer | |
Vergütung und vor allem exzellenter Audioqualität tritt das französische | |
Unternehmen Qobuz an. Pro Stream wird durchschnittlich mit 0,01802 Euro | |
vergütet, das sind pro 1.000 Streams 18,02 Euro. Ähnlich verhält es sich | |
bei Tidal, dem Dienst, der 2015 vom US-Rapstar Jay Z übernommen wurde. Pro | |
Stream werden hier 0,01784 Euro ausgezahlt, also 17,84 Euro für 1.000 | |
Streams. | |
Um zu verdeutlichen, welchen Unterschied das macht, schaut man sich das | |
Ganze am besten an einem konkreten Beispiel an. Im Juni erscheint mit „Aus | |
keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen“ | |
ein neues Album des mittlerweile etablierten deutschen Indiekünstlers | |
Drangsal. „Ich hab von der Musik geträumt“ heißt eine der daraus | |
ausgekoppelten Vorab-Singles. Auf Spotify wurde der Song bereits rund | |
55.000-mal angehört und würde dem Künstler über diesen Dienst somit 157 | |
Euro einbringen. | |
## Gründe für den Wechsel | |
Bei Tidal wären das immerhin schon etwa 981 Euro und bei Qobuz 991 Euro. Da | |
die meisten Nutzer allerdings bei Spotify sind, erzielen andere Anbieter | |
weit weniger Streamingzahlen. Ein guter Grund also, um endlich über einen | |
Wechsel nachzudenken. | |
Was kann man aber denjenigen raten, die darüber hinaus noch mehr | |
unterstützen wollen? Daran zu appellieren, Konzerttickets und Merchandises | |
zu kaufen, natürlich. Wären damit alle Probleme gelöst? Sicher nicht. Die | |
unzureichende Bezahlung für Streams ist lediglich ein Symptom auf dem | |
Musikmarkt. Also hin zur Ursachenforschung. | |
Es ist natürlich klar, dass dieser Text diese nicht mal ansatzweise | |
vollständig abbilden kann, aber beim reinen | |
Streamingdienst-Vergütungs-Bashing sollte kritischer Musikjournalismus | |
nicht verharren – auch wenn es gut tut und wichtig ist, dieses Thema | |
präsent zu halten. | |
## Zumutungen im Alltag | |
Wirft man einen Blick auf den eigenen Alltag und fragt sich, wann man denn | |
eigentlich Musik hört, oder eher, wann Musik an das eigene Ohr dringt – | |
also nebenbei läuft –, dann ist das beispielsweise schon beim Einkaufen der | |
Fall. Wenn im Supermarktradio die besten Hits der 80er bis Nuller spielen | |
oder seelenlose Ibiza-Vibe-Remixe laufen. Oder an der U-Bahn-Haltestelle, | |
vordergründig, um Fahrgäste zu unterhalten, eigentlich aber, um | |
Wohnungslose davon abzuhalten, dort zu schlafen. Ansonsten ist nahezu jeder | |
Werbespot mit Musik unterlegt. | |
Dauerverfügbarkeit – man könnte auch von Zwangsbeschallung sprechen – hat | |
Einfluss auf den Wert, dem Musik beigemessen wird. Kurzes | |
Gedankenexperiment: Drückte man jemandem beim Verlassen des Hauses jeweils | |
eine Tüte Gummibärchen in die Hand, würde derjenige noch dafür bezahlen | |
wollen? Eher nicht. Würde er immer mehr davon haben wollen? Wahrscheinlich. | |
An diesem Punkt lohnt es sich, erneut auf Spotify zurückzukommen und die | |
Vermarktungsstrategien des Dienstes zu untersuchen. Hauptsächlich Spotify, | |
weil der Streamingdienst, der millionenfach genutzt wird, Einfluss auf das | |
Hörverhalten nimmt. | |
Dieser Einfluss bedingt – und das ist gewollt – nichts anderes, als | |
Hörer:innen zu infantilisieren und zur absoluten Unmündigkeit | |
hinsichtlich von Musikgenuss abzurichten. Die geplante neue Muting-Funktion | |
von Lieblingsliedern ist ein Paradebeispiel dafür. Sicherlich wird es nicht | |
mehr lange dauern, bis Spotify eine Funktion einführt, die die | |
Nutzer:Innen gleich beim Öffnen der App nach ihrer Stimmung fragt und | |
daraufhin eine personalisierte Playlist, passend zu dieser, abspielt. | |
## Größere Distanz | |
Solche auf Konsumenten zugeschnittenen Song-Sammlungen sind das, was in | |
Wahrheit die größte Distanz zwischen Hörer:innen und Künstler:innen | |
schafft. Ein anonymisiertes Hörverhalten, das sich in Gesprächen über Musik | |
in Sätzen wie „Kennst du Song XY? Weiß nicht, von wem der stammt“ äußer… | |
Hinzu kommt noch, dass es Snippets sind, die auf | |
[2][Social-Media-Plattformen] wie Tiktok beim Erstellen von Video-Content | |
genutzt werden. | |
Es sind dann eher Ausschnitte daraus, die große Verbreitung erlangen. | |
Selten aber hilft das den Künstler:innen dahinter. Es hat nur dazu | |
geführt, dass Superstars von Majorlabels ihre Musik für diese Kurzformate | |
maßschneidern. Und damit im Grunde genommen nichts anderes machen, als die | |
bestmöglichen Werbejingles zu komponieren und zu hoffen, dass sie den | |
Hintergrund für möglichst viele Nutzer:innen bietet. | |
Insgesamt sorgt die turbokommerzialisierte Situation beim Streaming für | |
Ernüchterung. Wegkommen muss man daher vom Gedanken, dass das eben jetzt | |
der Königsweg ist, wie Musik gehört wird. Warum nicht Musik wieder bewusst | |
einschalten, nicht nur in Form einzelner Songs, sondern mit kompletten | |
Alben von Bands? Erst wenn Musiker:innen aus den Playlist-Platzierungen | |
wieder entdeckt werden, wird mehr Geld für Konzerttickets und Merchandises | |
fließen. | |
Und die Namen der jeweiligen Komponist:innen kennt man dann auch. Die | |
permanente Erzählung von der „Personalisierung des Hörverhaltens“ ist eine | |
verschleiernde Marketingkampagne, die Hörer:innen von den | |
Lieblingsartists entkoppelt. Wie schon Tocotronic sangen: „Harmonie ist | |
eine Strategie“. | |
Und was man als ersten Schritt auf gar keinen Fall machen sollte: Songs, | |
die man gern hören möchte, zu muten. | |
19 May 2025 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Johanna Schmidt | |
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