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# taz.de -- Münchner Großdemo gegen Rechts​: „Auf keinen Fall, Digga“​
> Hunderttausende sind auf die Münchner Theresienwiese gekommen, um gegen
> Hass und Hetze zu demonstrieren. Auch die Union bleibt nicht ungeschoren.
Bild: Breites Bündnis: Teilnehmer der Demonstration für Demokratie auf der Th…
München taz | Gott, ausgerechnet, scheint Demokrat zu sein. Oder ist es
Petrus? Jedenfalls ist der Diensthabende hier am Samstagnachmittag auf der
Münchner Theresienwiese auf der Seite der Demonstranten: Es ist strahlender
Sonnenschein, ein verfrühter Frühlingstag. Nur ein paar ältere Damen tragen
trotz des herrlichen Wetters Regenschirme. „Omas gegen Rechts“ steht
darauf.
Tausende und Abertausende sind gekommen, um gegen Rechts ihre Stimme zu
erheben, gegen Hass, gegen Hetze und gegen die, die den Rechtsextremen
ihrer Meinung nach die Hand reichen, wenn nicht gar den Steigbügel. Am Fuße
der Bavaria, einer Art Münchner Freiheitsstatue, knapp 20 Meter hoher in
Bronze gegossener Patriotismus, haben sie die Bühne aufgebaut.
Gerade steht dort Robert Misik, Wiener, Journalist, [1][taz-Autor]. Er
berichtet von seinem Land, einem Land, in dem sich ein Herbert Kickl, der
Chef der rechtsextremen FPÖ, anschickt, die Macht zu übernehmen. „Es ist
etwa so“, sagt Misik, „als würde Björn Höcke bei Ihnen Bundeskanzler
werden.“ Und er fragt, als sei es für Deutschland noch nicht zu spät, aus
dem Schicksal des Nachbarlands zu lernen. „Aber wie kommt ein Land an so
einen Abgrund?“ Seine Antwort: „Allmählich, und dann plötzlich.“
Dreißig Jahre lang sei in Österreich das Klima vergiftet worden, die
Sprache. Am Ende sei dann jeder Migrant als Krimineller hingestellt worden,
jeder Flüchtling als Messerstecher. Schleichend sei die Vergiftung des
Klimas geschehen, in kleinen Dosen – „dann rasant, eine Rutschpartie ins
Fiasko.“ Erst sei es ein Tabubruch gewesen, dann langsam zur gewohnten
Übung geworden. „Es ist, das ist die Lehre aus meinem Land, so unschätzbar
wichtig, dass Sie genau jetzt, genau bei den ersten Versuchen, den ersten
Tabubrüchen, schon aufstehen und sagen: Halt, stopp, hier geht’s steil
bergab, da lauert der Abgrund!“
## Die Brandmauer ist tot
Die Menschen haben Schilder mitgebracht. „Wer schweigt, stimmt zu. Nie
wieder“, steht auf den Pappen und: „Sie haben Hass, wir haben Haltung“.
Oder auch: „Sometimes RIGHT is just WRONG“. Besonders beliebt sind
„Menschenrechte statt rechte Menschen“, „EkelhAFD“ oder schlicht „Auf
keinen Fall, Digga“. Frauen, Männer jeglichen Alters, auch einige Kinder
sind da. Es wehen Europafahnen, Friedensfahnen, Regenbogenfahnen im
leichten Wind, auch die Königlich Bayerischen Antifaschisten schwenken ihre
Fahne. Einer hat einen Grabstein mitgebracht. „Brandmauer“ steht darauf.
Und das Todesdatum: „29.1.25“.
Ira B und die Dystopianer singen von der braunen Raupe Nimmersatt, die
junge, in München aufgewachsene Jüdin Joëlle Lewitan erzählt von ihren
Großeltern, die den Holocaust überlebt haben und sich trotzdem dafür
entschieden haben, in diesem Land, im Land der Täter zu bleiben, die an die
Kraft der Demokratie geglaubt haben. Und sie erzählt davon, was wir ihnen
schuldig sind. „Ich stehe heute hier, laut und wütend“, sagt sie. Und ganz
bestimmt ließen sich die Juden in Deutschland nicht für rechte Hetze
instrumentalisieren. Der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus gehöre
immer zusammen. Wer gemeinsame Sache mit der AfD mache, sagt sie dann an
die Adresse der Union, „der gedenkt nicht unserer Vorfahren, der verrät
sie.“
Vereinzelt schweben Seifenblasen über den Köpfen, auch Luftballons und eine
Drohne.
Alle sind sie da, in ihrer schönsten Vielfalt. Menschen, die wenig eint,
aber doch das Wesentliche. [2][Hans Well], zählt sie auf: „De Aufbretzltn
und de Gschlampatn, de Zaundürrn und de Gwampatn, de Radlfahrer und de
Porschefahrer, de evangelischn und de echtn Pfarrer, de Weiba und de Manna,
de Metzger und de Vegana, de Tramhappatn und de Wutzla, de Freibierlätschn
und de Noagalzutzla.“ Und, und, und … Und ob die Zuagroasten jetzt wissen,
was ein Tramhappata ist, oder ein Noagalzutzla – es ist egal, Hauptsache,
sie sind auch da.
Es ist ein altes Lied der legendären Biermösl Blosn, deren Texter Hans Well
war; er hat es recycelt und für den Anlass adaptiert. Heute ist er mit
seiner neuen Combo, [3][den Wellbappn], gekommen. Eine Portion deftigen
Sarkasmus hat er auch dabei. Von Höcke, der sich an die Macht geputscht
hat, singt er in einem weiteren Lied: „Kameraden jetz wird aufgrammt, auf
zur Remigration! Afrikaner, Mongolen, Österreicher, raus zur
Massendeportation! Für Veganer gibt’s verschärfte Festungshaft, oane werd
glei gschnappt, de Sarah Wiener hom’s beim Brokoli Essn, auf frischer Tat
ertappt.“
## Münchens CSU-Chef kommt nicht
Dann wird Hans Well von einer der Veranstalterinnen unterbrochen. Sie gibt
das Ergebnis einer Zählung bekannt. Über 320.000 Menschen seien gekommen,
Applaus brandet auf. Ursprünglich sollte die Demonstration im Univiertel
stattfinden. Doch dann kamen schon Zweifel, ob der Platz reicht, und man
hat sie schnell noch verlegt. „Das sind dreimal so viel wie in
Wackersdorf“, sagt Well, der damals beim Protest gegen die WAA schon auf
der Bühne stand. „Respekt!“
Ein Mann in Uniform kommt vorbei, er trägt ein Hitlerbärtchen. Und ein
Schild, auf dem steht: „Alice Weidel lügt: Ich bin kein Kommunist. Mief
heil!“
Später werden die Menschen noch einmal wie Erbsen gezählt, es seien nur
250.000 gewesen, sagt die Polizei. Was immer noch mehr sind als die
erwarteten 75.000. Aufgerufen hatten zu der Großdemo die
unterschiedlichsten Einrichtungen und Vereine – von den Kirchen bis zum FC
Bayern. Auch viele Parteien zeigten Flagge und Gesicht. Der Chef der
Münchner CSU, der bayerische Justizminister Georg Eisenreich, dagegen
wollte ausdrücklich nicht kommen. Der Grund: Es sei zu erwarten, dass wegen
ihrer Asylpolitik Stimmung gegen die Union gemacht werde. Eine nicht ganz
aus der Luft gegriffene Annahme. Auf vielen Schildern steht: „Kein Merz im
Februar“. Die Redebeiträge sind entsprechend.
Zu groß scheint bei den meisten hier die Furcht vor dem, was aus einem
ersten Tabubruch entstehen könnte. Deshalb sind sie hier. Oder wie es
Joëlle Lewitan sagt: „Wir brauchen die Demokratie, und in diesen Tagen
braucht sie auch uns.“
9 Feb 2025
## LINKS
[1] /Robert-Misik/!a2256/
[2] /20-April-in-Berchtesgaden/!6006590
[3] /Musik-von-Hans-Well-und-seinen-Kindern/!5649545
## AUTOREN
Dominik Baur
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