| # taz.de -- Wohnungsnot in Deutschland: Bauen bleibt Luxus | |
| > Die Ampelkoalition wollte das Bauen einfacher und günstiger gestalten. | |
| > Wegen der vorgezogenen Bundestagswahl wird daraus erstmal nichts. | |
| Bild: Deutscher Wohnungsbau im Nebel, hier im Kölner Stadtteil Ehrenfeld | |
| Hamburg taz | Braucht eine Drei-Zimmer-Wohnung 47 Steckdosen? Muss ein | |
| Altbau bei einer Sanierung mit einer Trittschalldämmung ausgestattet | |
| werden? Braucht man im Badezimmer auch in arktischen Wintern 20 Grad? Das | |
| sind Fragen des Wohnkomforts, die in Deutschland heute in der Regel mit Ja | |
| beantwortet, angesichts explodierter Baupreise jetzt aber neu überdacht | |
| werden. | |
| „Es geht um die Frage, welche baulichen, technischen und funktionalen | |
| Standards wünschenswert und realisierbar, welche verzichtbar und über einen | |
| gemeinsam zu definierenden Qualitätsmaßstab hinausgehend überflüssig | |
| erscheinen“, formuliert die [1][Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen | |
| (Arge)] in einer [2][Analyse für das Verbändebündnis Wohnungsbau]. | |
| Die Ampelkoalition hat versucht, diese Kosten mit dem | |
| [3][Gebäudetyp-E]-Gesetz in den Griff zu bekommen. Die Bundesregierung hat | |
| es am 6. November beschlossen und inzwischen dem Bundestag zugeleitet. | |
| Wegen der vorgezogenen Wahl am 23. Februar wird es der aktuelle Bundestag | |
| jedoch nicht mehr verabschieden können, dabei besteht große Einigkeit | |
| darüber, dass im [4][Bausektor dringender Reformbedarf herrscht]. | |
| Wie die Arge dargestellt hat, stiegen die reinen Baupreise seit 2015 | |
| deutlich stärker als die Lebenshaltungskosten, wobei sich diese Entwicklung | |
| nach 2020 noch einmal verschärft hat. Auf diese ohnehin im Übermaß | |
| gestiegenen Preise hat der Gesetzgeber immer mehr kostspielige | |
| Klimaschutzanforderungen gepackt. Dazu kommen noch die Baustandards mit | |
| Goldrand. | |
| ## Stark gestiegene Baukosten | |
| In Zahlen ausgedrückt ist das Bauen zwischen dem Jahr 2000 und Anfang 2024 | |
| um 144 Prozent teurer geworden. In dieser Zeit sind die | |
| Lebenshaltungskosten nur um knapp 60 Prozent, die reinen Baukosten jedoch | |
| um mehr als 100 Prozent gestiegen. 30 weitere Prozent kommen für die | |
| erwähnten Klimaschutzvorschriften oben drauf und noch einmal 5 Prozent für | |
| die Baustandards. | |
| Das Gebäudetyp-E-Gesetz solle einfaches und innovatives Bauen erleichtern, | |
| kündigte der damalige Bundesjustizminister Marco Buschmann an. „Wer möchte, | |
| muss auf die Einhaltung von Komfortstandards verzichten können“, sagte der | |
| FDP-Politiker. Das geltende Bauvertragsrecht mache solche Vereinbarungen | |
| unnötig kompliziert. | |
| „Die Unternehmen haben diese Situation selbst produziert“, sagt der | |
| Immobilienrechtsanwalt Roland Hoinka von der Kanzlei Oberthür und Partner. | |
| Denn heute gilt ein Bauwerk als mangelfrei, wenn bei seiner Herstellung die | |
| „anerkannten Regeln der Technik“ eingehalten wurden. Dieser Stand der | |
| Technik ist jedoch dynamisch und wurde in der Zeit des billigen Geldes von | |
| den Baubeteiligten immer weiter nach oben geschraubt. Niemand wollte für | |
| einen Mangel verantwortlich gemacht werden, weil er einen anderswo bereits | |
| etablierten Standard unterschritten hatte. | |
| Dabei kumulieren sich die Effekte bisweilen auf bizarre Weise: Besserer | |
| Schall- und Wärmeschutz nach außen steigert das Lärmempfinden in der | |
| Wohnung. Als Konsequenz dämmen die Architekten die Wasserleitungsschächte, | |
| was die wiederum so warm macht, dass sich darin Legionellen vermehren | |
| können. Folglich müssen getrennte Kalt- und Warmwasserschächte eingezogen | |
| werden, was womöglich den Wenderadius eines Rollstuhls im Bad einschränkt, | |
| sodass das Bad größer werden muss. „Das potenziert sich immer mehr“, sagte | |
| der Architekt Finn Warncke bei einer Anhörung der Hamburgischen | |
| Bürgerschaft. „Und das ist unser Alltag.“ | |
| ## Gesetz sollte etwas anspruchsloseres Bauen ermöglichen | |
| Der Gesetzentwurf der Ampelkoalition sah deshalb vor, dass „reine Komfort- | |
| und Ausstattungsstandards nur dann vertraglich eingehalten werden müssen, | |
| wenn beide Vertragsparteien sich ausdrücklich darauf verständigt haben“. | |
| Fachkundige Unternehmer sollen künftig einfacher von den anerkannten Regeln | |
| der Technik abweichen können, wenn sie untereinander Verträge schließen. | |
| Die Auftraggeber müssen dabei jeweils auf die Abweichungen hingewiesen | |
| werden. | |
| Außerdem sollen Sicherheit und Eignung des Gebäudes dauerhaft gewährleistet | |
| sein. Zu dem Entwurf gibt es eine [5][Umsetzungsleitlinie des | |
| Bundesbauministeriums]. Buschmann schätzte das Sparpotenzial unter Berufung | |
| auf Fachleute auf acht Milliarden Euro im Jahr. | |
| Um das Bauen zusätzlich zu beschleunigen, hat sich das Bündnis bezahlbares | |
| Wohnen, das Bundesbauministerin Klara Geywitz 2022 aus den Akteuren des | |
| Wohnungsbaus schmiedete, weitere Vereinfachungen zum Ziel gesetzt. Dazu | |
| gehören Typgenehmigungen für Bauten, die dann mit stark reduziertem | |
| Verwaltungsaufwand in Serie überall gebaut werden können. Die am Bündnis | |
| beteiligten [6][Länder haben eine vereinfachte Musterbauordnung | |
| beschlossen], an der sich alle orientieren sollen, sodass es die Baufirmen | |
| leichter haben. Überdies sollen Genehmigungen vereinfacht werden und der | |
| Top-Energiesparstandard Kfw 40 vorerst nicht Pflicht sein. | |
| 6 Feb 2025 | |
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| [1] https://arge-ev.de/arge-ev/ | |
| [2] https://www.dgfm.de/aktuelles/artikel/wohnungsbau-staerken-konjunktureinbru… | |
| [3] /Buerokratie-in-Deutschland/!6025008 | |
| [4] /Wohnraumkrise/!6046616 | |
| [5] https://www.bmwsb.bund.de/SharedDocs/kurzmeldungen/Webs/BMWSB/DE/2024/11/ge… | |
| [6] /Wohnungsnot-begegnen/!6042670 | |
| ## AUTOREN | |
| Gernot Knödler | |
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