# taz.de -- Graphic-Novel über Bowies Berliner Jahre: Glamour mit Braunkohle | |
> Flaneur mit Sternenstaub: „Low – David Bowie’s Berlin Years“, Teil Zw… | |
> von Reinhard Kleists farbenfroher Comic-Biografie des britischen | |
> Popstars. | |
Bild: Bowie neben Major Tom als Mauerspecht | |
Bowie in Berlin – das ist fast ein halbes Jahrhundert her. Und doch hört | |
und liest man immer wieder die gleichen ollen Kamellen, inzwischen | |
aufgewärmt von Stadtmarketing und Lokalpresse: wilde Nächte im Dschungel, | |
Bowies Liebschaft mit Transfrau Romy Haag, Besuche im Brücke-Museum. Was | |
kann eine Graphic Novel dem noch hinzufügen? | |
Nach [1][„Starman – David Bowies Ziggy Stardust Years“] (2022) hat | |
Illustrator Reinhard Kleist mit „Low – David Bowie’s Berlin Years“ den | |
zweiten (und letzten) Teil einer bildgewaltigen Biografie des britischen | |
Superstars veröffentlicht. „Low“ hieß auch das erste Album von Bowies | |
Berlin-Trilogie. Als „low“ könnte man zudem den Zustand beschreiben, | |
[2][mit dem Bowie 1976 in Berlin ankam]. Sein Drogenkonsum war aus dem | |
Ruder gelaufen, ein Tapetenwechsel überlebensnotwendig. | |
Kleists „Low“ ist ein Entwicklungsroman, in dem weit mehr steckt als bunte | |
Bilder. Auch wenn die wunderbar knallen – was vor allem dem Koloristen | |
Thomas Gilke zu verdanken ist. Die wagemutigen Farbkontraste ließen Kleist | |
erst mal schlucken, erzählte er anlässlich der Buchveröffentlichung. | |
## Anekdoten und Metafragen | |
Jenseits vom Visuellen entwickelt die assoziationsreiche Graphic Novel | |
ihren Reiz dadurch, dass Kleist bekannte und weniger bekannte Anekdoten | |
verknüpft mit Metafragen: Was trieb Bowie an, wie veränderte sich sein | |
Selbstverständnis in Westberlin? | |
Popstars sind bekanntermaßen nicht zuletzt eine Projektionsfläche für ihre | |
Fans. Sie selbst finden ebenfalls kreatives Futter in Projektionen – in | |
Bowies Fall hieß eine davon Berlin. Dort lebte er seine romantische Liaison | |
zu den 1920er Jahren aus, angefüttert durch sein Faible für deutschen | |
Expressionismus oder [3][Christopher Isherwoods Romane]. | |
Der Autor der in der Weimarer Republik angesiedelten „Berlin Stories“, auf | |
denen nicht zuletzt das Hollywood-Drama „Cabaret“ (1973) basiert, soll | |
versucht haben, Bowies Berlin-Sehnsucht ein bisschen die Luft | |
herauszulassen, als er ihn warnte, „die Stadt sei schon damals | |
stinklangweilig gewesen“. Er, Isherwood, sei lediglich ein guter | |
Geschichtenerzähler. | |
## Reminiszenz in Songform | |
Auch Bowie fand seine eigene Berlin-Geschichte – wie er sich in diesem nach | |
Braunkohle stinkenden Außenposten der westlichen Welt erdete und neu erfand | |
– offenbar so gut, dass er darüber gern in Interviews reminiszierte; | |
Jahrzehnte später dann sogar im wehmütigen Song „Where Are We Now?“ (2013) | |
– obwohl er ja sonst eher kein Nostalgiker war. | |
An der Stadt schätzte er nicht zuletzt, dass er sich hier recht unbehelligt | |
bewegen konnte. Seine Flaneurpose fängt Kleist in schön schlendernden | |
Bildern ein, die auch ein längst verschwundenes Berlin feiern. Trotz der | |
relativen Anonymität, die er hier erleben durfte: die Prise Sternenstaub, | |
der er mitbrachte, war durchaus willkommen. In den Hansa Studios etwa, bis | |
dato vor allem von hiesigen Klassik- und Schlagerkünstlern genutzt, gab | |
sich fortan die internationale Pop-Prominenz die Klinke in die Hand: | |
[4][Nick Cave], Depeche Mode, U2. | |
Hier im Meistersaal in Köthenerstraße, dem längst in eine Event-Location | |
verwandelten einstigen Tonstudio – die sogenannte „big hall by the wall“ … | |
fand kürzlich die Party zur Buchveröffentlichung statt: eine vergnügte, | |
bunt durchmischte All-ages-Sause. Zugleich hatte der Abend die Anmutung | |
eines Klassentreffens. The Good Sons präsentierten schön eigenwillige | |
Song-Interpretation, Kleist zeichnete live Szenen aus dem Bowie-Kosmos. | |
## Kunstfiguren zum Leben erweckt | |
Die wurden gleich vor Ort versteigert zugunsten der Seenotretter von | |
Sea-Watch. Kleists Faszination für Bowies Alter Ego, die zum Finale der | |
Biografie noch mal in den Fokus rückt, erklärt der Zeichner mit Parallelen | |
zum eigenen Schaffen: Auch in seinen Comics gehe es darum, Kunstfiguren zum | |
Leben zu erwecken. | |
Dabei verzichtet er nicht auf den gern kolportierten Klatsch: etwa, wie | |
Bowie seinen Mitbewohner Iggy Pop rausschmiss, weil der immer seine | |
Delikatessen aus dem KaDeWe wegaß. Doch auch Erhellenderes gibt es zu | |
entdecken: etwa, wenn unvermittelt die Karten aus den Oblique Strategies | |
aufpoppen. Bowies Mitstreiter Brian Eno, der den Sound seiner Berliner | |
Jahre mitprägte, hatte dieses Kartenset von Aphorismen und Instruktionen | |
mitentwickelt – als Methode, kreativ vorankommen. | |
Am schönsten ist „Low“ jedoch, wenn Kleist seine Fantasie von der Leine | |
lässt. Und nebenbei der mythischen Überfrachtung humorvoll den Stecker | |
zieht. Etwa in der Szene, als Bowie bei einem Spaziergang von der | |
Wahlheimat schwärmt und nicht mitkriegt, dass ihm Iggy abhandenkommt. Der | |
geht nämlich inmitten dieses langen Monologs seine Freundin anrufen und | |
kommt dann nicht mehr aus der Telefonzellem, weil die Tür klemmt. Und Bowie | |
merkt nicht einmal, das er allein spaziert. | |
1 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Stephanie Grimm | |
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