| # taz.de -- Buchprojekt mit mobilem Beichtstuhl: Beichte zum Mitnehmen | |
| > Die Illustratorin Jana Kreisl ist mit einem Beicht-O-Mat durchs Land | |
| > getourt. Aus den Bekenntnissen hat sie ein buntes Comic-Buch gemacht. | |
| Bild: Bietet unsere moderne Gesellschaft noch Platz für den Beichtstuhl? | |
| Menschen sind keine perfekten Wesen. Wir machen Fehler, entscheiden falsch, | |
| verletzen andere, leisten uns Fehltritte, schämen uns und bereuen, aber | |
| tragen das schlechte Gefühl oft lange, wenn nicht gar ein Leben lang mit | |
| uns herum. | |
| Das Konzept des Beichtstuhls, von der katholischen Kirche erfunden, ist | |
| uralt. Früher war dieser Verschlag im Kircheninneren der Ort, sich einem | |
| Geistlichen im Flüsterton und sichtgeschützt anzuvertrauen. Ein paar Gebete | |
| als Strafe – und Schwamm drüber. Die Geschichte (die Sünde) ist erzählt und | |
| damit losgelassen. | |
| Bietet unsere moderne Gesellschaft noch Platz für den Beichtstuhl? Jana | |
| Kreisl wollte diese Frage ergründen. Mit einem aus Holz gebauten | |
| Beicht-O-Mat, einem Gerüst mit schwarzem Stoff bespannt, tourte die | |
| 38-Jährige durch Deutschland und lud Passant:innen in Hamburg, Hannover, | |
| Chemnitz, Erlangen, Ulm und natürlich in ihrer Heimatstadt Berlin dazu ein, | |
| sich etwas von der Seele zu reden. Eben zu beichten. | |
| Aus den Geschichten, die mal Trauriges, mal Peinliches offenbaren, hat Jana | |
| Kreisl ein wunderbares Buch über Gefühle und Gedanken gemacht, die wir alle | |
| kennen – und viel öfter teilen sollten, so die Botschaft der Künstlerin. Es | |
| trägt den sinnfälligen Titel „Geht’s eigentlich nur mir so? Wahre | |
| Geschichten über ungebetene Gefühle“. | |
| ## Comic-Reportage über den Hambacher Forst | |
| Jana Kreisl hat in Kassel und Istanbul Comic und Illustration studiert und | |
| arbeitet als Illustratorin, Comic-Journalistin und Graphic Recorderin. Die | |
| Grundlage ihrer Arbeit ist immer das Gespräch mit Menschen. Mit ihrer | |
| ersten Comic-Reportage über die Besetzer:innen im Hambacher Forst | |
| gewann sie unter anderem den Reporter Slam. | |
| Im Beicht-O-Mat hat sie, hinter einem Vorgang sitzend, nicht nur zugehört. | |
| Kreisl hat die Geschichten zeichnerisch in einem Bild zusammengefasst. Wie | |
| bei einem Fotoautomaten konnten sich die Leute ihre gezeichnete Beichte | |
| später abholen und mitnehmen. | |
| In den acht Kapiteln geht es um Liebe, Enttäuschung oder Angst. Da | |
| berichtet zum Beispiel eine junge Frau von ihrem ersten Job nach dem | |
| Studium und von der Angst zu versagen: „Baue ich mir durch diese Zweifel | |
| nicht selbst ein Hindernis?“ | |
| Auf ihrem Bild ist sie balancierend auf einem Surfbrett im offenen Meer zu | |
| sehen – links hält sie die personifizierte Angst mit einem Lasso in Zaum, | |
| rechts streckt der Mut eine kämpferisch geballte Faust in die Luft. | |
| ## Kommentar zu den geplanten Kulturkürzungen | |
| Das kunterbunte, comiceske Buch ist – natürlich ungeplant – nun auch eine | |
| Art Kommentar zu den Sparorgien des Berliner Senats. Zur Erinnerung: | |
| [1][Das Land Berlin ist klamm und muss 3 Milliarden sparen.] Die Kultur | |
| wird mit 130 Millionen weniger Fördergeldern auskommen müssen. | |
| Jana Kreisl hätte ihr Projekt ohne Fördergelder nie realisieren können, wie | |
| sie der taz sagt. Fördergelder zu reduzieren hätte ein | |
| demokratiefeindliches Moment, weil das Projekte unmöglich macht, „die | |
| vielleicht nicht nach kapitalistischen Logiken funktionieren, die die | |
| gesellschaftspolitischen Entwicklungen kritisch begleiten oder ein | |
| Kommentar auf gesellschaftliche Entwicklungen sein können“, sagt Kreisl. | |
| „Projekte, die Menschen zusammenbringen, die ihnen Raum und Stimme geben“. | |
| Genau also das, was sie mit ihrem Beichtstuhl-Projekt gemacht hat. Sie | |
| zeigt damit, wie wichtig es ist, einander zuzuhören, sich auszutauschen, | |
| sich Fehler und Macken einzugestehen, über die gebeichteten Geschichten | |
| gemeinsam zu lachen oder zu weinen. | |
| Mit weniger Förderung, so ihre berechtigte Befürchtung, wird es am Ende nur | |
| noch kommerziellere Projekte geben. „Sich im Beichtstuhl hinsetzen und den | |
| Leuten zuhören, einfach so, ohne Geld von den Menschen zu nehmen, das kann | |
| man nicht machen, wenn es nur ein kapitalistisches Interesse gibt.“ Gerade | |
| mit dem Erstarken rechtsextremer Kräfte sei es nötiger denn je, Kultur zu | |
| fördern. | |
| Am Ende haben rund 180 Menschen ihre Erlebnisse mit Kreisl geteilt. Es geht | |
| um Streitereien in Beziehungen, die immer schlimmer werden. Um Wut im | |
| Bauch, um Einsamkeit und emotionale Blockaden, ums | |
| Nicht-aus-seiner-Haut-Können. Die Taktik zu prokrastinieren ist ebenso | |
| Thema wie das Gegenteil, wenn Mensch in allem übertreibt – Stichwort | |
| Workaholic. Mit dabei sind Schuldgefühle, weil man klaut, obwohl es keine | |
| Geldsorgen gibt, und es nur für den Kick tut. Und dann ist da die Angst vor | |
| dem Tod. Und die Sache mit dem Nicht-Nein-sagen-Können … Ein Buch, so prall | |
| wie das Leben. | |
| 2 Jan 2025 | |
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| [1] /Berlin-spart-an-der-Kultur/!6048501 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Hergeth | |
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