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# taz.de -- Comic „Monica“ von Daniel Clowes: 1968 falsch abgebogen
> Im Comic „Monica“ erzählt Daniel Clowes spektakulär von der Tochter ein…
> Hippie-Mutter. Er zeigt eine Generation, die auf den falschen Weg geraten
> ist.
Bild: Die Hippie-Mutter Penny, im Kinderwagen mutmaßlich die Protagonistin Mon…
Die Vorsatz-Doppelseite der Graphic Novel „Monica“ zeigt ein einziges
großes Bild in knalligen Farben, eine vulkanische Landschaft –
augenscheinlich unser Planet in einem frühen Zeitalter. Die darauf folgende
Doppelseite ist wiederum aufgesplittet in viele kleine Einzelpanels.
Wie im Zeitraffer wird die Weltgeschichte dargestellt, von den ersten
Einzellern über die Dinosaurier hin zur Menschheitsgeschichte: das alte
Ägypten, die Entdeckung Amerikas, der US-Bürgerkrieg, Adolf Hitler, der
Sputnik-Schock und Kennedys Ermordung. Ein (gezeichnetes) Familienfoto
schließt die Seite ab, in der uns eine US-amerikanische Familie mit
1960er-Jahre-Frisuren anlächelt.
Der US-amerikanische Comiczeichner Daniel Clowes kreiert mit dieser
Bilderfolge einen spektakulären Auftakt, der Erwartungen schürt. Clowes ist
bekannt für seine subversive Art des Erzählens. Das beginnt mit dem
Inhaltsverzeichnis, das mit seinen unterschiedlichen Schriftsorten eine
Kurzgeschichtensammlung vermuten lässt. Doch handelt es sich um Kapitel.
Das erste trägt den Titel „Schützengraben“ und knüpft zeitlich an die
Ouvertüre an.
Etwa Mitte der sechziger Jahre, während des Vietnamkriegs, unterhalten sich
zwei Soldaten mitten im Dschungel über ihre Auffassungen vom Leben: Der
eine äußert Zweifel am Dasein, der andere, Johnny, möchte mit seiner Frau
Penny ein normales Leben führen.
Das nächste Kapitel, „Pretty Penny“, zeigt eine Bettszene der mit jenem
Johnny verheirateten Penny und einem Liebhaber. Zu Hause in den USA ist
gerade Flower-Power angesagt. Penny begehrt auf, brüskiert ihre Eltern,
wechselt öfter den Lover. In dieser Zeit wird ihre Tochter Monica geboren.
Wer ihr Erzeuger ist, bleibt lange unklar.
## Ironie und schwarzer Humor
Der Zeichner Daniel Clowes, 1961 in Chicago geboren, gilt als einer der
wichtigsten US-Comiczeichner der vergangenen 30 Jahre. Seit seinem Erfolg
mit dem Comic „Ghost World“ (1997) und dessen Verfilmung durch Terry
Zwigoff (2001) wurden seine Werke schon früh als Graphic Novels vermarktet
und mit (gehobener) Literatur verglichen. Sie trugen dazu bei, dass die
Kunstform ernster genommen wurde als bislang.
Auf die schräg-komischen Erlebnisse zweier Teenager in „Ghost World“
folgten differenzierte [1][Charakterporträts wie „Wilson“ (2010)] oder
[2][„Patience“ (2016)]. Häufig nehmen seine von Ironie und schwarzem Humor
geprägten Graphic Novels albtraumhafte, zuweilen grotesk-fantastische
Wendungen.
Das passiert nicht als Selbstzweck, Clowes ist vielmehr ein Porträtist der
US-amerikanischen Gesellschaft mit all ihren Oberflächlichkeiten und
Abgründen dahinter. Vordergründig folgt man realistisch gezeichneten
Figuren in meist kleinstädtischen, biederen Szenerien. Doch durch
verschiedene Verfremdungstechniken – betont steife Posen und starre
Gesichtsausdrücke der Charaktere, eine etwas zu grelle Kolorierung, das
Zitieren von Stilmitteln älterer Comics oder der Popkultur – wird diese
Oberfläche konterkariert.
## Jeden Halt verlieren
„Monica“ steht in dieser Tradition. Chronologisch und etwas sprunghaft wird
die Biografie der Tochter einer Hippie-Mutter ausgebreitet, die ein
unstetes Leben führt und mit ihrem eigenen Kerzenladen beruflich scheitert.
Eines Tages gibt sie Monica bei ihren Eltern ab und verschwindet spurlos.
Erst jetzt wird die Tochter, aus deren Sicht erzählt wird, zur Hauptfigur.
Gerade erwachsen geworden, verliert Monica nach dem Tod der Großeltern
jeden Halt.
Die Trauer trifft sie so tief, dass sie glaubt, ihr verstorbener Großvater
spreche über einen alten Kassettenrekorder mit ihr. Oder ist das real?
Danach erleidet sie einen schweren Unfall, sucht anschließend ihr Heil im
Leben als erfolgreiche Unternehmerin (ein Kerzenladen!). Wieder einmal
ändert sie die Richtung und beginnt beharrlich, nach dem Verbleib ihrer
Mutter zu forschen. Sie stößt auf eine obskure Sekte.
Daniel Clowes erzählt die Entwicklungsgeschichte einer elternlosen,
vereinzelten Frau vom Kleinkind zur reifen und schließlich älteren Frau.
Immer wieder unterbricht er dabei ihre Erzählung durch kurze „Pulp“-Comics.
Eines handelt von einer Kleinstadt, die von mysteriösen blauhäutigen Wesen
heimgesucht wird. Auch in einem weiteren findet der Protagonist eine
verwandelte Stadt vor, in der alle Menschen auf beängstigende Weise
gleichgeschaltet wurden.
## Kein gutes Haar an der Mentalität der US-Amerikaner lassen
Visuell setzt Clowes diese Intermezzi vom Hauptstrang ab, indem er sie auf
pseudovergilbtes Papier zeichnet und so als scheinbar alte Comichefte
kennzeichnet. Er lässt zunächst offen, wie diese Geschichten mit der
eigentlichen Handlung zusammenhängen. Spiegeln sie den verstörten
Gemütszustand der Protagonistin wider? Sind sie gar Monicas Fantasie
entsprungen, die den kranken Zustand ihrer Umgebung mittels düsterer
Parabeln diagnostiziert?
Es wird deutlich, dass Clowes kein gutes Haar an der Mentalität der
US-Amerikaner lässt. Die Sekte, der Monica zeitweise beitritt, um ihre
Mutter zu finden, wird zur Chiffre einer (um 1968) falsch abgebogenen
Generation, die sich abschottet und wildesten Verschwörungstheorien Glauben
schenkt.
Daniel Clowes' Frauenporträt fällt wiederum sehr einfühlsam aus: Ein ganzes
Leben wird gezeigt, das geprägt ist von Verlusten und der vergeblichen
Suche nach Geborgenheit. Selbst Freundschaften und Liebesbeziehungen sind
auf der Grundlage der familiären Verwerfungen kaum möglich.
18 Dec 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Ralph Trommer
## TAGS
Comic
Graphic Novel
Schwerpunkt 1968
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