# taz.de -- Kult-Comic „Vernon Subutex. Teil 2“: Ein DJ im Park der Abgehä… | |
> Ein Clochard mit Vorliebe für Vinyl. „Vernon Subutex. Teil 2“ von | |
> Virginie Despentes und Luz ist eine weitere Perle des französischen | |
> Undergrounds. | |
Bild: Szene aus dem Comic „Vernon Subutex. Teil 2“ | |
Seit Wochen schmerzen Vernons Füße von seinen durchgetretenen Schuhen. Doch | |
eine gute Freundin, die dicke Olga, weiß Rat. In einem Sozialkaufhaus hat | |
sie extra für ihn ein Paar Cowboystiefel reservieren lassen – knallrote! | |
Sie werden neben den ungepflegten langen Haaren und dem Wuschelbart zu | |
Vernons neuem Markenzeichen. Auch findet er eine neue Bleibe im Park | |
Buttes-Chaumont, wo sich immer mehr Freunde und Bekannte um ihn versammeln. | |
Sie wollen dabei sein, wenn er als DJ im Park die Platten auflegt. | |
Vernon Subutex heißt der „Held“ in [1][Virgine Despentes’ Romantrilogie,] | |
die zwischen 2015 und 2017 in Frankreich herauskam. Der Nachname weist auf | |
eine Methadon-ähnliche Ersatzdroge hin. Passend für eine Figur, die so | |
ziemlich alles, was im urbanen Paris so kursiert, ausprobiert. | |
„Das Leben des Vernon Subutex“ ist das bisher erfolgreichste Prosawerk der | |
Autorin, deren frühe Romane wie „Baise-moi“ („Fick mich“, deutscher Ti… | |
„Wölfe fangen“, verfilmt von ihr selbst) wegen ihres grenzwertigen | |
exzessiven Umgangs mit Sex- und Gewaltdarstellungen noch sehr umstritten | |
waren. | |
## Roman und TV-Serie | |
Nachdem „Vernon“ bereits als TV-Serie adaptiert wurde, ist nun auch die | |
Comicversion komplett. [2][2022 erschien deren erster], umfangreicher Teil. | |
Jetzt ist der abschließende zweite Band heraus, für den erneut Virginie | |
Despentes zusammen mit Wunschzeichner Luz verantwortlich ist. | |
Luz alias Rénard Luzier gehörte als Karikaturist und Comiczeichner früher | |
zur Charlie-Hebdo-Redaktion. Er entging nur durch Zufall [3][dem Anschlag | |
auf die Redaktion 2015] durch islamistische Attentäter – er feierte am | |
Vorabend seinen Geburtstag und verschlief am schicksalhaften 7. Januar die | |
Redaktionskonferenz. | |
Monate später verließ er das Magazin endgültig und verarbeitete seine | |
Trauer um die ermordeten Kolleginnen und Zeichner in den [4][Graphic Novels | |
„Katharsis“] (2015) und „Wir waren Charlie“ (2018). Letzteres Werk ist … | |
Liebeserklärung an die alten Zeiten in der Redaktion vor dem Attentat. | |
## Zeichner Luz von „Charlie Hebdo“ | |
Mit „Vernon Subutex“ hat der Zeichner die Mammutaufgabe der Roman-Adaption | |
bewältigt. Insgesamt sind 660 gezeichnete Seiten entstanden. Die Handlung | |
und den Text ihres Romans hat Virginie Despentes eigens für das | |
Comic-Szenario bearbeitet und ein wenig komprimiert. Sie bezeichnet den | |
fertigen Comic nun als „Version deluxe“ ihres Romans. Die Autorin sagt, ihr | |
habe es gefallen, die von ihr geschaffenen Charaktere in gezeichneter Form | |
so lebendig werden zu sehen. | |
„Vernon Subutex“ ist ein geradezu soziologisches, breit angelegtes Fresko | |
der Pariser Subkultur, der Musik- und Halbweltszene. In Teil 1 lag der | |
Fokus noch auf dem Protagonisten selbst, der als Schallplattenverkäufer | |
einige gute Jahre verlebte, aber zusehen muss, wie seine engsten Freunde | |
hintereinander an den Folgen ihrer Drogensüchte sterben. Dann nimmt sein | |
eigener Abstieg in Obdachlosigkeit und bitterste Armut seinen Lauf. | |
Im zweiten Teil werden seine neuen Gefährten stärker beleuchtet. Das | |
Figurenensemble reicht dabei quer durch viele Schichten, von Kleinbürger | |
Charles, der heimlich im Lotto gewinnt und sich die teuersten Turnschuhe | |
gönnt, über Aisha, eine junge Muslima, die den vermeintlichen Mord an ihrer | |
Mutter (einem Ex-Pornostar namens Vodka Satana) rächen möchte, bis hin zu | |
Xavier, einem rassistischen Drehbuchautor, oder Patrice, einem | |
gewalttätigen Türsteher. | |
Der verstorbene schwarze Rockstar Alex Bleach schwebt wie in Band 1 auch | |
über der jetzigen Story. Er sucht Vernon immer wieder als Geist heim, | |
philosophiert mit ihm über Musik und das Leben. Dessen Vermächtnis, ein | |
paar USB-Sticks mit letzten Tracks und Botschaften, trägt Vernon immer mit | |
sich herum. | |
## Grotesk-komische Pariser Subkultur | |
Despentes und Luz skizzieren so ein vielgestaltiges, manchmal | |
grotesk-komisches, oft abstoßendes Bild einer unerbittlichen Metropole, die | |
unzählige abgehängte, saufende, koksende und sich zudröhnende Gestalten | |
hervorbringt. Deren individuelle Schicksale, unentdeckte Leichen im Keller | |
und persönliche Traumata interessieren die beiden Autoren. | |
Viele von ihnen scheinen mitverantwortlich für ihre Misere zu sein, wie der | |
Chauffeur Loic, der Xavier ins Koma prügelt und selbst eines Tages einem | |
tätlichen Angriff zum Opfer fällt. Vernon selbst erscheint zunehmend als | |
das Zentrum für viele, als Guru und Gesegneter, der als DJ zu unerwartetem | |
Ruhm kommt. | |
Der 52-jährige Luz zeichnet dazu die Comicseiten bis an den Rand voll. Jede | |
einzelne der mit rotzig-karikierendem Strich gezeichneten Figuren bekommt | |
ihren individuellen Auftritt, kann ihre eigene Geschichte [5][erzählen in | |
jeweils spezifischer Farbgebung]. | |
## Kultort jenseits der Postkartenmotive | |
Auch der Metropole Paris gewinnt Luz interessante Facetten jenseits der | |
bekannten Postkartenmotive ab. Der Parc des Buttes-Chaumont im Nordosten | |
der Stadt, der 1867 zur Weltausstellung als Vorzeigepark in englischem Stil | |
auf einer früheren Müllhalde angelegt wurde, wird von der sehr diversen | |
Bohème um Vernon Subutex okkupiert. | |
Er hat das Zeug dazu, zu einem neuen Kultort der Literatur- und nun auch | |
Comicszene zu werden. | |
Am stärksten ist das manchmal vor Geschichten berstende grafische | |
Doppelalbum um diesen schluffigen „Vinyl-Clochard“ dort, wo Luz ikonische | |
Rock-, Pop-, Chanson- oder Reggaesongs aufgreift und manchen Text, manches | |
Covermotiv zitiert, um Vernons zwischen Kaputtheit und Erlösung mäandernde | |
Psyche darzustellen. | |
25 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Ralph Trommer | |
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