| # taz.de -- Mythos Superhelden: Helden mit überflüssigen Kräften | |
| > Schon im Jahr 1938 landete Superman auf einem Titelcover. Bis heute | |
| > widmen sich Comics, Graphic Novels, Romane und Ausstellungen dem | |
| > Superheldenmythos. | |
| Bild: Vielleicht war die erste Superheldenfigur eine Frau? Szene aus „Die gro… | |
| Nanu? Superman steckt zur Hälfte in der Wand, die Beine hängen in der Luft, | |
| und ein Rinnsal Blut fließt herab. Diesmal hat er sich in seiner Flugbahn | |
| wohl etwas verkalkuliert … | |
| Die Plastik „Superman“ von Patricia Waller entstand im Rahmen ihrer Serie | |
| „Broken Heroes“ und ist ganz aus Wolle. Sie ist einer der Höhepunkte der | |
| [1][„Superheroes“-Schau] im Düsseldorfer NRW-Forum. Die Ausstellung | |
| beleuchtet die Geschichte und Vielfalt des Comicgenres, das zuletzt durch | |
| die zahlreichen Blockbuster-Verfilmungen aus Hollywood einen neuen Schub an | |
| Popularität erfuhr. | |
| 1938 erschien mit „Action Comics 1“ das erste Comicheft, in dem Superman | |
| auftrat. Es war der Beginn einer neuen Jugendkultur. Übernatürliche Kräfte | |
| oder Fähigkeiten sind Kennzeichen der Helden, die meist ein Doppelleben | |
| zwischen ihrer öffentlichen Identität als maskierter/kostümierter Kämpfer | |
| für das Gute und der „Secret Identity“ ihrer bürgerlichen Existenz führe… | |
| Mehrere Neuerscheinungen nähern sich diesem Phänomen, auf sehr | |
| unterschiedliche Weise und mit originellen Ansätzen. | |
| Der italienische Comiczeichner [2][Alessandro Tota] („Der Bücherdieb“, | |
| 2018) interessiert sich dafür, wie plötzlich in den USA eine Comicindustrie | |
| entstand, und legt mit „Die große Illusion“ den ersten Teil seiner | |
| zweibändigen Graphic Novel vor. Der Untertitel „New York, 1938“ verweist | |
| auf das Geburtsjahr des amerikanischen Superheldenmythos. Erzählt wird die | |
| Geschichte von Diana Morgan, einer unscheinbaren jungen Frau aus dem | |
| ländlichen Kansas, die gerne Pulp-Romane schreiben möchte, wie ihr Idol, | |
| der (fiktive) Schriftsteller Robert Miller. | |
| Das erste Comicheft mit Superman auf dem Cover | |
| Als sie 1938 in New York ankommt, nennt sie sich Roberta Miller, hat aber | |
| zunächst Probleme, eine Arbeit zu finden. Sie lernt die linke Boheme | |
| kennen, Künstler und Zeitungsleute, doch verdienen kann sie in diesen | |
| Kreisen wenig. Einzig der windige Comiczeichner Frank Battarelli macht ihr | |
| ein Angebot: Als Autorin könnte sie für ihn Comicszenarios schreiben, die | |
| er dann in Bilder umsetzt. Da erscheint das erste Comicheft mit Superman | |
| auf dem Cover, das sich viel besser verkauft als andere Hefte! Roberta | |
| erfindet eigene Helden wie „Ghostwriter“, ein lebendes Skelett oder die | |
| Pin-up-Amazone „Arachna“ und hat plötzlich Erfolg. | |
| Dem 1982 geborenen Zeichner Alessandro Tota gelingt ein stimmungsvoller und | |
| glaubwürdiger Auftakt seiner episch angelegten Comichistorie, in der er am | |
| Rande bekannte Größen der Szene auftreten lässt wie Batman-Schöpfer Bob | |
| Kane oder Will Eisner, den späteren Erfinder der Graphic Novel. Der | |
| Schriftsteller Eugene O’Neill und der Fotograf Weegee vervollständigen das | |
| Bild einer Kulturmetropole. Die damalige politische Wirklichkeit der USA | |
| wird dabei nicht ignoriert: Kommunisten sind verdächtig und gehören bei | |
| Demonstrationen niedergeknüppelt! | |
| Die harte, urbane Realität (in oft stimmungsvollen nächtlichen Szenen mit | |
| Art-Déco-Touch) und Dianas Traumwelt greifen dabei oft ineinander. Mit der | |
| am Anfang unscheinbaren, schüchternen Diana alias Roberta hat Tota zudem | |
| eine facettenreiche weibliche Heldin geschaffen, die im Lauf der Geschichte | |
| an Selbstbewusstsein gewinnt und bemerkt, dass sie sich zu Frauen | |
| hingezogen fühlt. Ein wenig erinnert ihre Figur an die Schriftstellerin | |
| Patricia Highsmith, die zu Beginn ihrer Karriere ebenfalls Comicszenarios | |
| schrieb. | |
| Die Autoren Marc-Uwe Kling und Jan Cronauer setzen wiederum ganz auf das | |
| Genre und haben zusammen mit Comiczeichner Florian Biege eine Parodie auf | |
| den Superhelden-Hype geschaffen: „Normal und die Zero Heroes“. Der bei | |
| Rowohlt erschienene Band ist ebenfalls Auftakt zu einer zweiteiligen | |
| Geschichte. In einer Welt, in der jeder Mensch über Superkräfte verfügt, | |
| ist der Protagonist namens „Normal“ der einzige ohne. Er arbeitet in der | |
| Notrufzentrale und versucht, Superhelden in Notsituationen zu helfen. Eines | |
| Tages taucht ein Superschurke auf, der den Helden die Kräfte entzieht. Nun | |
| schlägt die Stunde für Normal und die „Zero Heroes“, Helden mit | |
| überflüssigen Kräften, die Welt zu retten. | |
| ## Die unsichtbare Bürokollegin | |
| Die Autoren zünden ein Feuerwerk an Slapsticks. Auf jeder Seite werden | |
| absurde Superkräfte entfaltet, die zum Lachen anregen – etwa wenn eine | |
| Bürokollegin Normals sich immer dann unsichtbar macht, wenn Arbeit ansteht. | |
| Zeichner Florian Biege packt seine in flottem Cartoonstil gehaltenen Panels | |
| obendrein mit vielen Einfällen voll. „Normal und die Superheroes“ ist ein | |
| heißer Anwärter auf die „ultimative Superheldenparodie“. | |
| Gäbe es nicht die Konkurrenz von „Unschlagbar“. So nennt sich der | |
| Protagonist aus der Feder des Franzosen Pascal Jousselin, der seit 2017 | |
| mittlerweile drei Alben gefüllt hat. Die Gesamtausgabe liegt nun im | |
| Hamburger Carlsen Verlag vor. Der Titelheld mit schwarzer Maske und gelbem | |
| Shirt wirkt wenig heroisch, ist er doch klein und pummelig. In ein- und | |
| mehrseitigen Comics trifft Unschlagbar im beschaulichen „Großstadt“ auf | |
| Leute, die Hilfe benötigen, oder gewiefte Verbrecher. | |
| Zeichner Jousselin hat ihm eine Gabe ersonnen, die seine Abenteuer zum | |
| Metacomic machen: Er kann die ganze Comicseite überblicken und sowohl in | |
| kommende wie in zurückliegende Panels springen. Entdeckt er etwa einen | |
| kleinen Hund, der einen Bilderstreifen tiefer platt gewalzt zu werden | |
| droht, hechtet Unschlagbar einfach in das entsprechende Panel, um den Hund | |
| herauszuziehen. In einer anderen Geschichte nutzt ein Opa seine | |
| Sprechblasen als Waffe gegen den Bürgermeister, um den Boule-Platz gegen | |
| moderne Bauvorhaben zu verteidigen. So begegnen Unschlagbar auch andere | |
| Menschen mit überraschenden Superkräften, wie der an Batmans Joker | |
| erinnernde „Scherzkeks“, der durch Wände spaziert. | |
| Die unschlagbar komische Reihe ist zwar für Kinder konzipiert, aber durch | |
| die lebensnahen, leicht schräg angelegten Charaktere und die Metaebene auch | |
| für Erwachsene vergnüglich. Durch die unaufgeregte Erzählweise und den | |
| pointiert karikierenden Zeichenstil bietet sie ein erfrischendes | |
| Gegengewicht zu den Mainstream-Helden der US-Hefte und Blockbuster-Filme. | |
| ## Superheldenmythos bis heute | |
| Auch die aus Nordirland stammende Romanautorin Anna Burns, | |
| Man-Booker-Preis-Trägerin von 2018 (für ihren Roman „Milchmann“), erweist | |
| dem Genre eine hemmungslose Hommage. In ihrem neuen Roman „Größtenteils | |
| heldenhaft“ tragen die Personen keine Eigennamen, sie nennen sich „Held“, | |
| „Femme“ oder „Tante“. Es geht um Femme (Fatale), die mit Held liiert is… | |
| Doch der ist immerzu damit beschäftigt, die Welt zu retten. Zudem wurde sie | |
| von den „Superschurken von Downtown Eastside“ hypnotisiert, damit sie | |
| Mordanschläge auf Held verübt, ohne es selbst mitzubekommen. Held hat aber | |
| noch ein weiteres Problem: Hinter der scheinbar harmlos strickenden Fassade | |
| von Femmes „Tantchen“ verbirgt sich die gerissenste [3][Superschurkin] von | |
| allen. Sie hat Helds ganzen Stammbaum auf dem Gewissen. | |
| Anna Burns dekonstruiert durch beißende Ironie den Superheldenmythos und | |
| lässt sich zugleich von dessen Topoi inspirieren. Sie nimmt die innere | |
| Logik der Super-Erzählkonstrukte ernst und treibt sie auf die Spitze. Auf | |
| der zweiten Ebene ist ihre Geschichte auch ein literarisches Spiel mit | |
| überlebten Heldenvorstellungen wie auch eine Fabel über | |
| Paarbeziehungskomplikationen. „Größtenteils heldenhaft“ lebt zudem von der | |
| Sprache, von der Lust an überlangen Schachtelsätzen, die ihre eigene Komik | |
| entfalten. Anna-Nina Kroll hat Burns’ rasante Hochgeschwindigkeitsprosa, | |
| die angelsächsische Vorstadt-Gangster-Sprache mit verwebt, kongenial ins | |
| Deutsche übertragen. | |
| 30 Jan 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ralph Trommer | |
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