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# taz.de -- Graphic Novels „M.O.M.“ und „Clementine“: Superkraft statt …
> „M.O.M.“ und „Clementine“ bereichern die Heldinnenriege der Comics. E…
> Mutter kann sich unsichtbar machen, und ein Teenager wehrt sich gegen
> Zombies.
Bild: All-Women-Projekt: Zeichnung aus dem Comic „M.O.M.“ (Mother Of Madnes…
Spricht man von Superhelden, kann man getrost oft das generische Maskulinum
verwenden. Nicht dass es keine Superheldinnen gäbe, im Gegenteil. Aber von
Cat Woman und der als feministische Ikone erfundenen Wonder Woman abgesehen
hat keine von ihnen je eine Popularität erreicht, die sich mit der ihrer
männlichen Kollegen vergleichen ließe. Als Superschurkin hat es immerhin
Harley Quinn, die durchgedrehte Freundin [1][des Jokers], zur Kultfigur
gebracht.
Als energische Korrektur bisheriger Modelle des Super-Seins betritt nun
M.O.M. – abgekürzt für Mother of Madness – die Welt der Comics. Sie ist e…
All-Women-Projekt, vom Szenario über die Zeichnungen bis zu allen weiteren
Kreativaufgaben. Unter den beiden Autorinnen sticht Emilia Clarke hervor,
berühmt geworden als Daenerys Targaryen in der Serie [2][„Game of
Thrones“]. Ihr Starstatus dürfte dem Comic eine überdurchschnittliche
Aufmerksamkeit bescheren.
Die dazugehörige Superheldin M.O.M heißt eigentlich Maya Kuyper und
arbeitet, weil sie dringend Geld zum Überleben braucht, bei einem
Unternehmen, das gesundheitlich fragwürdige Lebensmittel herstellt. Ihre
hochtalentierten Eltern waren in der chemischen und pharmazeutischen
Forschung tätig. Nach deren plötzlichem Tod schluckte Maya in suizidaler
Absicht eine Überdosis von ihnen hergestellter Pillen, die sie allerdings
nicht töteten, sondern ihr Superkräfte verliehen.
## Zyklus verleiht Superkräfte
Das ist eine ganz klassische Origin-Story, wie sie jeder Supermensch
braucht. Ungewöhnlich ist aber nicht nur, dass Maya als alleinerziehende
Mutter eines kleinen Sohns lebt, sondern vor allem dass ihre Fähigkeiten an
ihren Zyklus gekoppelt sind. Je näher sie ihrer Periode kommt, desto
stärker wird sie und vereinigt gleich mehrere sagenhafte Eigenschaften in
einer Person: Sie kann sich unsichtbar machen, Flammen werfen, ist
superschnell, hat beliebig dehnbare Gliedmaßen und ist so stark, dass sie
keiner Schlägerei aus dem Weg gehen muss.
Diese Umdeutung einer ewig als Makel angesehenen weiblichen Befindlichkeit
ist originell, ebenso wie der Konflikt, den M.O.M. mit einer
größenwahnsinnigen Business-Woman austragen muss, deren Idealbild einer
„perfekten Frau“ exakt patriarchalischen Vorstellungen entspricht.
Was den Eindruck trübt, ist aber, dass Clarke und ihre Co-Autorin
Marguerite Bennett glauben, ihre feministischen und queeren Ideale
überdeutlich vermitteln zu müssen. Dies führt immer wieder zu
manifesthaften, teilweise deklamatorischen Aussagen von Figuren, die noch
einmal erläutern, was ohnehin schon, war man nicht völlig unaufmerksam,
klar geworden ist.
Die Zeichnungen von Leila Leiz ahmen Cliff Chiang, den Zeichner der
feministischen Fantasyserie „Paper Girls“ nach, allerdings ohne dessen
Klasse zu erreichen. Die Kolorierung ist sehr bunt; den Seitenaufbau kann
man, je nach Blickwinkel, dynamisch oder unruhig finden. Sehr schön sind
zwei Doppelseiten, die in nach floralen Mustern angeordneten Panels
parallel M.O.M.s Aktivitäten als Superheldin sowie die Geburt und das
Aufwachsen ihres Sohns schildern.
## Das Mädchen und die Zombies
Keine Superheldin, aber ein Mädchen, das sich in ungewöhnlichen Umständen
bewähren muss, ist Clementine, die Hauptfigur von Tillie Waldens
gleichnamiger Graphic Novel. Sie ist in der Welt von [3][„The Walking Dead“
(„TWD“)] angesiedelt, der Zombieserie, die nach fast 16-jähriger Laufzeit
2019 abgeschlossen wurde.
Angesichts deren Erfolgs, der zu Fernsehserien und einem Computerspiel
führte, war absehbar, dass es nach kleiner Pause zu einem Spin-off kommen
würde. Überraschend ist jedoch, dass dieser von Tillie Walden stammt, die
bislang für anspruchsvolle Comics mit queeren Themen („Pirouetten“, „Wes…
West Texas“) bekannt war. Die Frage ist also: Was kann sie zu „TWD“
beitragen, das über das Aufbereiten von Vertrautem hinausgeht?
Clementine ist eine Halbwüchsige, die, obwohl ihr rechtes unteres Bein nur
aus einer Behelfsprothese besteht, allein in der postapokalyptischen Welt
unterwegs ist. Nach traumatischen Erfahrungen hat sie kein Bedürfnis mehr
nach Gesellschaft. Als sie in einer Amish-Gemeinde Halt macht, schließt
sich ihr aber der gleichaltrige Amos an, der auf dem Weg zu einem Berg ist,
auf dessen steiler Höhe eine kleine Gemeinschaft angeblich sicher vor den
Untoten leben will.
Wie in „TWD“ sind hier nicht nur die Zombies ein Feind der Menschen,
sondern diese sich selbst. Walden setzt auch das für Kirkman typische
disruptive Erzählen fort: Sympathische, wichtige Figuren können abrupt ihr
Leben verlieren. Von der Ursprungsserie hebt sie sich aber nicht nur durch
ihre jugendlichen und mit einer Ausnahme weiblichen Protagonisten ab.
## Das Alltägliche in der Katastrophe
Die obligatorischen Metzelszenen behandelt sie knapp; es gibt keine
Splatterfeste. Neben dem Denken und Fühlen der Figuren interessiert sie
auch das Alltägliche in der Katastrophe: das Anfertigen einer guten
Prothese, der schwierige Transport eines Stromgenerators, die Nöte einer
Kurzsichtigen.
Ähnliches gilt für die schwarz-weißen Bilder. Sie sind erkennbar dem
Vorbild des „TWD“-Zeichners Charlie Adlard verpflichtet, aber etwas
reduzierter, lockerer. Diesem ersten Band sollen noch zwei weitere folgen.
Bleibt Tillie Walden auf dem hier erreichten Niveau, wird „Clementine“ den
„The Walking Dead“-Kosmos nicht einfach erweitern, sondern um eine
spannende, einfühlsame und gar nicht plakativ erzählte Geschichte
weiblichen Empowerments bereichern.
23 May 2023
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## AUTOREN
Christoph Haas
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