Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kaum bekannte Diagnose „PMDS“: Wutausbrüche und Selbstkasteiung
> Die prämenstruelle dysphorische Störung ist immer noch keine offizielle
> Krankheit – obwohl die Symptome das Leben der Betroffenen stark
> einschränken.
Bild: „Borderline nur in der zweiten Zyklushälfte? Interessant.“
Bekanntlich geht schlimmer ja immer, und diese Binsenweisheit macht auch
[1][vor PMS] keinen Halt. Schlimmer, denkt ihr jetzt, reicht es denn nicht
bereits?
Tja, leider nicht, denn ich habe euch ein neues Akronym mitgebracht: PMDS,
die prämenstruelle dysphorische Störung, also Pech mit doppelter Scheiße.
Was das nun schon wieder ist? Das ist potenziertes PMS, [2][also PMS hoch
zwei]. Es ist ein Krankheitsbild, eine behandlungsbedürftige Störung, die
sich nicht von selbst legt. Betroffen davon sind 3–8 Prozent der
[3][Menstruierenden]. Damit ich hier keinen Unsinn erzähle, habe ich mich
natürlich belesen und mir nach der Lektüre selbst die Diagnose PMDS
gestellt.
Denn, wer sollte die Diagnose sonst stellen? Fachkräfte etwa? PMDS wurde
erst 2022 (!) in das Handbuch der Internationalen Klassifikation der
Krankheiten(kurz ICD) aufgenommen. Ins Deutsche übersetzt wurde dieses
Handbuch leider noch nicht, weshalb es in Deutschland noch keinen
Diagnoseschlüssel für PMDS gibt. Warum denn auch? Betrifft schließlich nur
Menstruierende und geht ja nur mit einem enormen Leidensdruck einher.
Seit Jahren berichte ich verschiedenen Gynäkolog*innen, Therapeut*innen
und Psychiater*innen von einer Wesensveränderung, von mich und meine
Umwelt quälenden Gedanken während der zweiten Zyklushälfte. Ich erzähle von
Trennungsfantasien. Trennen will ich mich dann vom Ehemann, von
Freund*innen, vom Job, manchmal sogar vom Leben.
Ich erzähle von unverhältnismäßiger Wut, ich erzähle von Ängsten, die
überhandnehmen, ich erzähle von Hoffnungslosigkeit, ich erzähle von
unkontrollierbaren und minütlich wechselnden Emotionen. Borderline, haben
Sie darüber schon mal nachgedacht? Borderline nur in der zweiten
Zyklushälfte? Interessant.
## Keine Forschungsgelder investiert
Ich bin jetzt 39 Jahre alt und menstruiere seit 26 Jahren. Uff. Innerhalb
der nächsten 6–16 Jahre werde ich in die Wechseljahre kommen. Jetzt, im
vermutlich letzten Drittel meines menstruellen Leidens, erfahre ich also
endlich, warum mir das Leben vor der Menstruation manchmal kaum noch
lebenswert erscheint.
Nach 26 Jahren Tränen, Geschrei, Selbstzweifeln, Selbstkasteiung, kaputten
Türen (Kolumne dazu folgt), Wutausbrüchen an öffentlichen Orten (auch davon
werdet ihr noch lesen), unhaltbaren Vorwürfen meinen Liebsten gegenüber,
erfahre ich von der Existenz eines Störungsbildes, das diesen Wahnsinn
erklärt.
Mittlerweile versuche ich wichtige Termine nicht mehr in die zweite
Zyklushälfte zu legen. Problematisch nur, dass mein PM(D)S bereits circa 10
Tage vor der Blutung beginnt. Nie fühle ich Hildegard Knefs „Von nun an
ging’s bergab“ so sehr wie nach meinem Eisprung. Sukzessive empfinde ich
von da an alles intensiver. Glück, Trauer, Wut, Freude, Frustration, Angst,
Impostor, jedes Gefühl wird bis zur Unerträglichkeit durchexerziert.
So viel Leid hätte schon vermieden werden können, wenn Menstruierende von
einer sich für ihre Belange interessierenden Forschung profitieren könnten.
Es gibt Menstruierende, die berichten, in der zweiten Zyklushälfte
aggressiv gegenüber ihren Kindern zu werden.
Andere schildern Suizidgedanken, die ihrem Wesen sonst fremd seien. Na ja,
bestimmt alle einfach hysterisch. Denen ist wohl mal wieder die Gebärmutter
in den Kopf gewandert.
20 Sep 2023
## LINKS
[1] /Tag-der-Menstruationshygiene/!5934440
[2] /PMS-Ultras/!5955223
[3] /Unternehmer-ueber-Menstruationsauszeit/!5916108
## AUTOREN
Sarah Lorenz
## TAGS
Kolumne PMS-Ultras
Menstruation
Medizin
IG
Trans
Kolumne PMS-Ultras
Kolumne PMS-Ultras
Menstruation
wochentaz
Frauenrechte
## ARTIKEL ZUM THEMA
Autor Linus Giese über Menstruation: Blut hat kein Geschlecht
Nach Jahren ohne Periode kehrt das Menstruationsblut unseres Autors
unerwartet zurück. Über den komplizierten Umgang mit Menstruation als
trans* Mann.
Prämenstruelles Syndrom: Ich traue allen alles zu
In der Lutealphase (7 Tage vor der Periode) darf einen nichts aus der Ruhe
bringen. Schon gar nicht jemand, dem man einen zu großen Gefallen tun soll.
Eines von 150 PMS-Symptomen: Wenn unser Körper zum Prepper wird
Bei Mastodynie schmerzen die Brüste. Bei manchen spannt es nur, bei anderen
ist bei jeder Bewegung Apokalypse. Und einige nennen es Busenweh.
Tag der Menstruationshygiene: Danke für nichts, PMS!
Am Weltmenstruationstag hat unsere Autorin nichts zu feiern, denn sie hat
das Prämenstruelle Syndrom – und hasst dann alles, sogar ihre Kuscheltiere.
Graphic Novels „M.O.M.“ und „Clementine“: Superkraft statt Menstruation…
„M.O.M.“ und „Clementine“ bereichern die Heldinnenriege der Comics. Eine
Mutter kann sich unsichtbar machen, und ein Teenager wehrt sich gegen
Zombies.
Frauenrecht in Spanien: Menstruation ist kein Urlaub
Was in Spanien an Gesetzgebung auf dem Weg gebracht wird, ist ein
Gamechanger: Weibliche Gesundheit gehört mitten ins öffentliche
Bewusstsein.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.