| # taz.de -- Comicverfilmung „Wilson“: Das Leben ist lang und schrecklich | |
| > In „Wilson – Der Weltverbesserer“ ergeht sich der verschrobene Antiheld | |
| > in Hasstiraden. Er spricht dabei erbarmungslos Wahrheiten aus. | |
| Bild: Gewinnt am Ende das Herz der Zuschauer: Wilson | |
| Wer würde sich in einem Zugwaggon ausgerechnet neben den einzigen weiteren | |
| Fahrgast setzen, der gerade konzentriert am Laptop arbeitet? Und diesen | |
| gleich volltexten mit Sätzen wie: „Hey, Werktätiger, wenn du in 40 Jahren | |
| auf dem Sterbebett liegst, wirst du dich fragen: Wo ging das alles hin, wie | |
| konnte ich bloß so enden?“ | |
| Und welcher Hundebesitzer würde beim Gassigehen allzu tierliebe Passanten | |
| mit verstellter „Hundestimme“ vergraulen? | |
| Wilson würde so was tun. Wilson ist ein alleinstehender Mann mittleren | |
| Alters, der in einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Minnesota lebt und den | |
| lieben langen Tag nichts Besseres zu tun hat, als mit seinem Foxterrier | |
| „Pepper“ spazieren zu gehen und wildfremden Menschen auf der Straße, beim | |
| Einkaufen und im Restaurant mit ausufernden Monologen über Gott und die | |
| Welt auf die Nerven zu gehen. Der Spielfilm „Wilson“ des | |
| US-Regisseur-Newcomers Craig Johnson basiert auf dem 2010 erschienenen | |
| gleichnamigen Comic von [1][Daniel Clowes] (auf Deutsch bei Reprodukt). | |
| Dieser erzählt lose Episoden aus dem Leben dieses nihilistischen | |
| Alltagsphilosophen, die jeweils auf eine Stripseite passen und mit einem | |
| Gag enden. | |
| Jedoch entwickelt sich auf subtile Weise doch eine Story, die aus der | |
| Stripfolge eine Art Roman werden lassen. Der 1961 geborene Clowes hat | |
| selbst das Drehbuch verfasst. 2001 adaptierte er bereits seine Graphic | |
| Novel „Ghost World“ über zwei schräge und doch ganz normale Teenager für | |
| die Filmfassung von Regisseur Terry Zwigoff. Film und Comic gelten heute | |
| gleichermaßen als Kult. | |
| ## Gepflogenheiten und Verlogenheiten | |
| In „Wilson“ übernimmt Woody Harrelson die Titelrolle: Bärtig, bebrillt und | |
| unscheinbar bekleidet, mit debilem Dauerlächeln. Der eher lethargisch | |
| angelegten Comicfigur, die ihre Hasstiraden mit unbewegter Miene in die | |
| Umwelt schleudert, setzt Harrelson eine Overacting-Version entgegen, die | |
| zugleich sehr pointiert ist. | |
| Wie im Comic stellt der Lebenskünstler Wilson die gesellschaftlichen | |
| Gepflogenheiten und Verlogenheiten seiner Umgebung infrage. Wie die Folgen | |
| für ihn selbst auch aussehen mögen, Wilson spricht die Wahrheit | |
| erbarmungslos aus. Und seine eigene Existenz beschreibt er ungeschönt: „Das | |
| Leben ist lang und schrecklich.“ Nach dem Tod seines Vaters und dem Umzug | |
| seines einzigen Freundes, erinnert sich Wilson in einem Anflug von | |
| Sentimentalität an seine vermeintlich in Drogensumpf und Prostitution | |
| abgestürzte Exfrau Pippi. | |
| Dadurch findet er heraus, dass diese nach ihrer Trennung ein Kind zur | |
| Adoption freigegeben hat. Die wiedergefundene Pippi (derb-sinnlich: Laura | |
| Dern) bestätigt Wilson, dass er der Vater ist. Wilson blüht auf. In bester | |
| Stalker-Manier lauern beide der behütet aufwachsenden Teenager-Göre Claire | |
| (Isabella Amara) auf, um sie über ihre leiblichen Eltern aufzuklären. | |
| Wilson wandelt sich über Nacht zum übereifrigen Familienmenschen und | |
| versucht mit einem gemeinsamen Ausflug das verpasste Familienleben | |
| nachholen. Doch hat die „Entführung“ Folgen. | |
| Craig Johnson gelingt eine bissige Tragikomödie in bester | |
| Independent-Manier, die Drive hat und weitgehend ohne den üblichen | |
| Feelgood-Humor US-amerikanischer Mainstreamkomödien auskommt. Getragen wird | |
| der Film vor allem von Erzkomödiant Woody Harrelson, dem man in jeder | |
| Einstellung gerne zusieht. Die Nebenrollen sind ebenso treffend besetzt, | |
| etwa Cheryl Hines als bürgerlich-abgründige Schwester Pippis. In einigen | |
| Szenen gelingt ein entlarvender Blick hinter die Gardinen eines | |
| spießbürgerlichen Milieus in mittelgroßen amerikanischen Städten, in denen | |
| einer wie Wilson geradezu erfrischend unangepasst wirkt. Am Ende hat der | |
| Tunichtgut trotz seiner immer offensichtlicher werdenden Einsamkeit das | |
| Herz der Zuschauer gewonnen. Und nicht nur das, sie können sich in manchen | |
| Alltagsszenen auch ertappt fühlen. | |
| 29 Jun 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ralph Trommer | |
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