| # taz.de -- Ökonomin Weber zu Wirtschaft unter Trump: „Angst ist ein wichtig… | |
| > Was passiert nun mit der Wirtschaft der USA? Die Ökonomin Isabella M. | |
| > Weber über Inflation, Preisschocks und antifaschistische | |
| > Wirtschaftspolitik. | |
| Bild: Reicht das Geld noch für den Einkauf? Das fragen sich nicht nur die Mens… | |
| taz: Frau Weber, in den USA war das [1][Wirtschaftswachstum unter Joe | |
| Biden] sehr gut, die Arbeitslosigkeit niedrig. Wenn der Clinton-Spruch | |
| „It’s the economy, stupid“ stimmen würde, hätte Kamala Harris haushoch | |
| gewinnen müssen. | |
| Isabella M. Weber: Bei den Sorgen um die Wirtschaft wurden viel zu schnell | |
| die Bedenken der Menschen weggewischt und gesagt, die Leute verstehen | |
| einfach nicht, was los ist, die Daten sehen doch super aus. Wenn wir uns | |
| nur Wachstum und Beschäftigung angucken, übersehen wir aber etwas | |
| Wichtiges: die nachhaltige Wirkung der Inflation. Die ist zwar in den | |
| vergangenen Monaten gesunken, aber sie war während der Biden-Jahre so hoch | |
| wie seit den 70er Jahren nicht mehr. Am stärksten gestiegen sind die Preise | |
| von essenziellen Gütern, also Essen, Verkehr, Energie. Ganz wichtig sind | |
| auch die Kosten fürs Wohnen, die durch die starken Zinssteigerungen | |
| verschärft wurden. | |
| taz: Die US-Zentralbank hatte aber die [2][Zinsen erhöht, um die Inflation | |
| zu senken]. | |
| Weber: Dadurch konnten sich viele ihre Hypotheken nicht mehr leisten. | |
| Gleichzeitig sind die Hauspreise extrem gestiegen. Die Kombination aus | |
| beidem hat dazu geführt, dass sie keine Chance mehr hatten, ein Haus zu | |
| kaufen. Und dadurch stiegen die Mieten in bestimmten Regionen sehr stark. | |
| taz: Wen hat das am härtesten getroffen? | |
| Weber: Es macht einen großen Unterschied, ob man mietet oder nicht, ob man | |
| eine Familie hat. Familien geben in der Regel sehr viel mehr Geld für Essen | |
| aus als Alleinstehende. Wenn man vor der Inflation systematisch Güter im | |
| Angebot gekauft hat und die Rabatte nun verschwunden sind, hatte man | |
| [3][auf einmal eine enorm hohe Inflationsrate im Lebensmittelbereich], noch | |
| weit über der gemessenen Inflation. Bei der Inflation reden wir immer nur | |
| über Durchschnitte, wo einerseits ein durchschnittlicher Preisanstieg und | |
| andererseits ein repräsentativer Warenkorb angenommen wird. Aber auf beiden | |
| Seiten gibt es große Heterogenität. | |
| taz: In Ihrer Forschung haben Sie herausgefunden, dass in den USA ein | |
| großer Teil der Preissteigerung den Profiten der Unternehmen zugutekam. | |
| Weber: Das ist wirklich ein Problem. Die Leute gehen zur Arbeit, erfüllen | |
| ihren Teil des Gesellschaftsvertrags und müssen sich dann Sorgen machen, ob | |
| sie ihren Einkauf bezahlen können. Und gleichzeitig fahren Unternehmen, | |
| insbesondere in den essenziellen Sektoren wie Energie, | |
| Lebensmittelrohstoffhandel und Schifffahrt Jahrhundertrekordgewinne ein. | |
| Menschen bekommen das Gefühl, dass sich die Regierung in einer Notlage | |
| nicht für ihre Grundbedürfnisse eingesetzt hat, und sie dem Gewinnstreben | |
| schutzlos ausgesetzt waren. Das löst eine Grundskepsis gegenüber dem System | |
| aus. | |
| taz: Was hätten die Demokraten dagegen tun können? | |
| Weber: Biden hätte mit Executive Orders gegen Preistreiberei vorgehen | |
| können. Tatsächlich hatte Trump genau das während der Pandemie getan. | |
| Kamala Harris hat am Anfang ihres Wahlkampfs angekündigt, dass sie ein | |
| Gesetz gegen Preistreiberei im Lebensmittelbereich einführen will. Die | |
| Reaktionen waren vernichtend, insbesondere von der Ökonomenschaft, sodass | |
| sie in ihren Reden das Thema sehr stark zurückgenommen hat. Stattdessen hat | |
| sie auf die Wünsche der Wall Street gehört und versucht, ihre | |
| Glaubwürdigkeit durch eine Rede zu Wirtschaftsfragen zu steigern, in der | |
| sie Ökonominnen und Ökonomen von ihrer Fachkompetenz überzeugen wollte. Das | |
| ist ein grundlegendes Missverständnis. Wählerinnen und Wähler, deren größte | |
| Sorgen die Inflation und die Wirtschaft sind, wollen nicht jemanden, der so | |
| redet wie ein VWL-Professor. Sie wollen das Gefühl haben, dass ihre | |
| Probleme verstanden werden. | |
| taz: Warum hat die Harris-Kampagne den Gesetzesvorschlag verschwinden | |
| lassen? | |
| Weber: Das war Teil der größeren Strategie, mit der man versucht hat, die | |
| „vernünftigen“ Republikaner anzusprechen, die Republikaner, die nicht von | |
| einem „Tölpel“ wie Trump regiert werden wollen. Und diese Strategie ist | |
| knallhart gescheitert. Man hat die Stimmen der Arbeiter damit komplett | |
| verloren, man hat aber auf der republikanischen Seite nichts gewonnen. Man | |
| hat die Leute verloren, die man hätte gewinnen können, und die Leute nicht | |
| gewonnen, die man gewinnen wollte. | |
| taz: Nach Trumps Wahlsieg haben Sie eine antifaschistische | |
| Wirtschaftspolitik gefordert. Was meinen Sie damit? | |
| Weber: Dass Biden in der Pandemie mit viel Geld die Wirtschaft am Laufen | |
| gehalten und Industriepolitik betrieben hat, ist gut und richtig und ein | |
| großer Schritt in die richtige Richtung gegenüber dem, was man in | |
| Deutschland beobachtet. Aber letztlich sind die Investitionsprogramme zu | |
| weit weg gewesen von den Bedürfnissen der Leute. Wir brauchen eine | |
| Wirtschaftspolitik, die von den Bedürfnissen, von den Sorgen der Leute | |
| ausgeht. Die nicht sagt: Ihr habt keinen Abschluss in VWL, ihr versteht | |
| nicht, was wir Experten für euch machen. | |
| Wir müssen systematisch zuhören, um zu verstehen, wo die Sorgen der | |
| Menschen sind. Und dann diese Sorgen adressieren, anstatt darauf zu hoffen, | |
| dass wenn wir zum Beispiel eine Chipindustrie aufbauen, als Nebenprodukt | |
| auch ein paar Arbeitsplätze entstehen. Es muss bei der Industriepolitik von | |
| Anfang an mitgedacht werden, wie sie nicht nur den Unternehmen und der | |
| Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch den Interessen der vielen dient. | |
| taz: Was ist daran antifaschistisch? | |
| Weber: Es geht darum, wie wir Wirtschaftspolitik so gestalten, dass die | |
| Menschen sich wieder in ihrem Land zu Hause fühlen, und zwar ohne dass sie | |
| mit dem Finger auf Migranten zeigen und einer Partei mit | |
| menschenverachtenden Auffassungen in die Arme getrieben werden. Wir kommen | |
| aus mehreren Jahrzehnten des Neoliberalismus, in denen uns systematisch | |
| abgewöhnt wurde, einen gestalterischen Staat zu denken. Wir müssen das | |
| wieder wagen und die Leute mit wirklichen Alternativen zurückgewinnen, so | |
| dass die Rechten nicht die einzige Option sind, die den Status quo in Frage | |
| stellen. | |
| taz: Was bedeutet das für die Politik? | |
| Weber: Es braucht einen wirtschaftspolitischen Katastrophenschutz, also | |
| Pläne, damit nach Preisschocks wie nach dem Einmarsch Russlands in die | |
| Ukraine oder nach Naturkatastrophen die Preise von essenziellen Gütern | |
| nicht explodieren. Die Bedürfnisse der Menschen dürfen nicht als | |
| Kollateralschaden freier Preise behandelt werden. | |
| Es braucht in essenziellen Sektoren strategische Redundanzen, um | |
| Angebotsschocks abfedern zu können. Es braucht gezielte Maßnahmen wie eine | |
| Mietpreisbremse. Es braucht aber auch eine grüne Reindustrialisierung, die | |
| auf die Bedürfnisse der Leute zugeschnitten ist. Einen Solarpark zum | |
| Beispiel kann man so bauen, dass alle Leute sich darüber ärgern, weil er | |
| dort ist, wo man spazieren geht. Oder man baut Solarpaneele auf Parkhäuser | |
| und Supermärkte und entlang der Autobahnen, vielleicht sogar so, dass dabei | |
| noch Schallschutz entsteht. So baut man die Bedürfnisse der Leute | |
| systematisch in den Ausbau einer grünen Infrastruktur ein. | |
| taz: Ein Umbau [4][zu einer klimaneutralen Wirtschaft spielt sich vor | |
| allem bei Verkehr, Strom und Heizen ab], also dort, wo es um | |
| Grundbedürfnisse geht. Dass die Leute das aufregt, hat man in Deutschland | |
| beim Heizungsgesetz gesehen. | |
| Weber: Wenn man den Leuten die Idee vermittelt, dass man ihnen die Heizung | |
| aus den Wänden reißt, dann entsteht natürlich Angst. Angst ist ein ganz | |
| wichtiger Faktor beim Aufstieg der Rechten. Wenn man aber sagt, jeder | |
| Mieter hat das Recht, von seinem Vermieter zu fordern, dass eine Wärmepumpe | |
| eingebaut wird, und der Vermieter kann sich das vom Staat erstatten lassen | |
| und man muss im Sommer nicht mehr in einer überhitzen Wohnung sitzen, dann | |
| würden alle sagen, wunderbar. | |
| Auf einmal hat man einen positiven Bezug zur Energiewende. Das sind alles | |
| kleine Beispiele, letztlich braucht man einen größeren Plan. Aber diese Art | |
| zu denken, die Bedürfnisse der Menschen mit der notwendigen grünen | |
| Reindustrialisierung zusammenzubringen, ist ganz zentral. | |
| taz: Was befürchten Sie, wenn das nicht passiert? | |
| Weber: Dieses Wahlergebnis in den USA – trotz Bidens viel erfolgreicherer | |
| Wirtschaftspolitik und obwohl Trump schon mal an der Macht war –, das | |
| sollte eine Warnung sein für Deutschland. In den USA ist jetzt die Frage, | |
| wie man überhaupt mit dieser Trump-Regierung umgeht. | |
| Was kann man tun, um die Demokratie zu verteidigen, die Rechte der | |
| betroffenen Gruppen, die die ersten Zielscheiben dieser Politik werden? In | |
| Deutschland ist es noch nicht so weit. Ja, [5][unsere Regierung fällt | |
| auseinander,] aber die AfD ist noch nicht an der Macht. Es ist fünf vor | |
| zwölf. Es ist die Verantwortung aller, die sich als Demokratinnen und | |
| Demokraten verstehen, endlich eine Wirtschaftspolitik zu betreiben, die den | |
| weiteren Aufstieg der extremen Rechten systematisch verhindert. | |
| taz: Katastrophenschutz, eine Reindustrialisierung, das ist alles teuer. | |
| Woher kommt das Geld dafür? | |
| Weber: Anders als viele andere Länder hat Deutschland eine öffentliche | |
| Bank, die KfW. Man könnte sie viel strategischer mobilisieren. Der | |
| Zusammenhang zwischen Sparpolitik und Faschismus ist historisch extrem gut | |
| belegt. Ich halte es für absolut unverantwortlich, in der gegenwärtigen | |
| Krise im Wissen dieses Zusammenhangs und in Anbetracht der sehr niedrigen | |
| Staatsschuldenquote die Schuldenbremse nicht auszusetzen. | |
| Wir sind an dem Punkt, an dem auch die CDU entscheiden muss, ob sie eine | |
| demokratische Partei ist, die bereit ist, die überfällige [6][Reform der | |
| Schuldenbremse] mit voranzubringen. Oder ob sie eine Partei ist, die bereit | |
| ist, die Demokratie aus parteitaktischen Gründen in ernsthafte Gefahr zu | |
| bringen. | |
| 11 Nov 2024 | |
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