# taz.de -- Umgang mit rechten Thinktanks: Die Extrameilen | |
> Rechte Thinktanks wie das Institut für Staatspolitik haben erfolgreiche | |
> Strategien für die AfD entwickelt. Sie müssten viel ernster genommen | |
> werden. | |
Bild: Verleger und neurechter Vordenker, Götz Kubitschek in seinem Arbeitszimm… | |
In der deutschen Berichterstattung über das Umfeld des neurechten Verlegers | |
Götz Kubitschek entsteht bisweilen der Eindruck, es handle sich um einen | |
Kreis verwirrter Hochstapler. Zuletzt sprach etwa [1][die | |
Spiegel-Redakteurin Ann-Kathrin Müller] schmunzelnd von „ganz viel | |
pseudointellektuellem Gerede“, das aus dem sachsen-anhaltinischen | |
Schnellroda zu vernehmen sei. Eine solche Verharmlosung des inzwischen | |
formal aufgelösten Instituts für Staatspolitik verkennt jedoch dessen | |
Bedeutung für die radikale Rechte und führt zu einer gefährlichen | |
Unterschätzung der organisierten Gegner der liberalen Demokratie. | |
Neben dem EU-Spitzenkandidaten der AfD Maximilian Krah und der | |
Bundessprecherin der Partei Alice Weidel sind die Protagonisten der | |
Wahlerfolge im Osten, Björn Höcke, Jörg Urban und Hans-Christoph Berndt, | |
gern gesehene Gäste in der ostdeutschen „Denkfabrik“. Was erwartet sich die | |
Führungsriege der AfD von diesem Austausch? Womit werden die Politiker hier | |
ausgestattet? Und warum „braucht die AfD diese Impulse“ (Berndt)? | |
Neben der Vernetzung zwischen Partei und ihrem intellektuellen Vorfeld | |
dienen Akademien, Publikationen und Podcasts der Vermittlung strategischer | |
und ideeller Konzepte. Das Arsenal reicht von [2][Social | |
Media-Handreichungen] für ein „Tik-Tok von rechts“, das die Popularität | |
rechtsradikaler Ideen unter Jugendlichen steigern soll, über die | |
Entwicklung eines „Remigrations„konzepts, mit dem die AfD ihre drei | |
Wahlkämpfe im Osten bestritt, bis zur theoretischen [3][„Gegneranalyse“], | |
das heißt der „ausschlachtenden“ Lektüre linker Texte. | |
## Blickrichtung links | |
Die [4][neurechte „Diskurspiraterie“] ist allerdings keineswegs Ausdruck | |
intellektueller Verwirrung, sondern politisches Kalkül, das sich auszahlt. | |
Prominentes Beispiel ist die Arbeit des Politikwissenschaftlers Benedikt | |
Kaiser, der neben Kubitschek als „intellektueller Taktgeber“ der Szene | |
gilt. Sein Ziel: Theorien der Gegenseite zu „zergliedern“, „von den | |
Erkenntnissen des „Gegners“ zu lernen“ und darauf aufbauend mit eigenen | |
Theorien die „Lufthoheit über die Köpfe“ (Karlheinz Weißmann) zu erobern. | |
Der gebürtige Chemnitzer entstammt ursprünglich dem Neonazimilieu und | |
arbeitete fast ein Jahrzehnt als Lektor und Redakteur für die „Sezession“, | |
der Hauszeitschrift des Instituts für Staatspolitik. Heute sitzt Kaiser | |
nicht mehr in Schnellroda, sondern in Berlin: als Mitarbeiter des | |
AfD-Abgeordneten Jürgen Pohl im Deutschen Bundestag. | |
Aber nicht nur er selbst hat den Weg ins Herz des bundesdeutschen | |
Parlamentarismus geschafft, auch seine Ideen und Begriffe werden im | |
antiliberalen Diskurs breit rezipiert und zeigen Wirkung. Ausgangspunkt | |
sind häufig Begriffe, die die Mehrheit eigentlich als „linke“ Signalworte | |
kennt: Entfremdung, Kommodifizierung des Lebens, Solidarität. Seine Bücher | |
heißen entsprechend: „Blick nach Links“, „Marx von Rechts“ und „Quer… | |
Damit folgt er der Strategie seiner neurechten Säulenheiligen Alain de | |
Benoist, Dominique Venner und Henning Eichberg, linke Lektüre im rechten | |
Kampf um „kulturelle Hegemonie“ fruchtbar zu machen. Dabei gehe es um die | |
„Veränderung des Alltagsverstands der Menschen im vorpolitischen, | |
kulturellen, medialen Raum für eine wirkliche Umgestaltung der Realität“. | |
Das sei wichtiger als „ein, zwei Prozentpunkte mehr im parlamentarischen | |
Raum“, so Kaiser. | |
## Konfusion als rechte Chance | |
Doch Kaiser bleibt bei der selektiven Lektüre der „Gegenseite“ nicht | |
stehen. Er möchte der „Intellektuellenfeindschaft“, die er als das | |
„Grundproblem des patriotischen Lagers“ ansieht, entgegentreten. Der auf | |
Emotionen setzende Rechtspopulismus „gegen Merkel“, „gegen die Ampel“ u… | |
„gegen den Heizungshammer“, den er von Hans Georg Maaßen über Julian | |
Reichelt bis hin zu AfD-Politikern vertreten sieht, müsse komplementär | |
ergänzt werden durch eine praxisorientierte, „prononciert rechte | |
Theoriearbeit“. | |
Bei dem Versuch der Umsetzung dieses Vorhabens entstehen vor allem | |
eklektische Denkfiguren wie die des „solidarischen Patriotismus“. Der | |
Begriff war bei der Veröffentlichung seines gleichnamigen Buches zwar weder | |
neu, noch liefert er darin ein ausgearbeitetes Konzept. Dennoch enthält es | |
die notwendigen Begriffe und ideologischen Versatzstücke für eine im Rahmen | |
des Sagbaren vertretbare Politik der Ethnoökonomie. So beschreibt er eine | |
„relativ ethnisch homogene“ und „relativ sozial homogene“ Bevölkerung … | |
die Basis für ein funktionierendes Miteinander. Er fordert, „Arbeit (zu) | |
entlohnen und (zu) würdigen, nicht Spekulation“, da die „Verpflichtung fü… | |
Ganze“ über dem Einzelnen stehe. Indem er das Bild eines schlechten | |
Kapitalismus auf der einen und einer guten Marktwirtschaft auf der anderen | |
Seite zeichnet, streift er ferner die antisemitisch konnotierte | |
Dichotomisierung von „raffendem“ und „schaffendem“ Kapital. Statt einer | |
sozial und ethnisch diversen Gesellschaft steht am Ende das Ziel einer | |
homogenen Gemeinschaft. | |
Da diffus bleibt, was „relativ“ ethnisch homogen nun konkret bedeutet, | |
vernebelt Kaiser die Angriffsfläche für den Vorwurf, eine | |
nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“ anzustreben. Gleichzeitig | |
bewahrt er aber unter Bezug auf Otto Strasser, Carl Schmitt und Hans Zehrer | |
die Radikalität im Kampf gegen westliche „Dekadenz“. Björn Höcke | |
formulierte erklärtermaßen nach diesen Grundsätzen das Thüringer | |
Rentenpapier der AfD-Fraktion. | |
## Die Infiltration des Alltags | |
Wie man diese Ideologeme nun unter die Leute bringt, auch darauf hält | |
Schnellroda für seine Aktivisten eine Antwort parat. Unter der Vorstellung | |
eines metapolitischen Raums, den es sprachlich und ideologisch zu besetzen | |
gelte, werden die Sozialen Medien mit rechtem Material geflutet. Ob mit | |
einem von künstlicher Intelligenz generierten „Abschiebelied“ samt | |
Musikvideo, mit zusammengefügten Clips gewalttätiger Migranten als rechter | |
Spin des Talahon-Trends, oder mit Reel-gerecht geschnittenen Videos von | |
AfD-Politikern, die in Talkshows Vertreter der sog. Kartellparteien und | |
-presse vermeintlich „in die Schranken weisen“: Auf YouTube, Instagram und | |
Twitter sollen die Nutzer über Algorithmen in das Rabbit Hole eines | |
bedrohlichen Krisenzustands hineingeführt werden – gepaart mit dem Angebot | |
einer radikalen Antwort. | |
## Bedeutung des Instituts für die AfD ist enorm | |
Indem die Urheber ihre Videos den jeweiligen Sehgewohnheiten auf den Apps | |
anpassen, forcieren sie maximale Klickzahlen. Die genaue Anleitung dafür, | |
also wie lang, wie viele Schnitte und welche musikalische Untermalung ein | |
Video bestenfalls haben sollte, lieferte letztes Jahr der rechtsextreme | |
Influencer Erik Ahrens auf der „Sommerakademie“ des Instituts für | |
Staatspolitik. Es ist genau dieser Eingriff in die Populärkultur, den | |
Kaiser fordert, um eine „implizite Ideologisierung“ (Benoist) des Bürgers | |
zu erreichen. Wie wirksam diese bereits jetzt ist, zeigen die aktuellen | |
Zuspruchswerte für die AfD unter Jugendlichen, der Kernnutzergruppe dieser | |
Medien. | |
Ob also durch die Analyse des politischen Gegners, eigene Theoriebildung | |
oder mit Beiträgen zur Politisierung potenzieller Wählerkreise auf den | |
Social-Media-Plattformen, die Bedeutung des Instituts für Staatspolitik und | |
seiner Nachfolgeorganisationen für die AfD ist enorm. | |
Daher verwundert es kaum, dass die Partei den Kontakt zur ostdeutschen | |
„Denkfabrik“ immer stärker sucht. Durch die Mehrarbeit, die man unter | |
anderem in Schnellroda als „rechter Outlaw“ habe leisten müssen, sei die | |
Szene Kaiser zufolge in eine Position gekommen, die es ermöglicht, die | |
Partei und ihren gemäßigten „Parlamentspatriotismus“ immer weiter | |
„voranzutreiben“. Dass die AfD sich seit ihrer Gründung gemäß der Impulse | |
ihres rechtsintellektuellen Vorfelds kontinuierlich radikalisiert und dabei | |
gleichzeitig erfolgreicher wird, kann durchaus als Ergebnis dessen | |
angesehen werden, was Kaiser die neurechte „Extrameile“ nennt. | |
Was bedeutet das für die intellektuelle und politische Auseinandersetzung? | |
Klar ist: Die strategisch-ideelle Arbeit von Kubitschek, Kaiser und Co. | |
kann angesichts ihrer Erfolge nicht einfach als Hochstapelei abgetan | |
werden. Die liberale Antwort muss mindestens mit einer nüchternen Analyse | |
aufwarten, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Rekordergebnisse der AfD | |
bei den Landtagswahlen im Osten. Denn so redlich die Motive dahinter auch | |
sein mögen: Zu schmunzeln, wenn der Gegner stärker wird und den Weg der | |
intellektuellen Auseinandersetzung zu meiden, hat auf lange Sicht die | |
gleichen Folgen, wie auf die Extrameile seines Konkurrenten mit einer | |
Abkürzung zu reagieren. Wohlgemerkt auf unbekanntem Terrain. | |
10 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.spiegel.de/politik/kubitschek-elsaesser-co-das-netzwerk-hinter-… | |
[2] /Medienforscher-zu-Nazis-auf-Social-Media/!6036848 | |
[3] /Rechtes-Magazin-Compact/!5873719 | |
[4] /Treffen-von-AfD-Politikern-mit-Neonazis/!6034283 | |
## AUTOREN | |
Johannes Geck | |
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