| # taz.de -- Klimawandel und Extremwetter: „Jeder Mensch muss was von Hydrolog… | |
| > Hochwasser, Starkregen und Dürre treten häufiger und extremer auf. Wir | |
| > brauchen neue Begriffe, um darüber zu sprechen, sagt Forscher Thorsten | |
| > Wagener. | |
| Bild: Die Flut im Ahrtal 2021 hat auch große Teile der Infrastruktur vor Ort b… | |
| taz: Herr Wagener, es fühlt sich an, als käme es ständig zu | |
| Jahrhunderthochwassern. Was ist das überhaupt? | |
| Thorsten Wagener: Das ist erst mal eine rein statistische Betrachtung. Aus | |
| Zeitreihen, die oft keine hundert Jahre lang sind, versucht man dabei | |
| abzuleiten, welcher Wasserpegel in einem Zeitraum von hundert Jahren zu | |
| erwarten ist. Dies dient oft als Grundlage für Überschwemmungskarten oder | |
| als Designvariable für Deiche und andere Maßnahmen zum Hochwasserschutz. | |
| Gerade in den vergangenen Jahren traten starke Hochwasser aber immer | |
| häufiger auf, deswegen stellt sich die Frage, ob das so ein glücklicher | |
| Begriff ist. | |
| taz: Warum treten starke Hochwasser häufiger auf? | |
| Wagener: Unser Klimasystem ändert sich. Die statistischen Annahmen, mit | |
| denen wir etwa das Jahrhunderthochwasser berechnen, gehen aber von einem | |
| stationären System aus. Es gab auch in der Vergangenheit Perioden mit | |
| häufigeren Ereignissen, die die Statistik durcheinandergewirbelt haben, | |
| etwa als es in den 1990ern mehrere Jahre hintereinander in den Niederlanden | |
| starke Hochwasser gab. Mittlerweile sind die Auswirkungen des Klimawandels | |
| aber immer stärker sichtbar, und das wirkt sich merklich auf den | |
| Wasserkreislauf aus. Deswegen sehen wir immer mehr Extreme und können | |
| gleichzeitig mit Begriffen wie „Jahrhunderthochwasser“ immer weniger | |
| anfangen. | |
| taz: Also verwenden wir die falschen Begriffe? | |
| Wagener: Gerade in den Medien werden oft Begriffe verwendet, die nicht mehr | |
| angebracht sind. Es ist zum Beispiel oft nicht hilfreich, über | |
| Naturkatastrophen zu reden. Das deutet an, dass die Natur irgendwas macht | |
| und wir dem ausgeliefert sind oder nichts damit zu tun haben. Die | |
| Auswirkungen von Naturkatastrophen sind aber davon abhängig, was wir | |
| machen, zum Beispiel wie und wo wir bauen. Auch der Begriff des | |
| Jahrhunderthochwassers suggeriert erst mal, dass wir nach einem dieser | |
| Ereignisse ein paar Jahrzehnte sicher sind, obwohl sich der gesamte | |
| Wasserkreislauf so stark ändert, dass es immer öfter auftreten kann. Wir | |
| brauchen eine neue Idee von Risiko und Risikokommunikation. Wir können | |
| unsere Einschätzung nicht mehr nur von historischen Daten ableiten. Wenn | |
| Sie sich etwa im Ahrtal die Karten mit den Überschwemmungen und den vorher | |
| ausgewiesenen Hochwasserzonen anschauen, liegen diese weit auseinander. | |
| taz: Was kann dann die Grundlage für Risikoanalysen sein? | |
| Wagener: Wir sollten nicht nur fragen, was wahrscheinlich passiert, sondern | |
| was überhaupt möglich ist. Eine Möglichkeit ist, dass wir einen Computer | |
| viele verschiedene Niederschlagsszenarien berechnen lassen und dann | |
| modellieren, welchen Einfluss diese hätten. Man kann natürlich nicht an | |
| jedem kleinen Fluss einen Damm bauen, aber so kann man sich zumindest des | |
| Risikos etwas bewusster werden und die Menschen entsprechend | |
| sensibilisieren. Es ist schwierig, sich immer richtig zu verhalten, wenn | |
| wir solche Extreme noch nie selbst erlebt haben oder wenn die | |
| Hochwasserzonen zu klein geschätzt sind. Bei der Flut im Ahrtal etwa | |
| starben viele der Opfer in Bereichen, wo sie sich sicher glaubten. Auch | |
| entwickelt sich das Risiko an unterschiedlichen Orten sehr verschieden. In | |
| einigen Regionen steigt die Gefahr, während sie andernorts sinkt. | |
| taz: In Zentralafrika kam es zuletzt zu verheerenden Überschwemmungen, wie | |
| ist das zu erklären? | |
| Wagener: Durch die Erwärmung der Atmosphäre steigt die | |
| Niederschlagsintensität, weil wärmere Luft mehr Feuchtigkeit speichern | |
| kann. Zudem sind die extremen Niederschläge jetzt in dafür ungewöhnlichen | |
| Regionen gefallen. Das hängt mit großräumigen Verschiebungen zusammen, die | |
| durch den Klimawandel zumindest beeinflusst werden. Die Böden dort sind oft | |
| sehr trocken und von Dürren betroffen, weshalb sie Wasser schlecht | |
| aufnehmen. Aus dem abfließenden Wasser bilden sich reißende Bäche und | |
| Flüsse. Das kann die Infrastruktur wie Staudämme zusätzlich belasten und | |
| überfordern. | |
| taz: Wie können die neuen Risiken verständlich kommuniziert werden? | |
| Wagener: Das muss immer mehr Teil der Allgemeinbildung werden. Jeder Mensch | |
| muss ein bisschen was von Hydrologie und vor allem hydrologischen Extremen | |
| verstehen. Wichtig ist dabei, dass alle Menschen dieses Wissen für ihre | |
| Region begreifen. Wir können nicht allgemein sagen, dass 200 Liter Regen in | |
| einer Stunde überall zu einem Riesenunglück führen. Wenige Wochen nach der | |
| Flut im Ahrtal gab es beispielsweise in Potsdam ein ähnliches | |
| Niederschlagsereignis, aber unter komplett anderen Grundbedingungen. Der | |
| Regen hat nicht zu einer Flut geführt, sondern nur lokal die Straßen | |
| blockiert, denen man auf dem Fahrrad ausweichen musste. Deswegen müssen die | |
| Menschen die Besonderheiten ihrer Region kennen. Gibt es gefährliche Täler? | |
| Welcher Fluss hat die größte Hochwassergefahr? Wohin fließt Niederschlag | |
| hier ab? | |
| taz: Gibt es Länder oder Orte, die da Vorbild sein können? | |
| Wagener: Ich war vor Kurzem zu einer Forschungsreise in China. Da habe ich | |
| ein System gesehen, wo die Gullys auf Straßen mit einem Netz unter dem | |
| Deckel versehen werden. Bei starkem Niederschlag kann es vorkommen, dass | |
| der Deckel weggeschwemmt wird, dann entwickelt sich so ein Gully zu einer | |
| kaum sichtbaren Falle. Durch die Netze können Menschen trotzdem nicht | |
| hineinfallen. Solche kleinen Anpassungen können einen wichtigen Beitrag zum | |
| besseren Umgang mit Extremwetter leisten. | |
| taz: Wie gut ist die Infrastruktur hierzulande auf das, was der Klimawandel | |
| in den nächsten Jahren mitbringt, vorbereitet? | |
| Wagener: In den vergangenen Jahren ist mehr investiert und verbessert | |
| worden. Das große Problem ist allerdings, dass unser politisches System oft | |
| nicht vorsieht, dass wir Geld investieren, ohne dass vorher etwas passiert | |
| ist. Immerhin nimmt das Problembewusstsein zu. Ich hoffe sehr, dass wir | |
| bald ganzheitlicher über den Wandel des Wasserkreislaufs nachdenken. | |
| Maßnahmen zur Hochwasserprävention haben auch einen Einfluss auf Dürren. | |
| Das müssen wir alles zusammen neu denken. | |
| taz: In den USA sind durch Hurrikane zuletzt mehr als 200 Menschen | |
| gestorben. Liegt das daran, dass die Menschen es nicht ernst nehmen, wenn | |
| sie aufgefordert werden, ihre Häuser zu verlassen? | |
| Wagener: Jede Person kann mit ihrem Verhalten einen Beitrag zur eigenen | |
| Sicherheit leisten. Die Vorhersage von großen Systemen wie einem Hurrikan | |
| ist inzwischen relativ präzise möglich. Da sind riesige Regionen | |
| betroffen, extremer Niederschlag tritt hingegen oft nur sehr lokal auf. Den | |
| genauen Ort vorherzusagen ist schwierig. Natürlich müssen sich die Menschen | |
| in den Hurrikan-Gebieten dann aber dazu entscheiden, den Empfehlungen der | |
| Behörden zu folgen. Der Sheriff des Taylor County in Florida hat die | |
| Menschen, die trotz aller Warnungen in ihren Häusern bleiben wollten, | |
| gebeten, ihr Geburtsdatum und ihren Namen auf den Unterarm zu schreiben, | |
| damit sie im Todesfall einfacher identifiziert werden können. Ich denke, | |
| das war ein Versuch der Polizei, den Menschen die Gefahr sehr deutlich zu | |
| machen. | |
| taz: Wie verhalte ich mich, wenn es bei mir zu Hause zu Hochwasser kommt? | |
| Wagener: Eine wichtige Regel ist, niemals in den Keller zu gehen. Selbst | |
| wenn das Wasser in einem Kellerraum weniger als einen halben Meter hoch | |
| steht, bekommt man die Tür schnell nicht mehr auf. Dann wird der Keller zum | |
| tödlichen Gefängnis. Dies kam auch im Ahrtal vor. Wichtige Dokumente | |
| sollten daher nicht im Keller aufbewahrt werden. | |
| 27 Oct 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Yannik Achternbosch | |
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