# taz.de -- Forscher Knutti über die Klimakrise: „Abwarten wäre der falsche… | |
> Extremwetter wie Hurrikan Milton werden durch den Klimawandel häufiger. | |
> Forscher Reto Knutti fordert staatliches Handeln zur Meisterung der | |
> Krise. | |
Bild: Mit Abwarten und Nichtstun werden Extremwetter wie Hurrikan Milton nicht … | |
taz: Herr Knutti, noch vor wenigen Jahren gingen Hunderttausende Menschen | |
bei [1][Fridays for Future] auf die Straße. Heute sorgen allenfalls noch | |
die Klimakleber für Aufsehen. Warum hat das Interesse an der Klimakrise | |
derart nachgelassen? | |
Knutti: Ich würde das nicht ganz unterschreiben. Wenn die Menschen in | |
Umfragen gefragt werden, was ihre größten Sorgen sind, ist der Klimawandel | |
immer noch hoch auf der Agenda, zum Teil extrem hoch. Es liegt in der Natur | |
solcher Bewegungen, dass sie sich nicht über Jahre hinweg aufrechterhalten. | |
Nach der enormen Wachstumskurve am Anfang gibt es zwei Möglichkeiten: | |
Entweder solche Bewegungen radikalisieren sich oder sie zerfallen. Wir | |
haben beides gesehen. | |
taz: Theoretisch gäbe es noch eine dritte Möglichkeit: dass die | |
Klimaproteste enden, weil die Politik den Klimaschutz konsequent umsetzt. | |
Warum glauben Sie, kam es nie dazu? | |
Knutti: Auch Gegenbewegungen sind normal. Außerdem hatten die Leute in den | |
letzten Jahren viele andere Sorgen, von Covid über den Krieg bis zur | |
Inflation. Im Moment brennt die Welt an allen Ecken und Enden. In Zeiten | |
von wirtschaftlichen und sozialen Spannungen kommen sofort rechtsnationale | |
Tendenzen ins Spiel. | |
taz: Mit der Folge, dass letztes Jahr das 1,5-Grad-Ziel, das die | |
Weltgemeinschaft auf der Pariser Klimakonferenz beschlossen hat, zum ersten | |
Mal gerissen wurde. Was bedeutet das fürs weltweite Klima? | |
Knutti: Die [2][1,5-Grad-Marke] wurde in einem Jahr überschritten. Das ist | |
noch nicht gleichbedeutend damit, dass sich die Welt im langfristigen | |
Durchschnitt um mehr als 1,5 Grad erwärmt. Aber es wird so weit kommen, das | |
ist völlig klar. Irgendwann in den 2030er-Jahren passiert das. Wir sind | |
nicht annähernd auf Kurs, weil geopolitische Themen gerade wichtiger sind. | |
Der Umwelt- und Klimaschutz tritt in solchen Phasen immer zurück, obwohl | |
der Klimawandel natürlich keine Pause macht. Wir sehen es überall an den | |
Hochwassern, den Felsstürzen, den Waldbränden. | |
taz: Auf welche Klimaveränderungen müssen wir uns Europa in den nächsten | |
zehn, 20 oder 30 Jahren einstellen? | |
Knutti: Zehn Jahre sind vielleicht ein bisschen kurz. Aber wenn wir 30 | |
Jahre oder mehr in die Zukunft gehen, dann haben wir in den letzten Jahren | |
einen Vorgeschmack bekommen: Hitzerekorde überall, Starkniederschläge, | |
Dürre. Diese Ereignisse werden weit über das hinausgehen, was man in der | |
Vergangenheit gesehen hat. | |
taz: Welches dieser Phänomene verursacht die größten Schäden? | |
Knutti: Das kommt darauf an, wie man die Schäden definiert. Wenn man die | |
Todesfälle betrachtet, ist es eindeutig die Hitze. In der Schweiz sterben | |
schon heute mehr Menschen an Hitze als im Straßenverkehr. Ökonomisch sind | |
es vor allem die Naturkatastrophen – Hochwasser ist unheimlich teuer. Die | |
Dürren wirken sich auf die Nahrungsmittelversorgung und auch auf die Preise | |
aus. Langfristig kommt der Meeresspiegelanstieg hinzu – was wiederum zu | |
noch mehr Migration und geopolitischen Spannungen führen wird. | |
taz: Ist der Klimawandel ein Problem der Städte oder trifft es vor allem | |
den ländlichen Raum? | |
Knutti: Auch das ist unterschiedlich. Das Land hat Probleme mit der | |
Trockenheit, die Berge mit Felsstürzen, Hochwasser und auftauendem | |
Permafrost. Die Städte leiden vor allem unter der Hitze. Ich halte es aber | |
für gefährlich, immer nur vor der Haustür zu schauen. Wir realisieren oft | |
nicht, dass wir in Europa ökonomisch mehr vom Klimawandel im Ausland | |
betroffen sind als vom Klimawandel innerhalb unserer Landesgrenzen. Die | |
Schweiz ist nicht reich, weil sie Emmentaler herstellt, sondern weil sie | |
ein globales Dienstleistungsland ist. Wenn es den Ländern um uns herum | |
schlechter geht, spüren wir das. | |
taz: Könnte es auch sein, dass die Wissenschaft sich täuscht und die Folgen | |
am Ende doch nicht so schlimm werden? Zum Beispiel, weil der Golfstrom | |
versiegt und sich unsere Hemisphäre dadurch abkühlt… | |
Knutti: Natürlich sind Temperatur-Prognosen nie ganz exakt. Aber sie sind | |
genau genug, dass man starke Veränderungen sieht. Bei Kipppunkten wie dem | |
Golfstrom sind die Unsicherheiten wesentlich größer. Dass wir uns komplett | |
irren und die Temperaturen plötzlich in die andere Richtung gehen? Diese | |
Wahrscheinlichkeit geht gegen null. Die Frage ist eher, was diese | |
Unsicherheit bedeutet. Ist sie ein Grund, nichts zu tun und abzuwarten? Aus | |
einer Risikoperspektive wäre das der falsche Weg. Gerade wenn die | |
Spannbreite der Risiken groß sind – und damit auch die potenziellen Schäden | |
–, sollte man lieber vorsichtiger sein. | |
taz: Was aber leider nicht oft passiert. Nach der [3][Flutkatastrophe im | |
Ahrtal] mit über 100 Toten und Milliardenschäden bauen viele Anwohner ihre | |
Häuser an derselben Stelle wieder auf. Lernt die Menschheit nicht aus ihren | |
Fehlern? | |
Knutti: Wir sind vor allem schlecht im Vorausschauen. Wenn man eine | |
Versicherung abschließen soll für eine Katastrophe, die noch nie da war, | |
werden das die meisten nicht machen. Wir vergessen und verdrängen auch sehr | |
schnell. In Deutschland treten bei Naturkatastrophen immer wieder Politiker | |
vor die Kameras und sagen: „Wer hätte das voraussehen können?“ Dabei haben | |
wir es immer vorausgesagt! Die letzte Flut war sogar erst ein paar Jahre | |
her. Es ist einfach politisch nicht attraktiv, Geld für etwas auszugeben, | |
damit etwas nicht passiert. | |
taz: Gibt es trotzdem positive Beispiele von Städten oder Ländern, die | |
solche vorausschauenden Klima-Anpassungen vornehmen? | |
Knutti: Mehr oder weniger, vor allem in Orten, in denen solche Ereignisse | |
regelmäßig passieren. Die Schweiz gehört zu den positiveren Beispielen, | |
genau wie der alpine Raum insgesamt. Dort ist die Häufigkeit von | |
Felsstürzen, Lawinen und Hochwassern groß genug, dass die Leute meist | |
vorausschauend denken. Sobald aber mal 20 oder 30 Jahre nichts passiert, | |
ist es damit schnell wieder vorbei. Mir fällt kein Land ein, das den | |
Klimaschutz konsequent in allen Bereichen umsetzt. | |
taz: In Interviews betonen Sie regelmäßig, dass Investitionen in den | |
Klimaschutz langfristig sogar Geld sparen könnten. Wie meinen Sie das? | |
Knutti: Das ist sowohl bei der Anpassung als auch bei der Vermeidung der | |
Fall. Beim Hochwasserschutz wissen wir, dass jeder investierte Euro mehr | |
als einen Euro an Schäden einspart. Der verhinderte Schaden ist also größer | |
als die Investition. Bei der Vermeidung verhält es sich ähnlich: Eine Tonne | |
CO2 zu vermeiden, kostet weniger als die Schäden, die durch die Freisetzung | |
entstehen würden. Und die sind hoch: Jede Tonne kostet zwischen 500 und | |
1000 Franken, wenn man alle entstehenden Schäden zusammenrechnet. | |
taz: Länder wie Frankreich setzen weiter auf Atomkraft, weil dadurch | |
weniger Klimagase entstehen als bei der Kohleverbrennung. Wie stehen Sie | |
als Klimaforscher dazu? | |
Knutti: Aus CO2-Sicht kann man die Atomkraft durchaus als klimafreundlich | |
bezeichnen. Aber natürlich stellt sich die Frage, wie man mit dem Atommüll | |
umgeht. Ich denke, dieses Problem ist lösbar. Nicht ganz so einfach sieht | |
es mit dem Uran aus. Wo soll das alles herkommen? Am Ende ist die Atomkraft | |
eine Übergangstechnologie. Sie ist relativ teuer, aufwändig, und es bleibt | |
ein Restrisiko. In der Schweiz dauert es 20 bis 25 Jahre, bis ein neues | |
Atomkraftwerk gebaut ist. Da sind die Alternativen wesentlich schneller, | |
günstiger und ungefährlicher. Wind, Sonne und Geothermie kombiniert mit | |
Wasserkraft und Batteriespeichern werden das Problem langfristig besser | |
lösen. Wir haben kein Technologieproblem; die Lösungen liegen auf dem | |
Tisch. Unser Problem ist, dass wir uns nicht einig sind, wie wir den | |
Klimaschutz umsetzten, wo wir das tun und wer dafür bezahlt. | |
taz: Da gibt es natürlich das beliebte Gegenargument: „Warum sollen wir uns | |
für den Klimaschutz abrackern, während China und die USA weiter Kohle | |
verfeuern?“ | |
Knutti: Die USA werden aus der Kohleverstromung aussteigen; sie ist heute | |
schon massiv zurückgegangen. Auch das Argument mit China finde ich grotesk. | |
Die [4][deutschen Automobilhersteller] haben heute schon Probleme, ihre | |
Verbrenner dort zu verkaufen. China hat bei Photovoltaik und Batterien den | |
Markt übernommen, und sie werden es auch bei Elektrofahrzeugen tun. Der | |
Verbrennungsmotor hat keine Zukunft – nicht, weil man ihn verbieten müsste, | |
sondern weil andere Technologien besser, angenehmer und günstiger sind. | |
taz: Was halten Sie von der Idee, CO2 mit technischen Mitteln aus der | |
Atmosphäre zu entfernen? | |
Knutti: Ohne die CO2-Entfernung geht es nicht. Gar kein CO2 mehr | |
auszustoßen, wird in bestimmten Industrien einfach nicht möglich sein, zum | |
Beispiel bei der Kunststoffherstellung oder in der Luftfahrt. Deshalb muss | |
man die Emissionen an einem anderen Ort wieder entfernen. Im Moment ist das | |
noch teuer, aber die Technologie existiert. Wenn die politischen Mehrheiten | |
da sind, um den CO2-Preis zu erhöhen, wird sich dafür auch ein Markt | |
eröffnen. | |
taz: Was können Einzelpersonen für den Klimaschutz tun? | |
Knutti: Die größten Klimasünder sind Autos mit Verbrennungsmotor, Öl- und | |
Gas-Heizungen, die Luftfahrt und die Ernährung. Das heißt: Besser ein | |
kleines Fahrzeug nutzen, das mit Batterie fährt – oder ganz darauf | |
verzichten. Weniger fliegen. Bei Gebäuden eine Wärmepumpe einbauen, am | |
besten in Kombination mit Photovoltaik. Weniger Fleisch essen und überhaupt | |
weniger konsumieren. Aber wir dürfen uns nicht blenden lassen: Ein so | |
großes Problem wie die Klimakrise kann man nicht ohne den Staat lösen. Kein | |
Individuum kann ein [5][Bahnnetz] bauen oder einen Radweg auf die Straße | |
pinseln. Für funktionierenden Klimaschutz muss es einen verbindlichen | |
politischen Rahmen geben, sei es ein Verbot, eine Subvention oder eine | |
Steuer. | |
13 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Klimabewegung-in-den-USA/!6038183 | |
[2] /Hurrikans-in-den-USA/!6038606 | |
[3] /Vom-Ahrtal-ins-Tiny-House/!6015124 | |
[4] /Krise-bei-VW/!6036293 | |
[5] /Neue-Studie-zeigt/!6040965 | |
## AUTOREN | |
Steve Przybilla | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Klimaschutzziele | |
Extremwetter | |
Hurrikan | |
Hochwasser | |
Social-Auswahl | |
klimataz | |
Hochwasser | |
wochentaz | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
GNS | |
Kolumne Radsam zur COP | |
Energiewende | |
Hurrikan | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Dokumentation | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Soziologe über Naturkatastrophen: „Die Gesellschaft lernt beim Extremwetter … | |
Laut dem Soziologe Marcel Schütz geht die Gesellschaft immer besser mit | |
Naturkatastrophen um. Es gibt einen Fortschritt gegenüber der | |
Vergangenheit. | |
Klimawandel und Extremwetter: „Jeder Mensch muss was von Hydrologie verstehen… | |
Hochwasser, Starkregen und Dürre treten häufiger und extremer auf. Wir | |
brauchen neue Begriffe, um darüber zu sprechen, sagt Forscher Thorsten | |
Wagener. | |
Hiobsbotschaft fürs Klima: Neuer CO2-Rekord | |
Die Treibhausgas-Konzentration in der Erdatmosphäre steigt stark an. | |
Offenbar schwindet die Kapazität der Ökosysteme, Kohlendioxid zu binden. | |
Ökonomen für gerechtes Klimageld: Genug für Arme, nichts für Reiche | |
Der CO2-Preis wird steigen. Ökonomen des Deutschen Instituts für | |
Wirtschaftsforschung fordern ein Klimageld als Ausgleich für steigende | |
Energiekosten. | |
Mit dem Rad zur Klimakonferenz in Baku: Ein Kontinent an Eindrücken | |
Radreisen fernab der Heimat sind super, um Abstand zur Newshektik zu | |
gewinnen, denkt unser Autor. Aber in Tiflis wird ihn die Politik wieder | |
einholen. | |
Große Batteriespeicher: Der nächste Schritt der Stromwende | |
Große Batteriespeicher werden wichtiger für die Energiewende. Laut einer | |
Studie verfünffacht sich ihre installierte Leistung in den nächsten 2 | |
Jahren. | |
Hurrikans in den USA: It’s the Klimawandel, stupid! | |
Die Erderwärmung macht zerstörerische Hurrikans wahrscheinlicher, sagen | |
Wissenschaftler. Vor allem das wärmere Meerwasser ist verhängnisvoll. | |
Klimapolitik: Fridays for Fortschritt | |
Die Klimakrise eskaliert, aber Klimapolitik ist unbeliebt. Dabei könnte sie | |
bei der Bundestagswahl zum Gewinnerthema werden. | |
Doku über Klimaaktivismus: Im Widerstand gegen die Verdrängung | |
„System Change“ porträtiert kompromisslos junge Klimaaktivist:innen. | |
Gezeigt wird ihr Versuch, trotz aller Anfeindung irgendwie weiterzumachen. |