| # taz.de -- Doku über Klimaaktivismus: Im Widerstand gegen die Verdrängung | |
| > „System Change“ porträtiert kompromisslos junge Klimaaktivist:innen. | |
| > Gezeigt wird ihr Versuch, trotz aller Anfeindung irgendwie | |
| > weiterzumachen. | |
| Bild: Ein Aktivist bei der Arbeit in „System Change“ | |
| Grau und kalt ist es im Dannenröder Wald. Scheinwerfer kegeln durch die | |
| Nacht, Polizist:innen sind in die Waldbesetzung eingedrungen. Eine | |
| Aktivistin filmt sie aus einem Baumhaus. Die Polizei verprügle unten gerade | |
| alle, die sich noch auf dem Boden befinden, sagt sie. | |
| Aus einem anderen Baumhaus heraus ruft eine bebende Stimme: „Wenn ihr | |
| denkt, dass ihr uns so vertreibt, habt ihr euch ganz schön getäuscht! Wir | |
| kommen immer wieder und wir werden immer wütender … Ich werde immer | |
| wütender!“ In den Worten liegt viel Verzweiflung und Traurigkeit. | |
| Mit der [1][Dokumentation „System Change“] ist dem Biologen Klaus | |
| Sparwasser ein brutales und ehrliches Porträt der Lebenswelt junger | |
| Klimaaktivist:innen gelungen. Es ist ein Film von einem Aktivisten | |
| für Aktivist:innen, eine bildgewaltige Darstellung der Wahrnehmung ihres | |
| Kampfes gegen die fossile Welt. Der Schwerpunkt ist die [2][Räumung des | |
| Dannenröder Walds für den Ausbau der A49 2020], doch auch der [3][Kampf um | |
| Lützerath 2023] und die [4][Proteste gegen LNG-Terminals in Brunsbüttel] | |
| Anfang dieses Jahres kommen vor. | |
| Der Film geht unter die Haut. Mit dramatischer Musik unterlegt, wechseln | |
| sich Szenen von Polizeigewalt, umfallenden Bäumen und durchgebrochenen | |
| Polizeiketten ab. Dazwischen erklären Wissenschaftler:innen und | |
| Aktivist:innen in Interviews die Klimakrise – und warum das Unvermögen | |
| der Politik, dieser wirklich etwas entgegenzusetzen, systemische Gründe | |
| hat. | |
| „In bisherigen kapitalistischen Entwicklungsschüben wurden Krisen stets | |
| durch eine Ausweitung der Unterwerfung der Welt gelöst, also durch | |
| Wachstum. Das Problem in der Ökokrise ist, dass wir uns planetaren Grenzen | |
| nähern“, führt etwa der Aktivist und Politikwissenschaftler Tadzio Müller | |
| aus. | |
| ## Wie seinen Platz in der Welt finden? | |
| Doch die wirkliche Stärke der Doku liegt in der Darstellung, was dieser | |
| Kampf mit den Aktivist:innen macht. „Ich weiß nicht, wie ich meinen | |
| Platz in dieser Welt finden soll“, sagt zum Beispiel „Pippi“, eine junge, | |
| vermummte Aktivistin mit trauriger Stimme. Niemals wolle sie, dass die Wut | |
| und Verbitterung, die Politiker:innen und Polizist:innen in ihr | |
| auslösten, sich irgendwann in ihrem Charakter niederschlägt. „Da kämpfe ich | |
| jeden Abend in mir, dass ich schaffe, das umzuwandeln“, sagt sie. | |
| Verzweifeln lässt Pippi auch, dass die Mehrheitsgesellschaft die Klimakrise | |
| verdrängt und deshalb nichts von ihrem Kampf wissen will. „Wir sind die | |
| Bösen. In den Medien, für die Mitte der Gesellschaft, für die Polizisten. | |
| Und dann sitze ich auf dem Baum und verstehe die Welt nicht mehr“, sagt | |
| sie. | |
| „Maya“, eine weitere Aktivistin, erzählt unter Tränen, wie fortwährend n… | |
| Gründen gesucht würde, den Aktivist:innen nicht zuhören zu müssen. Maya | |
| sagt: „Sobald irgendwo eine Rauchbombe ist, sind unsere Argumente nicht | |
| mehr relevant, dann ist nicht mehr relevant, wofür wir einstehen und dass | |
| wir eigentlich diese Welt verbessern wollen.“ | |
| Den Ausweg sieht Regisseur Sparwasser im wachsenden Widerstand, in der | |
| „Story of Growing Resistance“, wie es im Untertitel heißt. Angesichts einer | |
| politischen Lage, in der zwar [5][eine Flutkatastrophe die nächste jagt], | |
| die Priorität bürgerlicher Politik aber auf der [6][Abschottung in der | |
| Festung Europa] zu liegen scheint, wirkt das ebenfalls etwas verzweifelt. | |
| ## Der Stand der Bewegung | |
| Das Möglichkeitsfenster, das während des Peaks der Klimabewegung vor | |
| einigen Jahren gegeben war, scheint momentan geschlossen. Unfreiwillig wird | |
| der Film so zu einem Testament für den Stand einer Bewegung zwischen | |
| Klimadepression und Versuchen, noch im Kollaps irgendwie weiterzumachen. | |
| Man mag es als Fehler des Films interpretieren können, dass am Ende nicht | |
| wirklich ein beruhigender Silberstreif aufgezeigt wird. Andererseits bleibt | |
| der Film so seinem Ansatz treu, die Perspektive der Bewegung begreifbar zu | |
| machen. | |
| In den vergangenen Jahren hat sich in immer größeren Teilen der | |
| Klimabewegung der Konsens durchgesetzt, dass innerhalb des fossilen | |
| Kapitalismus die Klimakrise tatsächlich nicht lösbar ist. Wie der | |
| Systemwechsel aber eingeleitet werden kann, muss die Bewegung noch | |
| herausfinden. | |
| 24 Sep 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://systemchange-movie.de/trailer/ | |
| [2] /Dannenroeder-Forst/!t5730290 | |
| [3] /Luetzerath/!t5896252 | |
| [4] /Blockade-auf-Baustelle-fuer-LNG-Leitung/!5950908 | |
| [5] /Hochwasser-in-Europa/!6037455 | |
| [6] /Verschaerfte-Grenzkontrollen/!6033951 | |
| ## AUTOREN | |
| Timm Kühn | |
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