| # taz.de -- Antifa-Film von Leftvision: Weil der Staat versagte | |
| > Der neue Film „Antifa“ des linken Videokollektivs Leftvision erzählt die | |
| > Geschichte der Bewegung. Was die Lehren für heute sind, bleibt jedoch | |
| > unklar. | |
| Bild: Die Premiere von „Antifa“, Schulter an Schulter, wo der Staat versagt… | |
| Eltern, die ihre Kinder durch hakenkreuzverschmierte Plattenbauten | |
| manövrieren, Nazis auf Fackelmärschen, Molotowcocktails, die auf | |
| Flüchtlingsheime fliegen: Der Einstieg in den Film [1][„Antifa – Schulter | |
| an Schulter, wo der Staat versagte“] des linken Videokollektivs Leftvision | |
| ist schnell und brutal. Die Zuschauer:innen werden zunächst in die | |
| Nachwendezeit geworfen, in die sogenannte Baseballschlägerjahre, in denen | |
| der Nationalismus grassiert und Flüchtlingsheime brennen. | |
| Das ehrenamtlich arbeitende Medienkollektiv Leftvision bleibt damit seinem | |
| stilistischen Ansatz treu, durch beeindruckende Bildchoreografien die | |
| Lebenswirklichkeit linker Bewegungen verständlich zu machen. „Antifa“ ist | |
| der dritte Kinofilm des Kollektivs. Nach „Hamburger Gitter“ (2018), einer | |
| Analyse der Polizeigewalt und -militarisierung während des G20-Gipfels in | |
| Hamburg, folgte 2022 „Rise up“, eine Spurensuche nach den Beweggründen von | |
| Menschen weltweit, die für eine neue, bessere Welt kämpfen. | |
| Stets sind die Filme schnell und mitreißend, arbeiten abwechselnd mit | |
| Riotporn und tiefgehenden Interviews. So ist auch „Antifa“ ein radikal | |
| parteiischer, subjektiver Film, in dem fünf Antifa-Aktivist:innen der | |
| 1990er Jahre ihre Geschichte erzählen. Eine einordnende Erzählstimme gibt | |
| es nicht. Was so entsteht, ist eine gelungene, vielschichtige | |
| Selbstreflexion der antifaschistischen Bewegung, die einige aktuelle Fragen | |
| zum Umgang mit Faschismus aufwirft – sich dann aber teilweise verweigert, | |
| sie auch zu beantworten. | |
| Deutlich wird in den Interviews, [2][wie sich die Antifa der 1990er Jahre | |
| in dem Vakuum entwickelte], das die staatliche Untätigkeit gegen Nazigewalt | |
| hinterließ. Eindrucksvoll erzählen die Interviewten im Film, wie die | |
| Polizei rechtsextreme Pogrome laufen ließ, aber groß aufrückte, wenn | |
| antifaschistische Aktivist:innen Flüchtlingsheime verteidigten. „Die | |
| Polizei kann das nicht machen, mit dem Faschisten umhauen, also machen wir | |
| das für sie. Ist doch logisch, ’ne?“, sagt ein Hamburger Teenager, | |
| vielleicht 17 Jahre, in einer Archivaufnahme. Seine Jugendgruppe nannte | |
| sich „Red Cops“ – eine kommunistische Polizei, weil die bürgerliche | |
| versagte. | |
| ## Antifa heißt Recherchearbeit | |
| Es war dieser Impuls der Selbstverteidigung, aus dem heraus sich die | |
| antifaschistische Gegenwehr professionalisierte. Die Entwicklung wird durch | |
| die Interviews detailliert nachgezeichnet. Um führende Neonazis „abfangen“ | |
| zu können, beginnen vielerorts Antifagruppen mit umfassender | |
| Recherchearbeit. In einer weiteren Archivaufnahme jammert ein Neonazi in | |
| die Kamera: „Die Autonomen haben einen Bespitzelungsapparat aufgebaut, der | |
| den Verfassungsschutz bald noch übertrifft“. | |
| Doch schnell wird klar, dass die Nazis mit Gegengewalt allein nicht | |
| kleinzukriegen sein werden. Also wird am Aufbau einer Gegenkultur | |
| gearbeitet. Jugendklubs werden gegründet und Selbstverteidigungskurse | |
| angeboten. Antifagruppen machen Fortbildungen für Lehrer:innen, auch die | |
| Öffentlichkeitsarbeit verbessert sich. Selbst unter Bedingungen großer | |
| Repression entwickelt sich eine Professionalität, die junge Antifas der | |
| nachkommenden Generation beeindrucken dürfte. | |
| Nicht ganz deutlich wird dann aber, was genau die Lehren für die | |
| Herausforderungen heute sind. Angesichts der AfD fällt das Resümee der | |
| meisten Interviewten nüchtern aus. „Wenn ich ehrlich bin, war unser Erfolg | |
| doch relativ dünn“, sagt einer der Aktivist:innen. In einem Film, der nicht | |
| primär Bewegungschronik, sondern politische Intervention sein will, lässt | |
| diese Abwesenheit von greifbaren Antworten etwas Unbefriedigung zurück. | |
| Natürlich ist es auch nicht die Aufgabe eines Kinofilms, eine | |
| Schritt-für-Schritt-Anleitung gegen den Faschismus zu liefern. Aber schon | |
| mit Blick auf die 1990er wäre es wohl hilfreich gewesen, das im Titel | |
| angesprochene Staatsversagen etwas näher zu betrachten. Im Film geschieht | |
| diese Auseinandersetzung fast ausschließlich mit Blick auf die Polizei. | |
| Unter den Tisch fällt dabei aber etwa die Mitschuld der Politik. | |
| ## Angriff auf das Asylrecht | |
| So waren es schließlich Union, SPD und FDP, die [3][1993 auf die rechten | |
| Anschläge unter anderem in Mölln und Rostock-Lichtenhagen] ausgerechnet mit | |
| einer massiven Einschränkung des Asylrechts reagierten. Wie heute | |
| versuchten bürgerliche Parteien den Faschismus mit möglichst großen | |
| Zugeständnissen an die Faschist:innen zu bekämpfen. Ein Blick erfahrener | |
| Antifas auf diesen Teil des Staatsversagens und auch auf die | |
| Verteilungskämpfe der Nachwendezeit wäre sicher gewinnbringend gewesen, um | |
| doch noch mögliche politische Lehren aufzuzeigen. | |
| Insgesamt liegt der große Wert des Films jedoch darin, einer Generation | |
| junger Antifas zu zeigen, wie schon vor ihnen Menschen ihr Leben dem Kampf | |
| um Menschlichkeit verschrieben haben. Das ist in Zeiten, in denen der | |
| intergenerationale Wissenstransfer durch Corona in vielen | |
| Bewegungskontexten unterbrochen wurde, ungemein wertvoll. Zu hören, wie am | |
| Ende des Films eine erfahrene Aktivistin sagt: „Ich würd’s genauso immer | |
| wieder machen.“ | |
| 27 Aug 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.leftvision.de/antifafilm/ | |
| [2] /Autorin-Manja-Praekels/!5897151 | |
| [3] /30-Jahre-Rostock-Lichtenhagen/!5875606 | |
| ## AUTOREN | |
| Timm Kühn | |
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