| # taz.de -- Soziologe über Naturkatastrophen: „Die Gesellschaft lernt beim E… | |
| > Laut dem Soziologe Marcel Schütz geht die Gesellschaft immer besser mit | |
| > Naturkatastrophen um. Es gibt einen Fortschritt gegenüber der | |
| > Vergangenheit. | |
| Bild: Hochwasserschutz zur rechten Zeit: Polderflächen an der Elbe bei Wolmirs… | |
| taz: Herr Schütz, der Klimawandel macht Extremwetter immer | |
| wahrscheinlicher. Wie gut sind wir in Deutschland vorbereitet? | |
| Marcel Schütz: Pauschal ist das nicht zu sagen. Es gibt Schwachpunkte, also | |
| Regionen, in denen durch menschliche Gestaltung, also Bebauung oder | |
| Infrastruktur, die Folgen einer Extremwetterlage gravierender ausfallen | |
| können. Bei Hochwasser ist das offensichtlich: Wenn beispielsweise ein | |
| Fluss stark begradigt und unmittelbar an die Zivilisation angebunden ist, | |
| kann das ein Hochwasser verschlimmern. Die Wassermenge muss irgendwo | |
| aufgefangen werden, aber wenn alles zu dicht bebaut, versiegelt und | |
| verschlossen ist, klappt es eben nicht. Dann kann es zu katastrophalen | |
| Lagen kommen. | |
| taz: Also erzeugen Menschen nicht nur den Klimawandel, sondern | |
| verschlimmern auch seine Folgen. Ist das ein neues Phänomen? | |
| Schütz: Die Menschen der Vergangenheit kannten durchaus auch | |
| Naturkatastrophen, etwa das Magdalenenhochwasser von 1342. Weite Teile | |
| Deutschlands standen unter Wasser und es gab tausende Tote. Das ist ein | |
| frühes Beispiel dafür, dass das Ausmaß einer Naturkatastrophe soziale | |
| Gründe hatte. | |
| taz: Inwiefern? | |
| Schütz: Der Auslöser war nicht menschengemacht: Es gab sintflutartige | |
| Regenfälle wegen eines natürlichen Klimawechsels. Aber im Laufe des | |
| Mittelalters hatte man aufgrund des Bevölkerungswachstums große Teile der | |
| Wälder abgeholzt, dadurch war der Boden sehr locker und verwundbar für das | |
| Hochwasser. Die Bodenerosion war unglaublich: Man hätte damit drei | |
| Güterzüge von der Erde bis zum Mond füllen können. | |
| taz: Also war schon damals menschliche Naturveränderung ein Problem? | |
| Schütz: Deshalb fielen die Folgen dieses Wetterereignisses so drastisch | |
| aus. Selbst bei diesem sehr weit zurückliegenden, uns archaisch | |
| erscheinenden Unglück. Die Menschen waren schutzlos ausgeliefert und danach | |
| folgten Ernteausfälle, Seuchen und Hungersnöte. | |
| taz: Wie hat sich der gesellschaftliche Umgang mit solchen Katastrophen | |
| historisch verändert? | |
| Schütz: Im Mittelalter galten solche Katastrophen noch als Gottesurteil und | |
| Strafe. Erst zu Beginn der Moderne entwickelte sich allmählich die | |
| Vorstellung von natürlichen Katastrophen, mit denen man irgendwie | |
| klarkommen muss. Mit den modernen Staaten hat sich dann eine regelrechte | |
| „Katastrophenorganisation“ gebildet, die viel Prävention beinhaltet, aber | |
| auch schnelle Hilfe im Notfall. Heute haben wir den [1][Anspruch, dass die | |
| öffentliche Verwaltung Sorge für unsere Sicherheit tragen muss.] | |
| taz: Man hat also aus solchen Unglücksfällen gelernt? | |
| Schütz: Katastrophen hatten immer den Effekt, dass Rettungsorganisation und | |
| später Rettungsmedizin dazugelernt haben: Technisches Hilfswerk, Feuerwehr, | |
| Katastrophenschutz. Wir wissen heute, wie man Infrastrukturen so | |
| gestaltet, dass sie nicht im Extremfall das Unglück noch verschlimmern. Bei | |
| Flussbegradigung, Versiegelung, Abholzungen und beim Bau in Gewässernähe | |
| wird man vorsichtiger. Andererseits gibt es schon lange recht einfache und | |
| intelligente Infrastrukturen, durch die eine Extremlage nicht zur | |
| Katastrophe führt. Denken Sie nur an den Deichbau an Küsten und Flüssen. | |
| taz: Dieses Jahr gab es verheerende Hochwasser in Europa, bei denen die | |
| Präventionsstrukturen nicht ausgereicht haben – von der Flut im Ahrtal 2021 | |
| ganz zu schweigen. Wieso? | |
| Schütz: Bei der Ahrflut hat man es gesehen: Wenn man Jahrzehnte oder | |
| Jahrhunderte nicht mehr so schwere Ereignisse erlebt, wird man | |
| vergesslicher und [2][nachlässiger]. Außerdem laufen nicht immer alle | |
| Rettungsprozesse reibungslos. Allgemein kann man aber sagen: Die | |
| Gesellschaft [3][lernt hier dazu]. Aber das hat natürlich Grenzen, weil man | |
| auch nicht alles vorhersehen kann: Menschen werden immer mit Unheil durch | |
| Natur und Klima leben müssen. | |
| taz: Trotzdem werden Baugenehmigungen in Hochwasserlagen ausgestellt. | |
| Schütz: Prävention ist einerseits politisch, andererseits auch eine | |
| individuelle Verantwortung: Extreme Witterungsbedingungen erfordern es, | |
| selbständig vorsichtig zu sein. [4][Letztes Weihnachten und Silvester waren | |
| Gebiete Norddeutschlands geprägt vom Hochwasser.] Die Leute wissen, dass es | |
| wieder zu Überflutungen kommen kann, aber einfach wegziehen wollen sie am | |
| Ende vielleicht trotzdem nicht. Das ist eine individuelle Abwägung. | |
| taz: Die Anpassung an die Klimakrise erfordert viel kollektive | |
| Verantwortung. Wo setzt man da an? | |
| Schütz: Die Entwicklungen des Klimawandels gehen weit über die Lebensspanne | |
| eines Menschen hinaus. Abstrakt ist diese Vorstellung überfordernd. Viele | |
| Leute sind eher durch persönliche Betroffenheit empfänglich für das Thema, | |
| oder wenn sie das Leid anderer sehen. Das kann dazu beitragen, dass | |
| Menschen erkennen, dass man auch präventiv etwas tun, natürliche und | |
| soziale Strukturen anpassen muss. Stichwort Hitzewellen: Da muss man dann | |
| politisch überlegen, wie man genügend Grünflächen schafft, Belüftung und | |
| Klimatisierung in Städten optimiert. Es wird in den nächsten Jahrzehnten | |
| darum gehen, sich einem veränderten Klima anzupassen. | |
| 20 Nov 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Selma Hornbacher-Schönleber | |
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