| # taz.de -- Klimapolitik: Fridays for Fortschritt | |
| > Die Klimakrise eskaliert, aber Klimapolitik ist unbeliebt. Dabei könnte | |
| > sie bei der Bundestagswahl zum Gewinnerthema werden. | |
| Bild: „Wir können es uns nicht leisten, keinen Klimaschutz zu machen.“ | |
| Es ist absurd: Die Klimakrise ist so sichtbar und fühlbar wie noch nie. | |
| Trotzdem dominieren Ignoranz und Ablehnung gegen Klimapolitik. | |
| [1][Österreich säuft ab, wählt aber die FPÖ], die das Hochwasser als | |
| Hysterie abtut. In Brandenburg, Thüringen und Sachsen klagen Bauern und | |
| Hausbesitzer über Dürren, Starkregen und Fluten, wählen aber die Grünen | |
| aus den Regierungsbeteiligungen heraus, wo sie als Einzige das Thema | |
| vorangetrieben haben. | |
| Wie sehr sich der Wind zum Sturm entwickelt und gleichzeitig gedreht hat, | |
| merken „[2][Fridays for Future]“. Noch vor ein paar Jahren beschwerten sich | |
| die AktivistInnen, man habe ja „nichts erreicht“. Heute wäre die | |
| Klimabewegung gern so „machtlos“ wie damals – als sie die politische | |
| Debatte prägte, Wahlen dominierte und ein schärferes Klimaschutzgesetz | |
| erzwang. Fünf Jahre später ist die Klimapolitik in Deutschland unter die | |
| Räder von Corona, Ukrainekrieg, Inflationsangst und populistischer | |
| „Migrationspolitik“ geraten. | |
| Die Klimakrise ist nicht weg. Wenn aber niemand über sie spricht, kann sie | |
| nicht eines der entscheidenden Themen der nächsten Bundestagswahl werden. | |
| Das muss sie aber, wenn wir noch eine kleine Chance haben wollen, die | |
| Weichen zur gesetzlich geforderten Klimaneutralität 2045 zu stellen. Das | |
| ist kein Selbstläufer, aber machbar. Denn die Debatten rund um die | |
| Erderhitzung werden mit Macht zurückkommen und die Politik dominieren. | |
| Wenn es die Klimabewegten geschickt anstellen, kann das Klimathema im | |
| Wahlkampf und danach zum Gewinnerthema werden. Steile These? Vieles spricht | |
| dafür: Die Physik, denn Klimaextreme werden immer häufiger und härter; der | |
| rasante [3][Siegeszug der Erneuerbaren], der wirtschaftliche Eigennutz, | |
| wenn Unternehmen von der Regierung einen klaren Kurs Richtung | |
| Dekarbonisierung fordern. | |
| ## Vorwärts in eine bessere Zukunft | |
| Und schließlich die Sehnsucht nach guten Nachrichten und praktikablen | |
| Lösungen, wie das klimaneutrale Deutschland die nächste große | |
| wirtschaftliche, politische und soziale Erfolgsgeschichte werden kann. Und | |
| muss. Schwer genug. Denn derzeit kommt das apokalyptische Geschrei ja nicht | |
| von den Klimaschützern, die dafür wirklich Grund haben. Nein, der | |
| Weltuntergang wird von den Populisten von AfD bis BSW und Teilen der Union | |
| für ein Land beschworen, in dem so viele Menschen wie noch nie sicher, | |
| gesund und wohlhabend leben. | |
| Während KlimaschützerInnen pragmatisch und wissenschaftlich argumentieren, | |
| fantasieren Politiker wie [4][Friedrich Merz] ideologisch vom angeblichen | |
| „Kontrollverlust“ an den deutschen Grenzen – während sie den tatsächlic… | |
| Kontrollverlust über Hochwasser und Waldbrände achselzuckend ignorieren. Es | |
| bietet sich ein Weg an, in dieser Extremwetterlage voller Stimmungstiefs | |
| und Populistenhochs Lust und Hoffnung auf eine effiziente Klimapolitik zu | |
| machen: mit einer neuen Interpretation des Begriffs „Fortschritt“. | |
| Nur mit einem ökologisch und sozial fundierten Konzept für ein mutiges | |
| „Vorwärts“ in eine bessere Zukunft ist dem schwarzen Loch beizukommen, das | |
| gerade jeden zukunftsfähigen Ansatz von Klimapolitik verschlingt. Und das | |
| einen Namen hat: Angst vor und Unwillen zur Veränderung. Das nämlich ist | |
| die große Bremse und der Grund dafür, dass „Klimapolitik“ bei vielen | |
| Menschen inzwischen einen toxischen Klang hat. | |
| Wir leben in einem Land, das sich häufig über die „German Angst“ definiert | |
| und mit Ausnahme des friedlichen Aufstands gegen die DDR-Führung keine | |
| ordentliche Revolution auf die Beine gestellt hat. Da machen die Aussicht | |
| auf grundlegenden ökonomischen Wandel, Abschied vom Gewohnten, disruptive | |
| Technologien und scharf gestellte Machtfragen eher Angst statt Lust auf | |
| etwas Neues. Dass die Grünen dabei als „Verbotspartei“ wahrgenommen werden, | |
| liegt in der Natur der Sache. | |
| ## Keine Angst vor Veränderung | |
| Tatsächlich können und wollen sie ja kaum etwas verbieten. Aber das | |
| andauernde Erinnern und Mahnen an die ökologischen Grenzen führt dazu, dass | |
| alle Menschen ahnen oder wissen: Wenn ich das ernst nehme, muss ich mir den | |
| fossilen Überkonsum/[5][das regelmäßige Fliegen]/das nächste dicke Auto | |
| selbst versagen – und für diese Frechheit, mich zu einer selbst gewollten | |
| Einschränkung meiner Konsumfreiheit zu bringen, mache ich die Ökos | |
| verantwortlich. | |
| Wie also ankommen gegen diese Furcht vor Veränderung? Nötig wäre es erst | |
| einmal, diesen Unwillen anzuerkennen: Wer in den letzten Jahrzehnten | |
| rasante Veränderungen wie den Niedergang der DDR-Industrie erlebt hat, der | |
| ist nicht scharf darauf, dass alles sich immer noch mehr wandelt. Umso mehr | |
| muss die Idee vom neuen Fortschritt den Menschen Halt und Stabilität | |
| anbieten. | |
| Und klarmachen, dass Veränderungen auf jeden Fall kommen: In der unruhigen | |
| Geopolitik, mit der Digitalisierung, bei der Migration, vor allem auch in | |
| der Klimakrise – es kommt darauf an, wie man diese Veränderungen gestaltet. | |
| Echter Fortschritt muss den Menschen Mut und Lust auf die Zukunft machen | |
| und die Angst-Narrative der Populisten entschärfen. Dazu gehört eine | |
| ehrliche Bilanz. | |
| Die Ampel ist zwar nicht die versprochene „Fortschrittskoalition“, hat aber | |
| aus Klimasicht erstaunlich viel auf den Weg gebracht: Ausbau der | |
| Erneuerbaren, Senkung der Emissionen trotz Versagens im Verkehr, die | |
| Weichen für die Dekarbonisierung der Industrie gestellt, [6][die | |
| Wärmewende] begonnen, natürlichen Klimaschutz angeschoben … alles zu wenig | |
| und zu langsam, aber: Es kann vorangehen. Die letzten drei Jahre zeigen | |
| aber auch: Katastrophen bringen die Menschen nicht automatisch dazu, | |
| Klimaschutz zu wählen. | |
| ## Kompromisse zwischen Erneuerbaren und Naturschutz | |
| Angst ist kein guter Wahlhelfer. Wut auch nicht. Wer, wie die „Letzte | |
| Generation“ Menschen mit blockierten Straßen und Flughäfen nervt, erntet | |
| nicht Einsicht und Zustimmung, sondern Empörung und Ablehnung, selbst bei | |
| Sympathisanten. Gezeigt hat sich auch: Bündnis 90/Die Grünen sind die | |
| einzige Partei, die bei allen Fehlern und Versäumnissen das Klimathema | |
| ernst nimmt und es in Politik umsetzen will. | |
| Alle anderen Parteien sind auf diesem Gebiet nicht wahrnehmbar (SPD), | |
| stellen „technologieoffene“ Scheinlösungen wie CCS oder synthetische | |
| Treibstoffe nach vorn (CDU/CSU und FDP) oder leugnen einfach das Problem. | |
| Für die Klimabewegung bleiben die Grünen damit die einzigen verlässlichen | |
| Partner im Parlament. Fortschritt fordert von Grünen, anderen Progressiven | |
| und der Klimabewegung allerdings die Bereitschaft, auch mal über den | |
| eigenen Schatten zu springen. | |
| Nötig sind neue Ideen und Erfindungen. Fortschritt ist im besten Sinn | |
| technologieoffen: Das bessere Neue ersetzt das schlechtere Alte. Konkret: | |
| Der E-Antrieb vertreibt den Verbrennungsmotor, Jobs und Wertschöpfung | |
| verlagern sich. Das muss fortschrittliche Politik gestalten. Gebraucht sind | |
| auch Kompromisse: zwischen Ausbau der Erneuerbaren und Naturschutz, | |
| zwischen Bürgerbeteiligung und Milliardeninvestition von Konzernen. | |
| Und echter Fortschritt braucht „Klimagerechtigkeit“, um die Kosten des | |
| Wandels viel gerechter zu verteilen: eine Rückzahlung an die Konsumenten | |
| (Klimageld nach sozialem Bedarf); höhere Belastungen für Reiche und | |
| Unternehmen für Klima-Investitionen, der Abbau umweltschädlicher | |
| Subventionen. Konkret: Das Klimageld muss den SUV-Besitzer belasten, um der | |
| pendelnden Krankenschwester eine fossilfreie warme Wohnung zu ermöglichen. | |
| ## Gute Argumente gegen Fake News | |
| Statt abstraktem „Klimaschutz“ gehören die direkten Vorteile aktiver | |
| Klimapolitik in den Vordergrund: Wertschöpfung im Land anstelle von hohen | |
| Ausgaben für fossile Importe; bessere Luft und Gesundheit, | |
| Energiesicherheit statt Abhängigkeit von fossilen Diktaturen, tendenziell | |
| niedrigere Energiepreise. Diese „Co-Benefits“ unterstützen heute oft die | |
| Klimaforderungen – man könnte das Verhältnis umdrehen: sichere Energie, | |
| Wertschöpfung, Jobs – und nebenbei die Emissionen reduzieren. | |
| Jede Idee, auch der Öko-Fortschritt, begeistert mit Erfolgsgeschichten: Da | |
| sind der weltweite Preisverfall bei Erneuerbaren und Batterien, der rasante | |
| Aufbau der Erneuerbaren durch das EEG und Wohlstand durch dezentrale grüne | |
| Technik. Konkret: die Möglichkeit, mit dem Solarstrom vom eigenen Dach das | |
| eigene E-Auto kostenfrei zu tanken. Statt Kulturkämpfen soll die Debatte um | |
| Lösungen kreisen: Wer ein Lastenfahrrad ablehnt, soll eine andere Art des | |
| CO2-freien Güterverkehrs anbieten. | |
| Wer für den Fortschritt argumentiert, sollte auch Gegenstrategien für Fake | |
| News und griffige Gegenargumente haben. Konkret: Wenn die Populisten | |
| hundertmal sagen: „Wir können uns Klimaschutz nicht leisten!“, heißt die | |
| Antwort hundertundeinmal: „Wir können es uns nicht leisten, keinen | |
| Klimaschutz zu machen.“ Dann müssen die KlimaschützerInnen dazu die | |
| einschlägigen Fakten und Daten gut verständlich parat haben. | |
| Die Erzählung vom Fortschritt, die wir brauchen, richtet sich nicht vor | |
| allem an die Klima-Blase und nicht an die WutbürgerInnen. Sondern an die | |
| große Mehrheit der Menschen, die laut Umfragen nach Orientierung und | |
| positiven Optionen in der Klimakrise suchen. Ihnen können die | |
| Klima-Progressiven etwas Wertvolles bieten: eine Idee, eine Hoffnung, eine | |
| Gemeinschaft, die dafür arbeiten, dass Aufgeben keine Option ist. Und dass | |
| es sich lohnt, gegen jedes Zehntelgrad der Erderwärmung zu kämpfen. | |
| Sicher ist: Die nächste grüne Welle kommt. Die Klimabewegung muss alles | |
| daransetzen, dass das früh genug passiert und schon bei der nächsten | |
| Bundestagswahl zu einem entscheidenden Thema wird. Eine attraktive | |
| Erzählung vom neuen Fortschritt ist dabei zentral. | |
| 7 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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