| # taz.de -- Prozess gegen Letzte Generation: Mehr Angst vor der Klimakrise als … | |
| > Klimaaktivist:innen hatten auf Sylt unter anderem ein Flugzeug | |
| > besprüht. Der Itzehoer Gerichtssaal war gesichert wie bei großen | |
| > Terrorprozessen. | |
| Bild: Gut gesicherter Verhandlungsort: Angeklagte Aktivist:innen der Letzten Ge… | |
| Rendsburg taz | In der Warteschlange vor dem Einlass zu ihrem Prozess | |
| bindet sich Regina S. eine übergroße Herrenkrawatte um. S. definiert sich | |
| als nonbinär und muss sich seit Dienstag gemeinsam mit fünf weiteren | |
| Aktivist:innen der Gruppe „Letzte Generation“ für eine Aktion auf | |
| [1][Sylt] verantworten: Im Juni 2023, so der Vorwurf der | |
| Staatsanwaltschaft, seien die Beteiligten auf den Flugplatz der Insel | |
| eingedrungen und hätten ein Flugzeug mit orangener Farbe besprüht. Einige | |
| Tage später pflanzte die Gruppe auf einem Golfplatz der Insel Blumen und | |
| einen Baum. | |
| Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet auf Hausfriedensbruch, unbefugtes | |
| Eindringen am Flughafen und [2][Sachbeschädigung]. Es geht um eine | |
| Gesamtsumme von über einer Million Euro, die vor allem durch den Schaden am | |
| Flugzeug zustande gekommen sind. | |
| „Ich habe Angst vor dem Ergebnis des Prozesses, Haft ist richtig scheiße“, | |
| sagt der:die 22-jährige Regina S. Aber die Sorge um die Zukunft überwiege: | |
| „Wir haben die 1,5-Grad-Erderwärmung schon überschritten, und der | |
| Klimawandel ist tödlich.“ Vor Gericht kämpft S. mit den Tränen: „Weil ihr | |
| die vergangenen 40 Jahre nichts getan habt, um die Katastrophe aufzuhalten, | |
| muss ich Widerstand leisten. Ich will wieder Träume und keine Alpträume | |
| haben.“ | |
| Besonders Superreiche richten durch ihren Lebenswandel Schaden an – darauf | |
| habe die Gruppe mit der Aktion auf Sylt hinweisen wollen, sagt Michael W., | |
| ebenfalls angeklagt: „Es war nicht gegen einzelne Reiche gerichtet, wer | |
| weiß, was ich täte, wenn ich reich wäre. Aber wir können uns den Reichtum | |
| nicht mehr leisten.“ | |
| ## Breites Medienecho auf besprühtes Flugzeug | |
| Das reichste Prozent der Menschheit verbrauche mehr Ressourcen als die | |
| ärmste Hälfte zusammen, sagt Lio G. Der:die 24-jährige Student:in, | |
| der:die sich ebenfalls als nonbinär definiert, schildert im Prozess | |
| seinen:ihren Weg zur Letzten Generation. Seit November 2022 sei G. | |
| dabei, weil ziviler Ungehorsam wirksamer sei als andere Formen von Protest: | |
| „Demos und Petitionen können ignoriert werden, Blockaden stören. Menschen | |
| müssen sich dazu verhalten.“ | |
| Die Aktion auf Sylt sei aus G.s Sicht erfolgreich gewesen: Es habe ein | |
| breites Medienecho und Berichte über den gewaltigen CO2-Fußabdruck von | |
| Superreichen gegeben. „Ich mache solche Aktionen, weil ich Angst, aber auch | |
| noch etwas Hoffnung habe“, sagt G., der:die in Berlin wohnt und | |
| Sozialarbeiter:in werden will. Die Menschheit rase „ungebremst auf | |
| die Klimakatastrophe zu“; es müsse daher alles getan werden, das | |
| einzudämmen. | |
| Bedauern für den Besitzer des Privatjets können und wollen die Angeklagten | |
| nicht aufbringen: „Es fährt stündlich ein Zug nach Sylt“, sagt Regina S. … | |
| sei allerdings nicht das Ziel gewesen, das Flugzeug zu beschädigen: „Es war | |
| Wandfarbe, die ist abwaschbar.“ Der Besitzer des Fliegers sieht das anders, | |
| mehreren Beteiligten drohen auch zivilrechtliche Strafen. | |
| Prozesse und Gewahrsam haben mehrere von ihnen schon hinter sich. Dennoch | |
| seien sie weiter bereit zu Protest-Aktionen, sagen einige Angeklagte: | |
| „Ziviler Ungehorsam schafft eine Plattform für Debatten“, sagt etwa | |
| Ann-Kathrin H. | |
| ## Strenge Kontrollen am Einlass | |
| Richterin Larissa Herzog vom zuständigen Amtsgericht Niebüll lässt den | |
| Aktivist:innen viel Raum für ihre Statements und geht auf die | |
| inhaltlichen Argumente ein: Sei es sinnvoll, ins Gefängnis zu gehen, statt | |
| sich draußen für den Klimaschutz einzusetzen? Gebe es nicht politische | |
| Möglichkeiten, das Anliegen voranzubringen? Was solle die Politik tun? | |
| Die Aktivist:innen nennen auf diese Frage die Forderungen der Letzten | |
| Generation, um die es bereits bei den Kampagnen 2023 gegangen war: einen | |
| Klimarat einrichten, ein kostengünstiges Ticket für den Bus und Bahn, das | |
| Eingeständnis der Regierung, dass die Krise da sei. | |
| Die ruhige Prozessführung – dazu gehörte auch die Nachfrage des | |
| Staatsanwalts, ob für Lio G. und Regina S. als Transgender-Person eine | |
| Gefängnisstrafe eine besondere Härte darstellen würde – stand im Gegensatz | |
| zur Situation beim Einlass in das Fabrikgebäude, in dem der Prozess wegen | |
| des erwarteten Andrangs stattfand. Auf der Straße forderte eine Schar von | |
| Demonstrierenden mit Plakaten das Ende von Öl- und Kohle-Verbrennung. Doch | |
| wer in den Saal wollte, musste strenge Kontrollen über sich ergehen | |
| lassen. Die Sicherheitsmaßnahmen entsprachen denen großer Gewalt- und | |
| Terrorprozesse. | |
| „Die [3][Kriminalisierung von Klimaprotesten] ist mit Händen zu greifen“, | |
| sagt Rolf Meyer, der als Sprecher der Letzten Generation den Prozess | |
| beobachtete. „Wir brauchen eine andere Protestkultur.“ Erst langsam ändere | |
| sich etwas, auch durch Urteile, die die Anliegen der Aktivist:innen | |
| einbezögen. Der Prozess in Itzehoe wird am Mittwoch mit der Befragung von | |
| Zeug:innen fortgesetzt. | |
| 12 Nov 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Esther Geißlinger | |
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