# taz.de -- Prozess gegen Letzte Generation: Wie die Hoffnung auf Klimaschutz s… | |
> Vor dem Amtsgericht Hamburg steht ein Aktivist der Letzten Generation | |
> wegen Sachbeschädigung. Begegnung mit einem Mann, der keine Zukunft mehr | |
> sieht. | |
Bild: Schwer zu beseitigen: orangene Farbe am Hamburger Audimax | |
Hamburg taz | Der Richter am Amtsgericht und der Angeklagte Philipp F. | |
kennen sich bereits. F. war zum ersten Verhandlungstermin nicht erschienen, | |
sodass der Richter ihn per Haftbefehl kommen ließ. F. sagt, dass der Brief | |
des Gerichts bei ihm untergegangen sei. Kein Wunder, der 25-Jährige gehört | |
zur [1][Letzten Generation und ist gerade mit mehreren Verfahren | |
beschäftigt]. Heute steht er zum fünften Mal vor Gericht. | |
F. ist ein schmaler Mann mit dunklem Zopf. Von Beruf ist er Solarmonteur, | |
aber derzeit arbeitslos. Das, was ihm das Gericht vorwirft, räumt er | |
umstandslos ein: F. hat im Oktober 2023 mit einem anderen Mitglied der | |
Letzten Generation die Glasfassade sowie die angrenzenden Betonstützpfeiler | |
und Türen des Audimax der Uni Hamburg großflächig mit wasserfester Farbe | |
besprüht. Pressevertreter:innen haben die Aktion gefilmt, sodass das | |
Beweismaterial ohnehin solide ist. | |
Juristisch ist dieser Prozess erst einmal nicht besonders interessant. | |
Presse ist kaum da, aber eine Schulklasse sitzt im Zuschauerraum. Was sie | |
sieht, könnte einmal als Absatz in Geschichtslehrbüchern auftauchen: | |
[2][Klimaschutzbewegungen im 21. Jahrhundert]. Bei der Letzten Generation | |
steht dann vielleicht als Zusatz: und ihr Scheitern. | |
Für Philipp F. geht es heute um Finanzielles, aber nicht um Entscheidendes. | |
Am Anfang sei er auf jeder Klimademo gewesen, sagt er, habe gespendet und | |
gemerkt, dass er damit nichts ausrichtete. Deshalb habe er sich der Letzten | |
Generation angeschlossen – [3][aber das 1,5-Grad-Ziel hätten sie trotz | |
aller Aktionen verfehlt]. „Seit Anfang des Jahres habe ich keine Aktion der | |
Letzten Generation mehr mitgemacht, weil ich einfach keine Hoffnung mehr | |
habe“, sagt F. Er sagt es sachlich. | |
## Hartnäckiges Orange | |
Das Gericht beschäftigt sich noch kurz mit der Beweisaufnahme. Es gibt | |
Rechnungen der Universität, die gleich zwei Unternehmen mit der | |
Farbentfernung beauftragen musste, weil das Orange, das die Aktivisten | |
versprüht hatten, hartnäckig war. Im ersten Durchgang lagen die Kosten bei | |
7.999 Euro und 47 Cent und für den zweiten schrieb ein Maler Poppe eine | |
Rechnung über 12.003 Euro und 27 Cent. | |
Es gibt auch ein Gutachten des Landeskriminalamts Hamburg zur Frage, wie | |
aufwendig die Farbentfernung war. Ein Teil der Farbe war mit Wasser | |
vermischt, ein anderer nicht, und der vermischte Teil war deutlich leichter | |
zu entfernen. Liegt es da für einen umsichtigen Aktivisten nicht nahe, | |
vermischte Farbe zu nehmen, um nicht bis ans Ende aller Tage für den | |
Schaden aufkommen zu müssen? Das ist eine Frage, zu der Philipp F. nach dem | |
Prozess etwas Erhellendes sagen wird, aber erst einmal fragt der Richter | |
ihn nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen. | |
F. bezieht als Arbeitsloser 900 Euro, davon zahlt er 700 Euro Miete. Er | |
arbeitet ehrenamtlich auf einem „Lebenshof“, den Freund:innen betreiben. | |
Von ihnen bekommt er „Unterstützung und Essen“, sagt F. Der Lebenshof ist | |
ein Gnadenhof für Nutztiere, so erklärt er auf Nachfrage des Staatsanwalts. | |
„Beim letzten Mal sollte doch ein Schwein kommen“, wirft der Richter ein. | |
Das ist einer der wenigen Momente, in denen F. seine Zurückhaltung | |
verliert. „Leider ist es noch nicht geliefert worden“, sagt er und lacht. | |
## Staatsanwalt und Richter sind freundlich | |
Der Staatsanwalt und der Richter sind freundlich zu F., der ohne | |
anwaltliche Vertretung im Gericht sitzt. Vielleicht sind sie freundlich | |
wegen der Schulklasse, vielleicht wertschätzen sie eine Sachbeschädigung | |
aus Motiven, die, so sagt es der Richter, „nicht Jux und Dollerei“ sind. | |
„Sind Sie desillusioniert?“, fragt der Staatsanwalt den Angeklagten. „Mein | |
Fokus ist auf kleinen Projekten wie dem Lebenshof“, antwortet der. Der | |
Richter gibt ihm das letzte Wort, aber er hat nichts zu sagen. Dann fällt | |
ihm doch noch etwas ein: „Durch andere Verfahren zahle ich schon 50 Euro | |
pro Monat.“ | |
Der Staatsanwalt fordert in seinem Plädoyer 60 Tagessätze, die nicht über | |
20 Euro liegen sollen. Das, so sagt er, sei weniger als der übliche Satz. | |
Der Richter schließt sich ihm an. Was zum Strafrechtlichen hinzukommt: F. | |
muss zivilrechtlich für den Schaden am Unigebäude aufkommen. | |
Der nimmt das Urteil ruhig entgegen, wünscht einen guten Tag und verlässt | |
den Raum. Auf dem Gang erklärt er, was ihn so ruhig bleiben lässt. Kann er | |
die Strafe für die Sachbeschädigung nicht zahlen, droht ihm Haft. Aber für | |
die knapp 20.000 Euro, die er der Uni schuldet, gilt ein Pfändungsschutz | |
auf seinem Konto: dort müssen 1.500 Euro bleiben. Was bei seinen | |
wirtschaftlichen Verhältnissen ohnehin ambitioniert ist. | |
## Farbwahl ist kein Versehen | |
Die Farbwahl ist kein Versehen, das ihm im Nachhinein leid täte: | |
Schließlich sei es darum gegangen, ein dauerhaftes Zeichen zu setzen. F. | |
setzt sich im Gang auf eine Bank und fragt: „Möchten Sie noch etwas | |
wissen?“ Warum hat er im Gericht nicht, wie viele andere Angeklagte der | |
Letzten Generation, die Möglichkeit für einen Appell in Sachen Klimaschutz | |
genutzt – schließlich saß da eine ganze Schulklasse? Weil es zu spät ist. | |
Das Klimaziel von 1,5 Grad sei gerissen, sagt F. „Es wird nun nicht mehr | |
schlechter werden“, sagt er und korrigiert sich, „Entschuldigung, es wird | |
nicht besser“. | |
Der Gnadenhof sei ein Projekt von ehemaligen Aktivist:innen der Letzten | |
Generation, die den Kampf ums Klima aufgegeben haben. Fand F. das Gericht | |
und sein Urteil milde? Na ja, sagt er, es habe auch schon Urteile mit | |
Tagessätzen von zehn Euro gegeben. Dann erzählt er noch von dem Lebenshof, | |
der auf einem Grundstück in einem Kleingartenverein Schweinen eine Zuflucht | |
geben will. | |
Am Tag, als sein Haftbefehl vollstreckt wurde, wollte F. einen Stall für | |
das erste Schwein bauen, schließlich ist er der einzige mit handwerklichen | |
Kenntnissen. Da der Stallbau ausfiel, musste das Schwein anderweitig | |
vermittelt werden. Nun warten sie auf ein anderes. Während F. erzählt, was | |
Zukunft ist, wenn es keine gibt, kommt der Staatsanwalt vorbei. Er tippt an | |
das Baseballcap, das er nun trägt, und das ist vielleicht eine | |
Respektsbekundung. | |
2 Dec 2024 | |
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## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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