# taz.de -- Älteste Frauenbibliothek bedroht: Frauenbibliothek soll weg | |
> Die bundesweit älteste Bibliothek für Frauenforschung an der Hamburger | |
> Uni soll in einer größeren Bibliothek aufgehen. Ihr droht die | |
> Unsichtbarkeit. | |
Bild: Bedroht: Hamburgs Zentrale Bibliothek Frauenforschung, ein langjähriger … | |
Hamburg taz | Eintreten durften nur „Jungfrauen oder alleinstehende Frauen | |
von unbescholtenem Ruf“ aus „besserem Stande“. So steht es 1912 in der | |
Ordnung des Hamburger Vaterländischen Frauen-Hülfs-Vereins für künftige | |
Rot-Kreuz-Schwestern. | |
Nur diese Untadeligen durften im Schwesternhospital des 1877 fertig | |
gestellten DRK-Krankenhauses in Hamburgs Grindelviertel am Schlump wohnen: | |
zunächst über den Patienten- und Behandlungsräumen und ab 1907, nach dem | |
Zukauf eines Gebäudes in der heutigen Monetastraße, im Schwesternhaus für | |
40 Frauen. | |
Man kann sie als früh Emanzipierte bezeichnen, war es doch im 19. | |
Jahrhundert selten, dass allein stehende Frauen eigenes Geld verdienten. | |
Dabei wurden sie dringend gebraucht: zur Behandlung der Menschen etwa in | |
den Elendsvierteln, ab 1892 während der Hamburger [1][Cholera-Epidemie] und | |
ab 1914 im [2][Ersten Weltkrieg]. | |
Heute beherbergen die Gebäude ein Bildungszentrum für Gesundheitsberufe, | |
mehrere Wohnprojekte sowie, im einstigen Schwesternhospital, das | |
[3][Zentrum Gender & Diversity] (ZGD) der Universität mit der „Zentralen | |
Bibliothek Frauenforschung, Gender & Queer Studies“. | |
## Langjähriger Ort der Frauen | |
Gegründet vor 40 Jahren an diesem langjährigen Ort der Frauen, ist die | |
Konzentration von Forschungszentrum und Fachbibliothek am selben Ort | |
deutschlandweit einzigartig. Die Bibliothek fungiert dabei als Ergänzung | |
zur Feministischen Bibliothek des Frauenbildungszentrums „Denkträume“, die | |
von Frauen verfasste Bücher präsentiert, und der Bibliothek des | |
Landesfrauenrats mit Werken zur Frauenbewegung. | |
Initiiert wurde die Zentrale Bibliothek Frauenforschung im einstigen | |
DRK-Schwesternhaus 1984 als Forschungsprojekt der Hamburger Universität, | |
der damaligen Fachhochschule und der damaligen Hamburger Universität für | |
Wirtschaft und Politik, erzählt Dagmar Filter, die die Bibliothek gemeinsam | |
mit Gisela Kamke aufbaute. | |
Das Ziel: die damals noch wenig verbreitete Frauenforschung an Hochschulen | |
zu implementieren. „Auf die zunächst befristete Arbeitsbeschaffungsmaßnahme | |
habe ich mich beworben und dann – mit wenig Geld und viel Engagement – | |
angefangen“, sagt Gründerin Dagmar Filter, bis vor fünf Jahren | |
Geschäftsführerin der Bibliothek. | |
Ihre Motivation war sehr persönlich: „Während meines Studiums an der | |
Hamburger Hochschule für Bildende Künste in den 1970er Jahren wurden Frauen | |
von den Professoren immer als zweitklassig in die Ecke geschoben nach dem | |
Motto: Frauen sind nicht genial, weil sie nicht bis ans Existenzielle | |
gehen, weil sie nicht bis zum Umfallen saufen. Nach diesen Erfahrungen war | |
ich hoch motiviert, eine Bibliothek zur Frauenforschung aufzubauen“, sagt | |
sie. | |
Und so fingen die beiden an, Arbeiten von Studentinnen zu sammeln und | |
weitere wissenschaftliche Werke zuzukaufen. Inzwischen sind es 21.437 | |
Medien und die Stellen der Geschäftsführung, Bibliotheksleiterin und zweier | |
studentischer Hilfskräfte verstetigt. Der Bestand umfasst längst auch | |
Arbeiten zu Gender und Queer Studies. | |
Betritt man die vier kleinen, hellen Räume der Bibliothek mit Holzboden, | |
Pflanzen und Arbeitstischen zwischen den thematisch sortierten | |
Bücherregalen, fühlt man sich gleich aufgehoben in einer Oase der Forschung | |
und Konzentration, kompetent beraten von den Mitarbeitenden. | |
„Die Studierenden werden inzwischen mit sehr vielen rudimentären Texten | |
versehen“, sagt Dagmar Filter. „In den letzten Jahren passierte es immer | |
öfter, dass Studierende kamen und sagten: ‚Ich brauche für meine Hausarbeit | |
nur noch einen bestimmten Aufsatz aus dem Buch.‘ Ich habe sie ermuntert, | |
das ganze Buch zu holen und zu gucken, was drumrum steht, um den ganzen | |
Diskurs zu erfassen. Es gehe um das Nachvollziehen von Debatten, das Denken | |
in Zusammenhängen. Da führen Wissens-Splitter nicht weiter.“ | |
Genau dies – die Zersplitterung – droht jetzt der bundesweit ältesten | |
Universitäts-Frauenbibliothek. Es ist ein kleiner, feiner Wissensspeicher | |
mit Dokumenten der [4][Frauenforschung] seit den Anfängen, gut genutzt und | |
bei externen Evaluationen stets positiv bewertet. | |
Sie liegt neben dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden, der | |
Forschungsstelle für Zeitgeschichte und dem Institut für Friedensforschung. | |
Alle drei haben ähnlich spezialisierte Bibliotheken, deren Verbleib am | |
zugehörigen Institut niemand infrage stellt. | |
Anfang September hat nun aber die Landeshochschulkonferenz unter Vorsitz | |
des Hamburger Uni-Präsidenten Hauke Heekeren beschlossen, die Zentrale | |
Bibliothek Frauenforschung in diejenige der Wirtschafts- und | |
Sozialwissenschaften (WiSo) zu verlagern. Die Gründe sind laut dessen | |
Pressestelle „die unzureichenden räumlichen Gegebenheiten für den Bestand | |
und ein auslaufender Mietvertrag“. | |
Der allerdings wurde kürzlich über 2025 hinaus verlängert. Und was mit den | |
„unzureichenden räumlichen Gegebenheiten“ gemeint ist, bleibt offen. Ein | |
Wassereinbruch im Souterrain kürzlich bei Starkregen, der ein paar Meter | |
Teppich nässte und einen Aktenordner des Archivs schädigte, kann es nicht | |
sein. Und die Bibliothek selbst residiert trocken und sicher im ersten | |
Stock. | |
„Darüber hinaus ist ein wichtiges Ziel, den Betrieb der Bibliothek zu | |
modernisieren und dabei die Öffnungszeiten zu erweitern. Diese Maßnahmen | |
sind aufgrund der aktuellen Ausgangslage nicht ohne Weiteres umsetzbar“, | |
teilt die Universität weiter mit. In der Tat ist die Frauenbibliothek | |
derzeit nur bis 16 Uhr geöffnet. | |
## Kommission irritiert über Pläne | |
Daher hat die „Gemeinsame Kommission“ mit VertreterInnen der neun | |
Hochschulen, die die wissenschaftliche Leitung des ZGD und der Bibliothek | |
führen, bereits reagiert. | |
„Wir haben der Landeshochschulkonferenz mitgeteilt, dass wir die | |
Kritikpunkte prüfen werden und überlegen, wie sich die Bibliothek | |
modernisieren lässt – unter der Voraussetzung, dass sie räumlich am Zentrum | |
Gender & Diversity (ZGD) verbleibt, was wir unerlässlich finden“, sagt | |
deren stellvertretende Vorsitzende Miriam Richter, Professorin für | |
Pflegewissenschaft an der HAW Hamburg. | |
Man sei über die Verlagerungsentscheidung für diese Bibliothek – mit ihrer | |
Sammlung Herzstück des ZGD – sehr irritiert gewesen. In einer Arbeitsgruppe | |
soll gemeinsam mit der Leiterin der Bibliothek und der im November | |
zurückkehrenden Geschäftsführerin des ZGD nachgedacht werden. „ | |
Für die Verlängerung der Öffnungszeiten zum Beispiel wird es reichen, die | |
Stellen leicht aufzustocken, wie es auch im externen, im Auftrag der | |
Landeshochschulkonferenz erstellten Gutachten gefordert wird“, sagt | |
Richter. „Das ist kein Grund, die ganze Bibliothek zu verlagern.“ | |
Zudem sei die Verortung der Bibliothek am Zentrum Gender & Diversity, wie | |
sie auch in der Kooperationsvereinbarung festgehalten sei, mit ihrer | |
kompetenten Beratung auch im externen Gutachten in ihrer Einzigartigkeit | |
für die Bedeutung der Frauenforschung und Gender und Queer Studies | |
hervorgehoben worden, sagt Richter. | |
Ungeklärte Platzfrage | |
Ungeklärt ist überdies die Frage, wie die 21.437 zusätzlichen Medien in der | |
WiSo-Bibliothek Platz finden sollen. „Wir könnten den Bestand der | |
Zentralen Bibliothek Frauenforschung nicht ohne Vorarbeiten in die | |
Bibliothek WISO/BWL einsortieren, weil der Platz dafür zwar grundsätzlich | |
zur Verfügung steht, aber nicht genau an den Stellen, an dem er benötigt | |
würde“, sagt Michael Jürgen Eiden, Leiter der WiSo-Bibliothek. | |
Je nachdem, wie viele Ressourcen für die Vorarbeiten zur Verfügung stünden, | |
gäbe es verschiedene Varianten der Aufstellung, die von der geschlossenen | |
Aufstellung bis zur Integration in die vorhandene Aufstellungssystematik | |
reichten. „Die geschlossene Aufstellung wäre allerdings die aufwändigste“, | |
sagt Eiden. | |
Würde der Bestand zerrissen, ginge nicht nur die räumliche Verbindung mit | |
dem Zentrum Gender & Diversity verloren, der zentralen Anlaufstelle für | |
Studierende, die ein Gender- oder Diversity-Zertifikat anstreben. Auch | |
würde die Frauenbibliothek als Gesamtkonvolut unsichtbar und schwer | |
auffindbar. Zudem fiele die Beratung weg – wie überhaupt unklar ist, welche | |
Aufgaben dem jetzigen Team der Frauenbibliothek dann zufielen. | |
## Bizarres Signal in Zeiten der Gender-Debatte | |
Die Universität indes lässt mitteilen, die Entscheidung sei „in enger | |
Abstimmung mit der Fakultätsleitung sowie der Leitung der Bibliothek | |
getroffen“ worden. Gemeint sind die Leitung der WiSo-Fakultät sowie deren | |
Bibliotheksleiter. Jana Reich, Leiterin der Frauenbibliothek, dagegen wurde | |
nicht einbezogen. | |
Sie sagt, sie sei zwei Tage nach der Entscheidung per Mail darüber | |
informiert worden und aus allen Wolken gefallen. Auch Michael Jürgen Eiden, | |
Leiter der WiSo-Bibliothek, sagt, er habe im Nachhinein von der | |
Entscheidung erfahren. Das finde er aber unkritisch, „weil die strategische | |
Steuerung Aufgabe der Hochschulleitungen ist und die vorliegende Frage ist | |
eine strategische“. | |
Eigenartig bleibt indes das Signal, das von dem Beschluss der Hamburger | |
Universität ausgeht: die Aufgabe des eigenen Standorts in Zeiten der | |
[5][LGBTQ-Debatte], in der es ausdrücklich um sprachliche und räumliche | |
Sichtbarkeit geht. Und das genau zum 40. Jubiläum der Bibliothek. | |
22 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Als-Hamburg-die-Seuche-ignorierte/!5676915/ | |
[2] /Schwerpunkt-Erster-Weltkrieg/!t5028182 | |
[3] https://zgd-hamburg.de/ | |
[4] /Gender-Studies/!t5296217 | |
[5] /Schwerpunkt-LGBTQIA/!t5025674 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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