# taz.de -- Deutsche Serie „Schwarze Früchte“: Was für ein Triumph | |
> Die neue Serie „Schwarze Früchte“ wurde fast nur von queeren und | |
> Schwarzen Menschen geschaffen. Sie ist herrlich komisch und zugleich | |
> emotional. | |
Bild: Schwarze Früchte: Lotta (Vanessa Yeboah, re) und ihr Freund Kojo (Thapel… | |
Auf einen Serienprotagonisten wie Lalo musste Deutschland lange warten. Gar | |
nicht so sehr, weil der junge Mann, der im Fokus von „Schwarze Früchte“ | |
steht, Schwarz und queer ist, auch wenn beides, zumal in der Kombination, | |
hierzulande selbst nach [1][„All You Need“] oder der sechsten Staffel der | |
Jugendreihe „Druck“ noch immer eher eine Seltenheit ist. | |
Aber vor allem ist Lalo jemand, der vermeintlich so gar nicht taugt, das | |
Publikum an die Hand zu nehmen: ein bisschen zu passiv-aggressiv, durchaus | |
narzisstisch und im Kern vor allem reichlich verunsichert. Weswegen man | |
sich am Ende womöglich deutlich mehr mit ihm identifizieren kann, als einem | |
angenehm ist. | |
Dieser Lalo, erdacht und gespielt von Schöpfer, Showrunner und | |
Hauptdarsteller Lamin Leroy Gibba, treibt in seinen Zwanzigern ziemlich | |
ziellos durch seine Heimatstadt Hamburg. Das Studium ist abgebrochen und | |
die Idee vom Künstlerdasein bestenfalls vage formuliert. Der noch nicht | |
lange zurückliegende Tod des Vaters ist kein bisschen verarbeitet und die | |
Beziehung zu Tobias (Nick Romeo Reimann) – das zeigt gleich die erste von | |
acht Episoden – wird weder lange halten noch von einem Tag auf den nächsten | |
abgehakt sein. | |
Ihm zur Seite – oder doch gegenüber? – steht Karla (Melodie Simina), seine | |
beste Freundin aus Kindheitstagen. Auf den ersten Blick steht sie in ihrem | |
Leben an einem vollkommen anderen Punkt, ist selbstbewusst und zielstrebig, | |
gerade erst gab es vom unangenehm distanzlosen Vorgesetzten eine fette | |
Beförderung. Doch es braucht nicht viel, um auch hinter ihrem toughen | |
Auftreten einen Abgrund aus Zweifeln sichtbar zu machen. | |
Was Gibba und sein Writers Room rund um diese beiden als Story entwickelt | |
haben, ist weniger plotgetrieben, sondern eher das Beobachten eines nicht | |
selten wenig definierten Findungsprozesses. Einer Suche danach, wo man hin | |
will und wer man eigentlich ist, was es bedeutet, wirklich erwachsen zu | |
werden, und warum die eigene Vergangenheit einen dabei doch immer noch so | |
fest im Griff hat. Gleichzeitig mit enormem Feingefühl und trotzdem | |
messerscharf eingefangen. | |
Weil gerade Lalo sich dabei immer wieder in unangenehme Situationen bringt, | |
in denen man sich als Zuschauer*in der Fremdscham nur schwer erwehren | |
kann, könnte man „Schwarze Früchte“ durchaus als Cringe-Comedy à la „C… | |
Your Enthusiasm“ beschreiben. | |
## Bemerkenswerte Vielfalt, aber nicht darauf reduziert | |
[2][„Fleabag“] oder „Insecure“ aber sind die passenderen Vergleiche, we… | |
eben das Moment der Selbstermächtigung ins Spiel kommt, wenn | |
Showrunner*innen, die letztlich Versionen ihrer selbst ins Zentrum rücken, | |
damit von Menschen erzählen, denen sonst im männlich-weißen Mainstream | |
dieser Raum selten zugestanden. | |
Womit dann auch die Nähe zu Serien wie [3][„Sort Of“], „Ramy“ oder „… | |
Like Me“ hergestellt ist, in denen ebenfalls Selbstfindungsgeschichten | |
unterfüttert wurden mit den Lebensrealitäten und Erfahrungen der | |
Schöpfer*innen zwischen Queerness, Race und anderen kulturelle | |
Hintergründen. | |
Dass praktisch alle Figuren in Gibbas Serie Schwarz und/oder queer sind, | |
ist einerseits der springende Punkt und ist es auch wieder nicht. So sehr | |
„Schwarze Früchte“ eine bemerkenswerte Vielfalt Schwarzer Perspektiven | |
abbildet und so sehr hier mitunter enorm spezifisch Momente aus dem | |
Gefühls- und Sexleben queerer Menschen präsentiert werden, so wenig werden | |
die Figuren (zu denen unter anderem auch Vanessa Yeboah als Karlas | |
Schwester, Benjamin Radjaipour als Lalos bester Freund oder Daniel | |
Hernandez als sein neuer Schwarm gehören) darauf reduziert. | |
Dass dabei auch das Ensemble und das Team hinter der Kamera bewusst queer | |
und aus (zum Teil sehr jungen) People of Color zusammengestellt wurden, ist | |
natürlich eine Ansage an und für die deutsche Filmbranche – und sie | |
verfehlt ihr Ziel nicht. | |
Was Gibba, das Regieduo Elisha Smith Leverock und David Uzochukwu sowie | |
ihre Mitstreiter*innen leisten, ist außergewöhnlich, vom authentischen | |
Spiel über die ungekünstelten Dialoge bis hin zur Bildsprache, die | |
stilbewusst und sexy gleichermaßen ist. Kurz gesagt: „Schwarze Früchte“ i… | |
ein herrlich komischer und herzzerreißend emotionaler Triumph, für den man | |
dankbar sein muss. | |
19 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Zweite-Staffel-ARD-Serie-All-you-need/!5846429 | |
[2] https://blogs.taz.de/popblog/2017/05/16/serientipp-fleabag-von-phoebe-walle… | |
[3] /Kanadische-Serie-Sort-of-auf-Sky/!5831321 | |
## AUTOREN | |
Patrick Heidmann | |
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