# taz.de -- Moraltheologe über Gender-Verbot: „Nicht gendern ist nicht mögl… | |
> Gendern sei inklusiv und habe mit Gerechtigkeit zu tun, sagt Gerhard | |
> Marschütz. Und widerspricht damit einem Argument für das Gender-Verbot in | |
> Bayern. | |
Bild: Ein göttlich bestimmtes Wesen von Mann und Frau, Adam und Eva, daran gla… | |
taz: Herr Marschütz, nach dem [1][sächsischen Kultusministerium] hat diese | |
Woche auch die [2][Staatsregierung im katholischen Bayern das Gendern] in | |
Behörden, Schulen und Hochschulen verboten. Zu Recht? | |
Gerhard Marschütz: Man kann nicht nicht gendern, würde ich in Anlehnung an | |
Paul Watzlawick sagen. Man hat immer ein bestimmtes Verständnis von | |
Geschlecht, das man in die Sprache einbringt. In Österreich hatten wir eine | |
ähnliche Debatte nach entsprechenden Äußerungen von Bundeskanzler Karl | |
Nehammer im Januar. Ich finde es spannend, dass der bayrische | |
Staatsminister Florian Herrmann argumentiert, dass das Gendern eine stark | |
exkludierende Wirkung aufweisen würde. Dabei geht es dabei doch eigentlich | |
um ein inklusives Anliegen. Hier wäre daran zu erinnern, dass 2017 das | |
Bundesverfassungsgericht eine sogenannte dritte Option ermöglicht hat. Wenn | |
eine dritte Geschlechtsoption verbindlich zugesagt ist, dann ist die Frage, | |
wie sich das sprachlich zeigt. Und nichts anderes wird versucht mit einem | |
Doppelpunkt oder Unterstrich. Es ist der Versuch, über Sprache Anstand und | |
Höflichkeit auch jenen gegenüber zum Ausdruck zu bringen, die sich in einer | |
geschlechtlich-binär strukturierten Sprache nicht wiederfinden. | |
Wie blicken Sie als Wissenschaftler auf diese Art Verbot? | |
Universitäten haben den Auftrag, wissenschaftlich redlich vorzugehen. | |
Sprache strukturiert die Wirklichkeit, sie prägt unser Denken und Handeln. | |
Insofern gibt es an Universitäten dringliche Empfehlungen zur | |
geschlechtersensiblen Sprache. An der Universität Wien habe ich erlebt, | |
dass sie vorgeschrieben ist und zum State of the Art des wissenschaftlichen | |
Arbeitens zählt. Aber dass man eine Prüfung nicht bestehen würde, weil man | |
sie nicht verwendet, das habe ich nicht erlebt, obwohl das oft behauptet | |
wird. | |
Die CSU nennt die geschlechtersensible Sprache „ideologisch geprägt“, Papst | |
Franziskus sprach Anfang März von der „Gender-Ideologie“ als | |
schrecklichster Gefahr der heutigen Zeit. Was sagen Sie als Theologe dazu? | |
Die Befürchtung des Papstes ist, dass keine Unterschiede mehr zwischen den | |
Geschlechtern anerkannt werden. Viele Religionen gehen davon aus, dass es | |
so etwas wie ein göttlich bestimmtes Wesen von Mann und Frau gibt, wobei | |
dieses Wesen oft mit der Kategorie Natur umschrieben wird. Die | |
Geschlechterforschung sagt aber, dass die Natur nicht als solche zugänglich | |
ist, sondern nur in sozialer Interpretation. Das heißt aber nicht, dass | |
Geschlecht in den Gender Studies radikal losgelöst vom Körperlichen | |
betrachtet wird, wie katholischerseits oft behauptet wird. Es gibt auch | |
biologisch gesehen Geschlechtsvarianten. Man schätzt, dass bis zu 1,7 | |
Prozent der Menschen intergeschlechtlich sind, das heißt etwa jeder | |
sechzigste Mensch. Nur weil wir ihnen bewusst nicht täglich begegnen, ist | |
das kein Argument dafür, dass wir nicht sensibel im Umgang mit diesen | |
Menschen sein müssten, auch sprachlich. | |
Als Moraltheologe beschäftigen Sie sich mit richtigem und falschen Handeln. | |
Wie sollte die Kirche umgehen mit geschlechtlicher und sexueller Vielfalt? | |
Die Kirche und auch die Gesellschaft haben lange das Binäre als richtig | |
angesehen und die Wirklichkeit queerer Menschen als krank. Das war klar und | |
schien unkompliziert. Gesellschaftlich hat man aber seit den 1970er Jahren | |
zunächst Homosexualität, dann Intergeschlechtlichkeit, dann | |
Transgeschlechtlichkeit nicht mehr als Krankheit betrachtet, was auch deren | |
sprachliche Repräsentanz zur Herausforderung werden ließ. Speziell die | |
katholische Kirche hat diesen Schritt großteils nicht mit vollzogen. Da | |
gibt es immer noch die Vermutung, dass sexuelle und geschlechtliche | |
Varianten etwas sind, das nicht der natürlichen Schöpfungsordnung | |
entspricht. Man muss diese Art des theologischen Denkens hinterfragen und | |
sich fragen, warum man die wissenschaftliche Entwicklung nicht angemessen | |
berücksichtigt hat in der eigenen Lehre. Eine solche Berücksichtigung | |
vollzieht dagegen [3][der Synodale Weg in Deutschland]. Dort haben die | |
Synodal:innen versucht, den Primat der Liebe stark zu machen. Weil Liebe | |
ganz anders als der Begriff Natur deutlich macht, dass ein Mensch um seiner | |
selbst willen anzuerkennen ist – unabhängig von sexueller Orientierung und | |
geschlechtlicher Empfindung. | |
Warum interessiert Sie das Thema überhaupt? Sie sind ein Cis-Mann und sind | |
der Schöpfungsordnung gemäß mit einer Frau verheiratet. | |
Das wissenschaftliche Arbeiten hat nie nur damit zu tun, ob mir ein Thema | |
persönlich liegt. Wenn ich als Professor Diplomarbeiten begleitet habe, | |
ging es nicht darum, ob mir das Thema zusagt. Es geht darum, ob dieses | |
Thema wissenschaftlich stringent bearbeitet wird. Wenn man sich | |
grundsätzlich mit Geschlechterfragen, Familie und Sexualität im | |
katholischen Kontext auseinandersetzt, hat man sich automatisch auch mit | |
den unterschiedlichsten Herausforderungen dieser Thematik | |
auseinanderzusetzen. Und wenn man wissenschaftlich offen bleibt, kommt man | |
darauf, dass die Kirche mit ihrem Vorwurf der Gender‑Ideologie selbst eine | |
hohe Portion an Ideologie einbringt. Und das gilt es wissenschaftlich | |
aufzuzeigen. | |
Ihr kritisches Gender-Buch haben Sie erst im Ruhestand geschrieben. Weil | |
Sie während ihres Berufslebens Konsequenzen durchs [4][kirchliche Lehramt] | |
befürchteten? Das darf schließlich auch an staatlichen Unis mitreden. | |
Ich habe in den letzten zehn Jahren nichts anderes vertreten und in | |
zahlreichen Büchern auch darüber geschrieben. Vielleicht bin ich im Buch | |
sprachlich da und dort deutlicher geworden. Aber das, was Sie ansprechen, | |
ist ein Thema. Mich haben sie die letzten Jahre vielleicht geduldet. Für | |
andere, die noch Karrieresprünge vor sich haben und dafür das bischöfliche | |
Nihil Obstat benötigen, ist es sicher nicht förderlich, in dieser Thematik | |
frühzeitig etwas zu schreiben. Das hat grundsätzlich auch damit zu tun, | |
dass man Jahrhunderte lang in binären Dimensionen gedacht hat, und dass | |
auch heute viele, viele Menschen weltweit weiterhin so denken. Das Denken | |
in Unterschieden stiftet viel leichter Identität. Aber es ist eine | |
Identität, die in Abgrenzung gefunden wird. Ein freiheitliches Denken muss | |
Identität in einer integrativen Form finden, die stets komplex ist. Das ist | |
nicht immer ganz leicht, das gebe ich schon zu. Doch anders kann queeren | |
Menschen keine Gerechtigkeit widerfahren. | |
22 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Hunglinger | |
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