| # taz.de -- Abiturprüfung in Schleswig-Holstein: Vom Gendern im Abi | |
| > Der Text unserer Kolumnistin wurde Teil einer Abiprüfung. Nicht wenigen | |
| > gefiel das nicht. So war der Artikel gemeint. | |
| Bild: Darf in Gendern oder nicht? Bei einer Abiturprüfung in Deutschland | |
| Liebe Abiturientinnen und Abiturienten in Schleswig-Holstein, es tut mir | |
| leid. Ich wollte das nicht, ich habe das nicht kommen sehen. Hätte ich | |
| geahnt, dass ihr meinen Text eines Tages in der Deutsch-Abi-Klausur | |
| vorgelegt bekommt, hätte ich mich anders ausgedrückt. Als ich Abi machte, | |
| hatte man nur mit Texten von Gestorbenen zu tun, und außerdem war das dann | |
| höhere Literatur, keine Gebrauchsprosa mit Germanistikhintergrund. | |
| Jetzt mailt Erik mir, mein „dummer Text“ [1][„Sprache als Experiment“] … | |
| Februar 2021 sei „wirres Zeug“, und ergänzt: „Ich glaube Sie sollten vor | |
| dem Schreiben einen Schreibplan anfertigen, damit Sie strukturiert | |
| argumentieren können.“ Jule schreibt gemäßigter, aber ebenfalls deutlich | |
| verärgert, sie frage sich, „was denn genau ihre Aussage in diesem Artikel | |
| ist“. | |
| Ich kann euren Zuschriften nicht entnehmen, was ihr selbst davon haltet, | |
| die Sprache zu politischen Zwecken zu verändern – zum Beispiel, denn davon | |
| handelte mein Beitrag, neue Schreib- und Sprechweisen zu entwickeln, um | |
| neben dem grammatikalisch herrschenden Maskulinum auch mehr Femininum und | |
| andere Geschlechtlichkeiten auftauchen zu lassen, kurz: zu „gendern“. | |
| Gerade [2][las ich aber im Spiegel, dass] Schleswig-Holstein zu den | |
| Bundesländern gehört, wo das Gendern im Abi als Fehler gezählt wird. | |
| Woanders wird es bloß angestrichen, gilt aber nicht als Fehler, oder es | |
| spielt auch gar keine Rolle. Ich kann mir also vorstellen, dass viele der | |
| Schleswig-Holsteiner AbiturientInnen (ich gendere ja gern taz-klassisch mit | |
| großem I) mit geschärfter Aufmerksamkeit für das Thema in die Klausuren | |
| gegangen sind. Womöglich dachten sie dann, ein taz-Text müsse auf jeden | |
| Fall eindeutig bei einem „Jawoll!“ zum Gendern herauskommen. | |
| Das war aber gar nicht so. Denn der Text sollte in einer Zeit, da auch in | |
| der taz sehr mit Geschlechter- und anderen Identitätspolitiken gerungen | |
| wurde, ein paar Probleme beschreiben, die entstehen, wenn man den | |
| Sprachgebrauch politisch, also moralisch auflädt. [3][Das Stück erschien] | |
| auf einer Seite, die von taz-Interna handelt – für die besonders geneigte | |
| Leserschaft quasi. | |
| ## Eine Abi-Aufgabenstellung ist ein Sprachmachtmittel | |
| Eines der Hauptprobleme, das ich beim Gendern sah: dass es in dem | |
| Augenblick seinen Charakter verändert, da es zur Vorschrift oder Vorgabe | |
| wird. Es ist dann nicht mehr fortschrittlich, emanzipativ, | |
| provokant-normbrechend, vielleicht sogar lustig (was nie falsch ist!). | |
| Sondern es ist dann ja die Norm, kommt also „von oben“, unterliegt deshalb | |
| ganz anderen Rechtfertigungszwängen und wird nicht mehr unbedingt als | |
| befreiend und erst recht nicht mehr als lustig empfunden. | |
| Es geht um Macht: In dem Augenblick, da das, was eben noch Widerstand war, | |
| zur Macht wird, muss es wiederum mit Widerstand – oder mindestens mit | |
| kritischen Rückfragen rechnen. Fortschritt ist oft widersprüchlich und kann | |
| sogar nach hinten losgehen. | |
| Ist das vielleicht ein bisschen klarer? Es ist blöd, dass mein halbinterner | |
| Diskussionsbeitrag zum Thema „Vorsicht mit der Sprachmacht“ nun selbst zum | |
| Sprachmachtmittel geworden ist – denn nichts anderes ist ja eine | |
| Abi-Aufgabenstellung. | |
| Ich sehe das mit dem Gendern übrigens immer noch so, finde die Lage aber | |
| entspannter als vor drei Jahren. Nach meinem Eindruck ist das Unbedingte | |
| aus der Debatte ein bisschen raus. Das klingt jetzt realitätsfern, | |
| schließlich versuchen CDU/CSU und die rechtsaußen sowieso [4][weiterhin], | |
| daraus ein dickes Ding zu machen, denn sie haben keine eigenen Ideen zur | |
| Verbesserung der Welt. Doch kommt es mir vor, als verstünden genug Leute, | |
| dass sich die ganz große Empörung bei etwas derart Fluidem wie Sprache | |
| nicht lohnt. | |
| Ich wünsche euch, dass ihr da alle gut durchkommt, durchs Abi und alles | |
| Weitere. | |
| 5 May 2024 | |
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| [2] https://www.spiegel.de/panorama/bildung/abitur-und-gendern-umstrittene-ster… | |
| [3] /!vn5747681/ | |
| [4] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-03/markus-soeder-bayern-gender… | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Winkelmann | |
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