| # taz.de -- SPD-Wahlerfolg von Dietmar Woidke: Hoch gepokert, knapp gewonnen | |
| > SPD-Ministerpräsident Woidke versuchte alles, um einen AfD-Wahlsieg zu | |
| > verhindern – mit harten Ansagen zu Migration und zur Ampel. Nun frohlockt | |
| > er. | |
| Bild: Wahlkampf mit autoritären Ansagen: Dietmar Woidke | |
| Potsdam taz | „Wir haben eine Aufholjagd hingelegt, wie es sie in der | |
| Geschichte unseres Landes noch nie gegeben hat“, so freute sich [1][Dietmar | |
| Woidke] am Sonntagabend, bei der SPD-Wahlparty in der Alten Post in | |
| Potsdam, bei Mettbroten und Hamburgern. Mal wieder seien es wohl die | |
| Sozialdemokraten gewesen, „die Extremisten auf ihrem Weg zur Macht gestoppt | |
| haben“, rief er von der Bühne. Tatsächlich sieht es so aus: Der | |
| SPD-Ministerpräsident hat es wieder geschafft, die AfD im letzten Moment zu | |
| schlagen. | |
| Laut Hochrechnungen lag Woidkes SPD bei der Brandenburger Landtagswahl am | |
| Sonntag [2][mit rund 32 Prozent vor der AfD mit etwa 29 Prozent der | |
| Stimmen]. Das ist ein knappes, aber für die SPD sensationelles Ergebnis. | |
| Denn in den Umfragen der vergangenen Wochen lagen die Rechtsextremen meist | |
| vier Prozent vor der SPD. Es ist vor allem Woidkes Sieg. Wie hat er das | |
| gemacht? | |
| Der Wahlkampf war komplett auf den 62-Jährigen fokussiert. „Wer Woidke | |
| will, wählt SPD“, stand auf den Plakaten. In einem in Millionenauflage | |
| gedruckten Magazin war zu erfahren, was bei Woidkes im Kühlschrank steht | |
| (Würstchen, Äpfel, Joghurt) und wie es Dackel Justus geht. Landtagswahlen, | |
| so die Einschätzung des Ministerpräsidenten, seien im Mehrebenensystem mit | |
| Bund, EU, Kommunen zu einer Art Bürgermeisterkür geworden. Personen zählen, | |
| Programme nicht. Woidke first, Partei second. | |
| [3][Woidke hatte zudem angekündigt, zurückzutreten, wenn die AfD stärkste | |
| Fraktion würde]. Das war wohl eher eine spontane Eingebung in einem | |
| Interview als eine ausgeklügelte Strategie. Grüne und Linkspartei klagten | |
| zu Recht, dies sei Erpressung. Aber: Es hat funktioniert. Und verhindert, | |
| dass Bäume der AfD in den Himmel wachsen. | |
| ## Selbst Sachsens CDU-Ministerpräsident stand hinter Woidke | |
| Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer hatte ein paar Tage vor | |
| der Wahl den Brandenburgern empfohlen, ihr Kreuz bei dem Sozialdemokraten | |
| zu machen. Das zerstörte die letzten Hoffnungen des CDU-Kandidaten Jan | |
| Redmann, in dem horse race zwischen SPD und AfD noch mitspielen zu können. | |
| Kretschmer stützte Woidkes Narrativ: ich oder die AfD. Neu ist 2024 das | |
| BSW, das mit ungefähr 12 Prozent in den Landtag einzieht. Die CDU rutschte | |
| dramatisch ab und kommt nur noch auf knapp 12 Prozent, die ebenfalls | |
| mitregierenden Grünen zitterten lange um den Wiedereinzug in den Landtag. | |
| Woidke regiert Brandenburg seit elf Jahren. Der gelernte Agraringenieur | |
| wohnt nicht in Potsdam, sondern noch immer in Forst in der Lausitz. Im | |
| Vergleich zu seinen Vorgängern Manfred Stolpe und [4][Matthias Platzeck] | |
| hat der dritte Ministerpräsident seit 1990 wenig Schillerndes und | |
| Intellektuelles. Er ist ein Mann kurzer, prägnanter Sätze. Seine politische | |
| Grundbotschaft hat er mal so formuliert. „Wir müssen unsere Vorhaben besser | |
| erklären. Und was wir nicht erklären können, müssen wir sein lassen.“ | |
| Machen oder lassen, fertig. | |
| Aber der Eindruck des Schlichten und Direkten war kein Malus. Im Gegenteil. | |
| Der Gestus des Erdverwurzelten passt 2024 in die Stimmung. Die Gräben | |
| zwischen Stadt und Land sind so tief wie lange nicht. [5][Die AfD lebt von | |
| der Mobilisierung von Affekten gegen die urbanen Eliten]. An Woidkes | |
| Holzfällerimage perlten die rechten Hasskampagnen gegen die | |
| Globalisierungsgewinner in den Metropolen ab. Er fühlt sich auf Dorffesten | |
| wohler als auf Vernissagen. Der SPD-Mann war schon vor dem Wahlkampf viel | |
| in Brandenburg unterwegs: Bei der Feuerwehr und Polizei, den Landfrauen, | |
| Bauern. Im TV wirkt er oft hölzern, bürokratisch, steif. Im direkten | |
| Kontakt ist er schlagfertig und zugewandt. Wie ein Bürgermeister eben. Es | |
| kann gut sein, dass die Präsenz vor Ort die Basis für diesen Erfolg war. | |
| ## Zackige, autoritäre Ansagen | |
| Woidke ist ein rechter Sozialdemokrat, skeptisch gegenüber einem auf | |
| Emanzipation geeichten Zeitgeist. In seinem ersten Kabinett 2014 gab es | |
| sieben Männer, drei Frauen. Er erfüllt auch verlässlich die Nachfrage nach | |
| zackigen, autoritären Ansagen. Das überwölbende Thema in Brandenburg war | |
| nach Solingen Migration. In der taz forderte er kürzlich, dass Deutschland | |
| [6][härter auftreten müsse]. Wer aus „politischer Korrektheit“ Probleme b… | |
| Migration verschweige, „helfe Populisten“. Woidkes Erfolg zeigt, dass die | |
| linksliberale These, dass Migration zu thematisieren bei Wahlen immer nur | |
| den Rechten hilft, vielleicht zu überdenken ist. | |
| Der SPD-Mann kombinierte die Botschaft „Hart bei Migration“ mit klarer | |
| Kante gegen die AfD. Er ist kein eloquenter Redner, kann aber im richtigen | |
| Moment Wirkungstreffer landen. Wie ein paar Tage vor der Wahl. Im RBB | |
| traten alle Spitzenkandidaten auf. Hans Christoph Berndt, der rechtsextreme | |
| Chef der AfD, griff den Moderator an. Der hatte sich erlaubt, darauf | |
| hinzuweisen, dass der Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextrem | |
| einstuft. Als Berndt seine Opferlitanei beendet hatte, blickte Woidke, 1,96 | |
| Meter groß, auf den Rechten hinab und sagte knapp: „Sie haben kein Problem | |
| mit dem Verfassungsschutz. Sie haben ein Problem mit der Verfassung.“ Point | |
| taken. Die AfD griff Woidke weniger moralisch, als mit Blick auf Interessen | |
| an. Wenn die an die Macht kämen, wären das stark migrantisch geprägte | |
| Gesundheitssystem und der Wohlstand weg, Abwanderung von Fachkräften und | |
| Unternehmen gefährdet. | |
| ## Ausgeteilt auch gegen die Ampel | |
| Doch auch gegen die eigene Partei und den Kanzler teilte Woidke aus wie | |
| kein SPD-Ministerpräsident vor ihm. Olaf Scholz, der immerhin in Potsdam | |
| wohnt, war in seinem Wahlkampf nicht erwünscht. Diese Distanz zur Ampel war | |
| keine Erfindung der letzten Wochen vor der Wahl. Woidke erzählte schon | |
| länger jedem, der es hören wollte, dass das Cannabis-Gesetz mies gemacht | |
| war und das Heizungsgesetz auf dem Land so gut ankam wie eine | |
| Migräneattacke. Angesprochen auf die Ampel-Performance reagierte er | |
| mürrisch bis an die Grenze des Unhöflichen: „Fragen Sie in Berlin nach. Ich | |
| habe anderes zu tun.“ | |
| Das hat sich, verbunden mit der „Ich oder die AfD“ Inszenierung, | |
| ausgezahlt. Eine Pointe dieses Anti-Ampel-Wahlkampfes ist: Wahrscheinlich | |
| erspart dieser Sieg Olaf Scholz ein paar unangenehme Debatten, ob er der | |
| richtige Kanzlerkandidat für die SPD 2025 ist. | |
| 22 Sep 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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