| # taz.de -- Wahlniederlage der Grünen in Brandenburg: Ab nach Island | |
| > Die Grünen fliegen aus dem Landtag und geben der SPD die Schuld daran. | |
| > Auf der Wahlparty scherzen die ersten schon übers Auswandern. | |
| Bild: Brandenburg jetzt ohne Grün: Die Spitzenkandidat*innen Töpfer und Rasch… | |
| Potsdam taz | Die Grünen haben am Sonntagabend nur wenig Gelegenheit zu | |
| jubeln, aber zumindest diese nutzen sie. Um 18 Uhr läuft auf ihrer | |
| Wahlparty in der Potsdamer Schinkelhalle ARD, nicht ZDF. In der ersten | |
| Prognose liegen sie dort bei 5,0 Prozent, nicht bei 4,6. Also: Erleichterte | |
| Jubelschreie, Applaus, Blumen für die beiden Spitzenkandidat*innen. „Wir | |
| werden hier lange stehen und bangen, aber wir werden es schaffen“, sagt | |
| Antje Töpfer, der eine Teil des Duos. | |
| Keine zwei Stunden später, draußen vor der Halle neben einem Imbiss-Stand, | |
| sitzt eine Gruppe Parteimitglieder aus dem Süden Brandenburgs. Auf den | |
| Smartphones verfolgen sie den Auszählungsstand aus ihrem Wahlkreis. Bei den | |
| Zweitstimmen liegen sie bei 0,8 Prozent. Ihr Direktkandidat hat bei den | |
| Erststimmen immerhin 0,9 Prozent. Die Direktkandidatin der AfD liegt zu | |
| diesem Zeitpunkt über 50 Prozent. „Wir haben kürzlich schon geschaut, was | |
| uns ein Haus in Island kosten würde“, scherzt eine der Grünen. „Und?“, | |
| fragt ihr Sitznachbar. „Können wir uns nicht leisten.“ | |
| Und das Schlimmste kommt erst noch. Am Ende des Abends wird feststehen: | |
| Auch landesweit sind die Grünen unter 5 Prozent der Stimmen gerutscht. Ein | |
| Direktmandat in Potsdam, [1][auf das die Partei gehofft hatte und das ihr | |
| den Wiedereinzug ins Parlament garantiert hätte], verfehlen sie ebenfalls | |
| klar. „Wir müssen konstatieren, dass wir raus sind“, sagt Spitzenkandidatin | |
| Töpfer, als sie um 21:11 Uhr noch mal auf die Bühne tritt. „Aber wir sind | |
| eine starke Partei und wir werden wie Phoenix aus der Asche wieder | |
| aufsteigen“, fügt sie noch hinzu, und die wenigen im Saal verbliebenen | |
| Grünen jubeln dann zumindest noch mal kurz. | |
| Und trotzdem: Die Resultate der Grünen in Brandenburg lesen sich über die | |
| letzten Jahre wie eine Chronik des Niedergangs: 17 Prozent neun Wochen vor | |
| der Wahl 2019, knapp 11 Prozent am Wahltag selbst, immerhin noch 8 Prozent | |
| in diesem Frühling – und nun gerade mal noch die Hälfte. Auffällig ist, wie | |
| lange führende Grüne im Wahlkampf die sinkenden Umfragewerte jedenfalls | |
| offiziell nicht hatten wahrhaben wollen. „Nahe am Wahlergebnis von 2019 zu | |
| landen“, gab Co-Spitzenkandidat Benjamin Raschke noch Ende Juni gegenüber | |
| der taz als Ziel aus. | |
| Das Ergebnis zeigt überdeutlich, dass die Partei in Brandenburg [2][keine | |
| feste Basis etablieren konnte], die sie sicher über die 5-Prozent-Hürde | |
| bringt. Das überrascht angesichts zahlreicher Zuzüge aus Berlin, von wo | |
| Pendler ins Umland oder Rentner in die Idylle der Uckermark ziehen. In | |
| ländlichen Gegenden gab es schon bei der Kommunalwahl im Juni Wahllokale, | |
| in denen es noch nicht mal eine einzige Stimme für die Grünen gab. Der | |
| Speckgürtel um Berlin aber hatte die Partei in den letzten Jahren | |
| eigentlich getragen. Jetzt rettete auch er sie nicht. | |
| ## „Er hat es hingekriegt“ | |
| Fragt man am Wahlabend unter Grünen nach den Ursachen für das Debakel, sind | |
| sie sich über die Schuldigen einig: die SPD und ihr Ministerpräsident | |
| Dietmar Woidke. „Er hat es hingekriegt und er hat es auf Kosten der | |
| demokratischen Mitte gemacht. Es ist unverantwortlich“, sagt Töpfer, als | |
| sie auf der Bühne ihre Niederlage eingesteht. Laut Daten von Infratest | |
| haben die Grünen leicht an AfD, BSW und CDU verloren – und massiv an die | |
| Sozialdemokraten. | |
| Die AfD dürfe nicht stärkste Kraft werden, hatte Woidke im Wahlkampf | |
| gesagt. Und angekündigt: Falls doch, macht er nicht weiter. Durch diese | |
| Zuspitzung konnte er offenbar vor allem den Grünen Wähler abnehmen. Auf der | |
| anderen Seite hat das Kopf-an-Kopf-Rennen möglicherweise auch AfD-Wähler | |
| stark mobilisiert – und somit das relative Ergebnis aller anderen weiter | |
| verschlechtert. | |
| Allerdings hatten die Grünen vor allem gegen Ende des Wahlkampfs massiv | |
| dagegengehalten. Sie hatten ihrerseits dazu aufgerufen, taktisch zu wählen: | |
| Nur mit den Grünen im Landtag gäbe es die Chance, eine Sperrminorität der | |
| AfD im Parlament zu verhindern, die zum Beispiel Verfassungsänderungen | |
| unmöglich macht. Durchgedrungen sind sie damit offensichtlich nicht. Und | |
| dass es auch für das erhoffte Direktmandat in Potsdam nicht gereicht hat, | |
| zeigt: Es muss noch mehr im Argen liegen. | |
| „Wir haben es im Wahlkampf vor allem mit Bundesthemen zu tun gehabt“, sagt | |
| Töpfer auf der Bühne auch noch. Und auch das stimmt natürlich. Die | |
| Verschärfungen in der Migrationspolitik, derzeit bundesweit das bestimmende | |
| Thema, bereiten den Grünen besondere Schwierigkeiten. Ihre Wählerschaft ist | |
| in Fragen der Zuwanderung gespalten – manche haben sich möglicherweise | |
| abgewendet, weil die Grünen zu viele Restriktionen mittragen, und andere, | |
| weil sie zu sehr bremsen. | |
| Die eindeutige Solidarität der Grünen mit der Ukraine schadet bei Wahlen in | |
| Ostdeutschland wohl mehr, als dass sie nutzt. Dass laut Infratest für viele | |
| Wähler die soziale Sicherheit das entscheidende Thema waren, dürfte der | |
| Partei auch nicht geholfen haben: Als sozial gilt sie nun mal nicht, so | |
| sehr sie sich auch bemüht. Die Klimapolitik, vor fünf Jahren noch im Trend, | |
| hat dagegen keine Konjunktur mehr: Nur für 9 Prozent der Wähler war sie das | |
| wichtigste Thema, trotz Dürre und Hochwasser in Brandenburg. | |
| ## Nicht nur der Bund | |
| Und neben den Bundesthemen? Eine weitere Begründung für den Negativtrend | |
| lieferte schon kurz vor der Wahl die Frau, die eineinhalb Jahrzehnte die | |
| Politik ihres Landesverbandes geprägt hatte. Die Grünen könnten schwer | |
| Emotionen bedienen, analysierte Ursula Nonnemacher, als Sozialministerin | |
| eins von zwei grünen Kabinettsmitgliedern in der seit 2019 amtierenden | |
| Kenia-Koalition. „Die Grünen haben das Problem, nicht nur in Brandenburg, | |
| dass sie sehr intellektuell, kopflastig und in vielem zu kompliziert sind“, | |
| sagte Nonnemacher der Märkischen Allgemeinen. Sie gehörte zu denen, die | |
| ihre Partei 2009 nach 15 Jahren erstmals wieder in den Landtag brachten. | |
| Nonnemachers Befund von der Kopflastigkeit ihrer Partei ließe sich auch als | |
| Beschreibung dessen auffassen, was seit Ende Juni vielerorts in Brandenburg | |
| zu begutachten ist. [3][Die grüne Plakat-Kampagne mit dem Slogan „Mehr | |
| Muteinander“] ist im wörtlichen Sinn um die Ecke gedacht: Ein Teil des | |
| Slogans läuft senkrecht links am Rand, der zweite quer am oberen | |
| Plakatrand. Wo fast alle anderen Parteien einfache und griffige Botschaften | |
| präsentieren, mehr dies und weniger da versprechen, haben die Grünen auf | |
| ein Wortspiel mit nötigem Kopfdrehen gesetzt. | |
| Es gibt langjährige Beobachter in der Landeshauptstadt Potsdam, die den | |
| Niedergang auch als Folge verfehlter Personalpolitik werten. Vor allem, | |
| Antje Töpfer zur Co-Spitzenkandidatin zu machen – sie wurde erst Ende 2022 | |
| Staatssekretärin, war zuvor Referentin im Bundeslandwirtschaftsministerium | |
| und zwangsläufig kaum bekannt. | |
| Eine mögliche Alternative war den Brandenburger Grünen vor eineinhalb | |
| Jahren verloren gegangen: Da trennten sich Partei und die | |
| Co-Landesvorsitzende Julia Schmidt, die einige beeindruckende Auftritte | |
| hingelegt hatte und manchem schon als mögliche Spitzenkandidatin galt. Als | |
| Grund gab der Landesvorstand in einer Erklärung „wiederholte Fälle | |
| untragbaren Fehlverhaltens“ an. | |
| Unterm Strich bleibt: Für die 5 Prozent hat es nicht mehr gereicht und in | |
| nächster Zeit haben die Brandenburger Grünen erst mal ganz andere Probleme | |
| zu bewältigen. Sie verlieren nicht nur ihre Landtagsfraktion und ihre | |
| Regierungsbeteiligung, sondern verbunden damit auch Aufmerksamkeit, | |
| Personal und Geld. Immerhin, betonen sie am Wahlabend in der Schinkelhalle | |
| immer wieder: Sie hatten auch dieses Jahr wieder ein enormes | |
| Mitgliederwachstum und sind nun so viele wie nie zuvor. „Wir werden eine | |
| richtig starke außerparlamentarische Opposition machen, und zwar ab | |
| morgen“, ruft von der Bühne noch Co-Spitzenkandidat Benjamin Raschke, und | |
| ein letztes Mal gibt es etwas Jubel im Saal. | |
| 22 Sep 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Alberti | |
| Tobias Schulze | |
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