# taz.de -- Wahlkatastrophe für die Linke: Der Letzte macht das Licht aus | |
> Einst war Brandenburg eine Hochburg der Linkspartei. Jetzt fliegt sie | |
> krachend aus dem Landtag – erstmalig in einem ostdeutschen Bundesland. | |
Bild: „Das ist eine Katastrophe“ | |
Berlin taz | Die Gesichter versteinert, das Entsetzen riesengroß. | |
Fassungslosigkeit herrscht auf der Wahlparty der Linken in Potsdam. Dass es | |
sehr eng werden würde, war allen klar. Aber nur noch um die 3 Prozent? Mit | |
solch einem Fiasko hatte auf der Wahlparty der Linken in Potsdam dann doch | |
niemand gerechnet. „Es ist ein desaströses Wahlergebnis“, kommentiert der | |
Linken-Spitzenkandidat Sebastian Walter. „Das ist eine Katastrophe.“ Was | |
soll er auch sonst sagen? Erstmalig fliegt die Partei aus einem | |
ostdeutschen Landtag. | |
Bis zu diesem Wahlabend galt der 34-jährige Walter als Hoffnungsträger der | |
schwer strauchelnden Linkspartei in Brandenburg. Seit 2019 Fraktionschef im | |
Landtag, seit 2022 auch Landesvorsitzender trauten nicht wenige dem | |
[1][rhetorisch gewandten] Ex-Gewerkschaftssekretär zu, die Linkspartei in | |
ihrer einstigen Hochburg wieder in helleres Licht zu führen. Nun sieht es | |
für sie so düster wie noch nie aus. | |
Bei den Kommunalwahlen Anfang Juni war die Linkspartei bei einem Verlust | |
von 6,3 Prozentpunkten immerhin noch landesweit auf 7,8 Prozent gekommen. | |
Allerdings war da auch noch nicht die Konkurrenz vom [2][Bündnis Sahra | |
Wagenknecht (BSW)] am Start, deren Brandenburger Landesverband erst Ende | |
Mai gegründet wurde. Bei der Landtagswahl sind nun einstige | |
Linken-Wähler:innen in Scharen zum BSW abgewandert. Laut infratest dimap | |
wechselten 41.000 zur Wagenknecht-Partei. | |
Den letzten Rest aber, so Landeschef Walter, habe der Linken der | |
„Panikwahlkampf des Ministerpräsidenten“ gegeben, der sein politisches | |
Schicksal an einen Wahlsieg der SPD gekoppelt hatte. „Wir sind | |
zerschreddert worden von Dietmar Woidke“, resümierte Walter. Etwa 27.000 | |
Wähler:innen verlor seine Partei an die SPD. | |
## Direktmandat verfehlt | |
In Sachsen hatte sich die Linkspartei noch [3][Anfang September] durch zwei | |
gewonnene Direktmandate in den Landtag retten können. Anders als im | |
Nachbarbundesland hätte in Brandenburg sogar schon ein einziges dafür | |
gereicht. Aber auch das hat nicht geklappt. | |
Alle Erwartungen hatten hier auf einer Genossin aus der alten Garde | |
gelegen, der Ex-Fraktionsvorsitzenden Kerstin Kaiser. Einst Lehrerin an der | |
Parteischule beim Zentralkomitee (ZK) der SED „Karl Liebknecht“ in | |
Kleinmachnow und Inoffizielle Mitarbeiterin der Stasi, hatte Kaiser | |
immerhin bereits viermal zwischen 1999 und 2014 ihren Wahlkreis | |
Märkisch-Oderland II als Direktkandidatin gewinnen können. Doch dann ging | |
sie 2016 als Leiterin des dortigen Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung nach | |
Moskau, wo sie bis zum russischen Überfall auf die Ukraine 2022 blieb. | |
Jetzt versuchte die heute 64-Jährige das Politcomeback – und scheiterte | |
trotz bundesweiter Unterstützung krachend. Selbst ohne BSW-Konkurrenz, die | |
in dem Wahlkreis nur mit der Zweitstimme wählbar war, landete Kaiser mit | |
nicht mal mehr 12 Prozent nur auf Platz 3 – mit großem Abstand hinter den | |
Kandidat:innen der AfD und der SPD. Das besiegelte das Schicksal der | |
Linken in Brandenburg als künftig außerparlamentarischer Kraft. | |
## Abstieg begann mit Regierungsbeteiligung | |
„Wir haben so gekämpft wie noch nie“, sagte Landeschef Sebastian Walter. | |
„Aber wenn du jahrelang die ganze Zeit dich nur um dich selbst drehst, dich | |
nicht um die Probleme der Leute kümmerst, dann reicht ein Wahlkampf von | |
sechs bis acht Wochen nicht aus, um das wieder zu drehen“, so Walter mit | |
Blick auf die Turbulenzen auf Bundesebene. Aber das reicht als Erklärung | |
des Desasters bei weitem nicht aus. Die Probleme liegen auch im | |
Landesverband selbst – und sie bestehen nicht erst seit kurzem. | |
Ihren Höhepunkt hatte die Linke in Brandenburg, als sie noch PDS hieß. Bei | |
der Landtagswahl 2004 landete die Partei mit 28 Prozent nur knapp hinter | |
der SPD und weit vor der CDU. Das war das beste Ergebnis, das die PDS je | |
bei einer Landtagswahl in der Bundesrepublik einfahren konnte. Die | |
Linkspartei schaffte nur in Thüringen 2014 und 2019 noch etwas bessere | |
Ergebnisse. | |
Der Abstieg in Brandenburg begann mit ihrem vermeintlich größten Erfolg. | |
Nachdem die Linke bei der Landtagswahl 2009 auf 27,2 Prozent gekommen war, | |
entschied sich der seinerzeitige SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck | |
zum Juniorpartnertausch und ersetzte die CDU durch die Linke. Den | |
Koalitionsvertrag unterschrieb – Kerstin Kaiser. | |
Zehn Jahre durfte die Partei in Potsdam mitregieren. Anspruchslos wie | |
unambitioniert begnügte sie sich dabei mit der Rolle der | |
Mehrheitsbeschafferin für die SPD. Auch die starken Verluste bei der | |
Landtagswahl 2014, bei der sie auf 18,6 Prozent abstürzte, führten nicht zu | |
einer Kurskorrektur. | |
Ohne irgendwelche wahrnehmbaren inhaltlichen Spuren ihrer | |
Regierungsbeteiligung zu hinterlassen, hatte die Linkspartei schließlich | |
2019 ihre Schuldigkeit getan. Mittlerweile auf 10,7 Prozent abgerutscht, | |
war sie keine ernsthafte Konkurrenz mehr für die SPD und so entschied sich | |
Platzeck-Nachfolger Dietmar Woidke, nun lieber die CDU und die Grünen in | |
der Regierung wieder kleiner zu machen – womit er ja auch erfolgreich war, | |
wie der Wahlausgang an diesem Sonntag zeigt. | |
## Linke Ruinenlandschaft | |
Vor 30 Jahren hatte die PDS in Brandenburg mehr als 18.200 Mitglieder. Als | |
die Linkspartei 2009 in die Landesregierung eintrat, waren es noch rund | |
9.000, inzwischen sind nur rund 4.000 Mitglieder verblieben. Dabei ist der | |
Verlust nicht alleine Austritten, sondern zu einem sehr hohen Anteil einer | |
Überalterung der Mitgliedschaft geschuldet, von der ein Großteil noch zu | |
SED-Zeiten politisch sozialisiert wurde. Wenn alte Genoss:innen sterben, | |
aber wegen mangelnder Attraktivität zu wenig neue Genoss:innen | |
hinzukommen, geht es zwangsläufig bergab. | |
Es wäre also zu einfach, zu glauben, die tiefe Krise der Linkspartei sei | |
durch einen bloßen Austausch von Köpfen an der Bundesspitze zu überwinden. | |
Denn unabhängig vom jeweiligen Bundestrend hat die Linkspartei in | |
Brandenburg ihren seit Jahrzehnten andauernden personellen Aderlass bis | |
heute nicht stoppen können. | |
Wie schon in Sachsen ist die Folge ein schleichender, aber für die Partei | |
schmerzhafter Verlust an Verankerung in der Fläche. Jenseits der größeren | |
Städte sieht es auch in Brandenburg in weiten Teilen schon länger düster | |
aus, was ihre Funktionär:innen aber allzu lang nicht wahrhaben wollten. | |
„Wir sind verankert“, gab sich Walter selbst am Wahlabend weiter | |
unverdrossen zuversichtlich. „Wir müssen von unten anfangen, die Partei | |
wieder aufzubauen.“ Vielerorts ist allerdings nicht mehr viel da, um darauf | |
noch etwas aufzubauen. So jedenfalls dürfte sich die Linkspartei die von | |
ihr stets geforderte Angleichung der Ost- an die Westverhältnisse wohl | |
nicht vorgestellt haben. | |
22 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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