# taz.de -- Ökosystem Meer: Trübe Aussichten | |
> Taucht man nur ein paar Meter ab in die Meere wie die Ostsee, sieht man, | |
> dass man viel weniger sieht als früher. Das hat Folgen für Natur und | |
> Mensch. | |
GREIFSWALD taz | Das Wasser im Greifswalder Bodden schimmert grünblau und | |
frisch, der erste ruhige Morgen nach stürmischen Tagen. Florian Hoffmann | |
steuert an diesem Spätsommertag ein Motorboot in diese Art Lagune der | |
Ostsee. Er trägt einen Neoprenanzug, der Fahrtwind zerzaust seine Haare. | |
Mit der rechten Hand gibt er Gas, in der linken hält er sein Handy, um den | |
Kurs zu bestimmen. Schließlich stellt er den Motor ab. Das Echolot zeigt | |
zweieinhalb Meter Wassertiefe. | |
Hoffmann zieht Schwimmflossen, Brille, Schnorchel, einen Gürtel mit | |
Gewichten an und platsch, ist er weg. Er arbeitet für den WWF und taucht | |
regelmäßig nach verlorenen Fischernetzen. Für ein paar Sekunden herrscht | |
Ruhe, nur die Wellen schlagen sacht an die Seite des Boots. Dann taucht er | |
wieder auf, in der Hand ein Büschel Seegras und Kamm-Laichkraut. „Hier | |
können wir runter“, sagt er, „kommt!“ | |
Eigentlich sollte der Meeresboden hier, vor der Insel Vilm, dicht mit | |
Seegras bewachsen sein. So wie im ganzen Greifswalder Bodden mit seinen | |
mehr als 500 Quadratkilometern. Bis vor 70 Jahren war es eine riesige Wiese | |
im Meer. Doch wer heute hinuntertaucht, gleitet nicht nur über Seegras, | |
sondern auch über große Flecken aus Sand und Stein – dort, wo jede kleine | |
Berührung des Bodens mit einem Flossenschlag eine Sandwolke aufwallen | |
lässt. Früher musste man nur den Kopf unter Wasser halten und sah sie vor | |
sich, die Wiese im Meer. Heute aber starrt man in eine diffuse Trübnis, in | |
einen grünen Nebel. Genau so, wie man sie mittlerweile an vielen Küsten der | |
Welt sieht, von Neuseeland über den Golf von Mexiko und das Mittelmeer | |
[1][bis in norwegische Fjorde] – oder eben in der Ostsee. | |
Schuld an dieser Trübnis, dieser Verdunkelung der Meere an den Küsten, ist | |
der Überschuss bestimmter Stoffe im Wasser: zu viele Nährstoffe durch | |
Überdüngung in der Landwirtschaft, zu viel Sand, zu viel organisches | |
Material wie Erde oder Schlick. Diese Stoffe lösen sich, breiten sich in | |
allen Wasserschichten aus und lassen Sonnenlicht weniger tief eindringen, | |
als es sonst der Fall wäre. | |
Nur ein paar Dutzend Wissenschaftler erforschen das Phänomen, in der | |
Öffentlichkeit ist es so gut wie unbekannt. Das Problem geht unter zwischen | |
all den anderen Problemen, die Meere haben. [2][Die riesigen | |
Plastikstrudel] im Pazifik, die dramatische [3][Korallenbleiche vor | |
Australien]. Die Bilder davon rütteln auf. Die schleichende Verdunklung | |
der Küstenmeere ist nicht derart offensichtlich und wirkt weniger | |
bedrohlich. Doch sie hat konkrete Folgen. Zuerst für die Pflanzen im | |
Wasser, dann die Tiere und schließlich für die Fischer, die von ihnen | |
leben. | |
Claas Wollna hievt vier Kisten Fisch auf den Steg. „Barsch, Flunder, Hecht, | |
Zander, Weißfisch“, zählt er auf und hebt ein paar der Fische an. Ein Hecht | |
zappelt noch mal kraftlos und rutscht über die Fische, bei denen sich noch | |
die Kiemen heben und senken. Das ist der Fang aus den 900 Metern | |
Stellnetzen, die Wollna an diesem Morgen im August direkt vor Stralsund | |
eingeholt hat. Er ist zufrieden damit. „Für den Sommer ist das nicht | |
verkehrt“, sagt er. | |
Wollna ist der letzte Fischer aus dem Strelasund, der Meeresarm trennt | |
Rügen vom Festland und verbindet den Greifswalder mit dem Kubitzer Bodden. | |
Mittendrin im Strelasund liegt die Insel Dänholm. Dort, im hintersten Eck | |
der Insel, hat er sein Motorboot festgemacht. Seine Schuppen für Material | |
und Verkauf stehen hier. Er schleift die Kisten voller Fisch über den Steg | |
und die Rampen hoch zum Kühlraum. Sein Mitarbeiter nimmt die Barsche und | |
schrubbt mit einem elektrischen Schuppenentferner über jeden einzelnen, die | |
Schuppen fliegen zur Seite weg wie die Funken bei einer Flex. | |
Ein Kunde will „was für die Pfanne“. Wollna verkauft ihm 700 Gramm | |
Barschfilet für zehn Euro. Ein geringer Preis. Er fischt nur noch für | |
Stammkunden und zwei Restaurants in Stralsund. „Früher sind die Kunden aus | |
Berlin und aus dem Spreewald hergekommen“, sagt er. Wobei er mit „früher“ | |
die 2010er Jahre meint. Die Zeit, bevor die Fangquote für Hering drastisch | |
gekürzt wurde. 2017 durfte Wollna noch 50 Tonnen im Jahr fangen, jetzt noch | |
1,3 Tonnen. Er kommt nur dank staatlicher Entschädigungen über die Runden. | |
„Das macht keinen Spaß mehr“, sagt er. | |
Doch er weiß auch, dass der Hering geschont werden muss. Denn dem geht es | |
sehr schlecht. „Die kalten Winter fehlen“, sagt Wollna. Die, in denen das | |
Wasser so kalt wird, dass die Heringe nicht zu früh aus der Nordsee zu | |
ihren Laichgründen im Bodden schwimmen, der Kinderstube des Herings in der | |
deutschen Ostsee. Doch wegen des Klimawandels wird das Wasser nicht mehr | |
richtig kalt. Also ziehen die Heringe schon im Februar in den Greifswalder | |
Bodden. Dort legen sie ihren Laich auf Seegras ab. Winzige weiße Eier, | |
geborgen zwischen kräftigen Halmen. Winzige Heringslarven, die zwischen | |
diesen Halmen groß werden, geschützt vor Räubern. | |
Eigentlich. Denn das Seegras im Wasser braucht Licht, um existieren zu | |
können. Genauso wie Bäume, Wiesen und Sträucher an Land. Wenn das Wasser | |
jedoch dunkler wird, bekommt das Seegras weniger Licht und stirbt ab. | |
Entlang der deutschen Ostseeküste ist es um über die Hälfte zurückgegangen. | |
Das verstärkt die Verdunkelung des Wassers sogar noch. Denn wenn das | |
Seegras mit seinen Wurzeln nicht mehr den sandigen Meeresgrund | |
stabilisiert, wirbelt dieser Sand leichter auf, wenn im Winter Stürme über | |
die Ostsee fegen. Der Sand setzt sich auf den Halmen des übrigen Seegrases | |
ab. Und wenn der Ostseehering seine Eier auf diesen Halmen ablegen will, | |
rutschen sie ab. Das bedeutet weniger Nachwuchs für den Hering und weniger | |
Beute für andere Tierarten wie den Hornhecht, Eisenten, Bergenten oder | |
Kegelrobben. Oder Fischer wie Claas Wollna. Ja, ihm sei aufgefallen, sagt | |
er, dass das Wasser im Strelasund an manchen Tagen trüber ist als früher. | |
Dann muss er los, räuchern. | |
Der Mann, der die Verdunkelung des Wassers an der Ostseeküste genau | |
erforscht und in Forscherkreisen bekannt gemacht hat, ist der | |
Meeresphysiker Oliver Zielinski. Im April 1997 war er mit dem | |
Forschungsschiff „Meteor“ im Atlantik unterwegs. Die Mission seiner | |
Arbeitsgruppe: das Licht und seine Wirkung im Meer zu messen. Sie ließen | |
ihre selbstgebauten Messgeräte durch den hydrografischen Schacht des | |
Schiffs, den „Moonpool“, ins Wasser herab. Liegt seine Öffnung an Deck, | |
spiegelt sich nachts der Mond darin. Als Zielinski vor Gran Canaria den | |
Holzdeckel vom Moonpool hob, leuchtete ihm das Wasser klar und hellblau | |
entgegen. Ein paar Tage später vor der afrikanischen Küste war es trübe | |
und blassgrün. Er hat Fotos gemacht, sie wirken wie aus unterschiedlichen | |
Meeren. Dabei lagen nur ein paar hundert Kilometer zwischen den beiden | |
Orten. In diesen Tagen, am Moonpool der „Meteor“, sagt Zielinski, habe er | |
seine Faszination für das Licht im Meer entdeckt. | |
25 Jahre später steht er vornübergebeugt auf einem Pier in Warnemünde und | |
lässt eine weiße Plastikscheibe an einer Kordel in die Ostsee hinab. In | |
Kreisen trudelt sie tiefer. „Ein Gewicht wäre gut gewesen“, sagt Zielinski | |
und wartet. Er wartet im Nieselregen, um sein Lebensthema zu erklären. Er | |
hat ihm einen Namen gegeben: Coastal Ocean Darkening. Die Verdunkelung der | |
Küstenmeere. | |
Schließlich kann Zielinski die Scheibe im grünen Wasser gerade noch | |
erkennen. „Das ist jetzt die sogenannte Secchi-Tiefe“, sagt er. Er schätzt | |
sie auf zweieinhalb Meter. „Die Faustregel ist, dass das Licht dreimal so | |
tief ins Wasser reicht. Hier am Pier also siebeneinhalb Meter tief. Das ist | |
tatsächlich ganz gut.“ Siebeneinhalb Meter, in denen das Leben im Meer | |
genügend Licht bekommt. Mit einer solchen Scheibe prüfte der Italiener | |
Angelo Secchi 1865 erstmals mit System, wie tief man ins Meer hinabsehen | |
kann: die Secchi-Tiefe. | |
Das klappte so gut, dass die Scheibe fast 160 Jahre später immer noch die | |
Standardmethode ist, Licht und Dunkelheit im Wasser zu messen. Keine teure | |
Sensorik, keine Algorithmen, keine Roboter. Nur eine weiße Plastikscheibe, | |
so groß wie ein Pizzateller, an einer Kordelschnur. Weltweit haben Forscher | |
damit fast eine Million Mal gemessen. Dieser Datenschatz reicht über | |
einhundert Jahre zurück. Zielinski hat ihn geborgen, hat ihn durchwühlt und | |
kann mit Sicherheit sagen: In den Meeren ist es heute dunkler als noch vor | |
ein paar Jahrzehnten. Weltweit geht dem Leben unter Wasser das Licht aus. | |
„Wir sehen es nur nicht“, sagt Zielinski, „Sie können mit einem Flugzeug | |
über das Meer fliegen, es strahlt Sie hell an, und unter Wasser ist es | |
trotzdem dunkel.“ | |
Licht transportiert die Energie der Sonne zur Erde. Pflanzen brauchen es, | |
um aus Nährstoffen, Wasser und Kohlenstoffdioxid Zucker herzustellen. Dabei | |
bilden sie Sauerstoff, der Leben erst möglich macht, die Photosynthese. Der | |
Großteil auf unserem Planeten geschieht davon im Meer. Dort treiben 5,4 | |
Milliarden Tonnen an Phytoplankton. Winzige Algen, die mehr als die Hälfte | |
des Sauerstoffs auf der Erde produzieren und der Anfang allen Lebens im | |
Meer sind. In flachen Küstenregionen wachsen zudem Seegras und andere | |
Pflanzen, die Makrophyten. Sie sind Nahrung, Laichgründe und Verstecke für | |
kleinere Fische. Die dann von größeren Fischen, Vögeln und Säugetieren wie | |
Robben gefressen werden. | |
Ein Quadratmeter Seegraswiese bindet doppelt so viel CO2 wie ein | |
Quadratmeter Wald an Land. Weniger Licht in den Meeren heißt also: weniger | |
Plankton und Pflanzen, weniger Fisch, weniger Sauerstoff, weniger | |
CO2-Bindung. So ist es für viele Küsten der Welt nachgewiesen: die Japans | |
und Chinas, Neuseelands und der USA, vor Singapur und in der Adria. Und | |
auch an den deutschen Küsten. In der Nordsee hat sich die Sichttiefe seit | |
Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 1980er jedes Jahr um zwei bis drei | |
Zentimeter verringert. Noch deutlicher war es in der Ostsee und damit auch | |
im Greifswalder Bodden: Jedes Jahr konnte man im Durchschnitt drei bis vier | |
Zentimeter weniger tief hineinsehen. | |
„Die Sicht da unten ist wirklich miserabel“, ruft der Umweltschützer | |
Hoffmann im Wasser des Greifswalder Boddens. Da unten, wo Seegras und | |
Kamm-Laichkraut im grünen Nebel wabern. In den Tagen zuvor hat der Sturm | |
Sand aufgewirbelt. Vor allem schuld am Nebel sind aber die grünen Partikel, | |
die durch das Wasser schweben wie der erste Schnee des Winters: | |
Phytoplankton. | |
Das Phytoplankton, das eigentlich alles Leben im Meer ernährt, von Garnelen | |
bis Blauwalen. Wenn es in der richtigen Menge vorhanden ist. Das hier im | |
Bodden aber von Nährstoffen gepäppelt explodiert – und Leben verhindert, | |
indem es das Wasser verdunkelt. | |
Hoffmann klettert über eine Leiter zurück an Bord des Motorbootes, zieht | |
Flossen, Gewichte, Schnorchel aus und nimmt ein Klemmbrett mit laminierten | |
Seekarten und Diagrammen zur Hand. „Wir sehen hier, dass lange viel zu viel | |
Stickstoff und Phosphor in die Ostsee eingeleitet worden ist“, sagt | |
Hoffmann. Das stamme vor allem aus Gülle und Kunstdünger für Weizen oder | |
Raps, Mais oder Hafer. Von Russland bis Dänemark seien die Felder über | |
Jahrzehnte mit Nährstoffen vollgepumpt worden. Und sie werden es noch | |
immer, in Polen etwa, sagt Hoffmann. „Und sobald es im Frühjahr warm wird, | |
lassen diese vielen Nährstoffe das Phytoplankton und die Algen | |
explosionsartig anwachsen.“ Was an Land düngt, düngt auch im Meer. | |
Und nun, im Sommer, treibt das Phytoplankton wie Schneeflocken durch alle | |
Wasserschichten und trübt sie ein, wie in einem Aquarium, das lange nicht | |
gereinigt wurde. „Wir wissen aus historischen Aufzeichnungen, dass die | |
Sichttiefe hier im Greifswalder Bodden früher bis auf acht Meter | |
runterging“, sagt Hoffmann, „jetzt sind es noch zwei bis drei.“ Auch Grü… | |
und Blaualgen wuchern. Sie treiben auf dem Wasser und halten das Licht ab | |
wie ein dichter Theatervorhang. Auch für Menschen sind sie schädlich und | |
führen bei Kontakt etwa zu Reizungen der Haut. Bis die Algen absterben, | |
absinken und sich als Schleim über Seegras und Kamm-Laichkraut legen. | |
Der Überschuss an Agrarnährstoffen ist eine wichtige, aber nicht die | |
einzige Ursache der Verdunkelung im Meer. Zwei weitere sind an der Nordsee | |
erforscht worden, in Wilhelmshaven. Dort, am Ufer des Jadebusens, stehen | |
die Strandkörbe in der Hochsaison dicht aufgereiht. Etwas abseits befindet | |
sich ein Turm aus Backstein, der Sitz des Instituts für Chemie und Biologie | |
des Meeres der Uni Oldenburg, kurz ICBM. Hier hat der Meeresforscher Oliver | |
Zielinski von 2016 bis 2020 das Wie und Warum der Verdunkelung erforscht, | |
gemeinsam mit Forschern des Koninklijk Nederlands Instituut voor Onderzoek | |
der Zee (Nioz). | |
Die Forscher werteten all die Secchi-Messungen aus den hundert Jahren zuvor | |
aus. Sie entwickelten zudem moderne Messmethoden mittels der „Argo Floats“: | |
Tauchroboter, die selbstständig durch die Meeresschichten auf- und | |
absteigen: bis auf 6.000 Meter, und das bis zu vier Jahre lang. Mit | |
Radiometern messen sie, wie weit das Licht eindringt, und funken die Daten | |
nach Wilhelmshaven. Aus der Erdumlaufbahn wiederum messen Satelliten die | |
Farbe des Meerwassers. Damit können die Forschenden dann bestimmen, wie | |
viele Nährstoffe im Wasser sind und wie sich das auf die Lichtverhältnisse | |
auswirkt. Dafür haben die Forschenden die Daten aus Messungen mit | |
Secchi-Scheiben, mit Tauchrobotern und Satelliten kombiniert. | |
Und sie haben das Meer nachgebaut, in zwölf Kesseln aus Edelstahl, 120 | |
Zentimeter hoch, 80 Zentimeter im Durchmesser, mit einer Glasplatte als | |
Abdeckung. 600 Liter passen in die sogenannten Planktotrons. Damit lassen | |
sich die Verhältnisse im Meer nachbilden, verschiedene Temperaturzonen und | |
Lichtverhältnisse inklusive. „Zusammen mit einer Regentonne, einer Pumpe | |
und Schläuchen können wir auch die Gezeiten simulieren“, sagt Maren | |
Striebel. Sie forscht am ICBM zu Plankton und war Teil von Zielinskis | |
Forschungsprojekt über Coastal Ocean Darkening. Dafür befüllte sie die | |
Planktotrons mit Wasser aus der Nordsee und Erde. | |
Striebel nennt diese Erde tDOM: terrigenous dissolved organic matter. | |
Sediment, das vom Land ins Meer gelangt. Man sieht es auf | |
Satellitenbildern: braune Massen, die sich ins Wasser ergießen. Etwa, wenn | |
Gestein von Steilküsten abbricht, oder wenn in Flüssen wie der Ems oder der | |
Elbe die Fahrrinne vertieft wird und tonnenweise Schlick raus in die | |
Nordsee fließt oder dort abgeladen wird. Oder wenn nach Starkregen an Land | |
der Boden entlang von Flüssen abbricht und bis ins Meer treibt, sich im | |
Wasser auflöst und es verdunkelt. So als würde man einen Teelöffel mit | |
Blumenerde in ein Glas Wasser kippen und beides zu einer braunen Brühe | |
verrühren. | |
In Striebels Experiment in den Planktotrons trübte die hinzugefügte Erde | |
das Meerwasser so ein, dass das Phytoplankton im Wasser – das hier in | |
gesunder Menge vorhanden war – nicht mehr genug Licht bekam und weniger | |
wurde. Das habe dann wiederum die Zahl der Mikroorganismen im Wasser | |
verringert, die sich vom Phytoplankton ernähren. Damit war klar: Erde kann | |
Meerwasser so weit verdunkeln, dass es dem Leben darin schadet. | |
Genauso ist es mit Sand. Den hat Striebel in einem zweiten Experiment mit | |
in die Planktotrons gegeben. Ist das Wasser ruhig, setzt sich der Sand zwar | |
am Grund ab. Doch in der Realität wird er ständig aufgewirbelt, ob durch | |
Stürme, Schleppnetzfischerei oder Bergbau am Meeresgrund. Für das | |
[4][LNG-Terminal vor Rügen] und den Fehmarnbelttunnel reißen Bagger den | |
Boden auf. All das wirbelt Sand auf und verdunkelt somit das Meer. | |
„Ein Mysterium lösen“: Mit diesen großen Worten hatte Oliver Zielinski die | |
Forschung zu Coastal Ocean Darkening begonnen. Nach der jahrzehntelangen | |
Verdunklung der Nordsee bis in die 1980er Jahre gibt es seit der | |
Jahrtausendwende wieder etwas mehr Licht im Wasser. Das liege an besseren | |
Kläranlagen, strengeren Auflagen für Dünger in der Landwirtschaft und dem | |
Verbot von Phosphat in Waschmitteln. Und daran, dass die Nordsee als | |
offenes Meer gut umgewälzt wird. | |
## Die Ostsee wird dreimal so schnell wärmer wie andere Meere | |
Die Ostsee aber liegt ziemlich ruhig da. „Was da einmal reingeflossen ist, | |
bleibt lange drin“, sagt Zielinski. Seit der Jahrtausendwende habe sich die | |
Situation zumindest nicht verschlimmert. | |
Doch was Umweltauflagen erreicht haben, könnte durch den Klimawandel teils | |
zunichtegemacht werden. Auch die Ostsee wird stetig wärmer, dreimal so | |
schnell wie Meere im weltweiten Durchschnitt, seit den 1980ern schon um 2 | |
Grad Celsius. Das lässt Algen gedeihen. Starkregen nimmt zu, er spült Erde | |
aus den Flüssen ins Meer. Stürme werden stärker, sie wirbeln den Sand am | |
Meeresgrund auf. | |
Oliver Zielinski sagt deshalb, dass Klimaschutz zentral ist, um global | |
wieder mehr Licht in den Meeren zu haben. Er ist seit März 2023 Direktor | |
des Leibniz-Instituts für Ostseeforschung in Warnemünde. Nun hat er sich | |
mit so gut wie allen anderen europäischen Experten zum Thema zusammengetan. | |
Viele sind es nicht, rund 20 in Europa, an die 100 weltweit. „Marine | |
Shapes“ soll ihr neues Forschungsprogramm heißen. Zielinski hofft, dass er | |
von Warnemünde aus bald eine große internationale Forschungsinitiative | |
koordinieren wird – und damit auch in Deutschland Medien und | |
Politiker:innen derart erleuchtet, dass sie auf das fehlende Licht im | |
Meer aufmerksam werden. | |
14 Oct 2024 | |
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