Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- P. Diddy ist kein Einzelfall: Das Schweigen der Männer
> Nach misogynen Gewalttaten wird es viel zu schnell wieder leise. Die
> aktuellen Schreckensnachrichten zeigen: Wir müssen noch lauter werden –
> und mehr.
Bild: Teilnehmerinnen einer Demo gegen Männergewalt am 26. November 2022 in Rom
Oft habe ich das Gefühl, ich schreie gegen die Wand. Eine Wand, die
verhindert, dass mein Schreien durchdringt, sondern es lediglich
reflektiert und mir selbst um die Ohren haut. Dieses Gefühl teile ich mit
allen, die journalistisch, juristisch oder aktivistisch zu Gewalt gegen
Frauen arbeiten. Denn jeden Tag werden Frauen und Queers weltweit
geschlagen, vergewaltigt und getötet. [1][Misogyne Gewalt ist Teil unseres
gesellschaftlichen Alltags], doch einen Großteil scheint das nicht zu
interessieren. Denn egal wie laut wir schreien, es ändert sich nichts.
Immer wieder gibt es kleine Momente, in denen Feminist_innen durchdringen.
Meist dann, wenn ein großer #MeToo-Fall oder ein Femizid an die
Öffentlichkeit gelangt. Für kurze Zeit sind dann alle ganz erschrocken und
fragen: Wie konnte das so lange im Verborgenen bleiben? Wieso konnte das
nicht verhindert werden?
So ein Moment ist jetzt gerade wieder: Große Medien berichten gehäuft über
misogyne Gewalt und fürchten sich nicht mehr davor, den Begriff „Femizid“
zu nutzen. Und auch in den sozialen Medien ist die Empörung laut.
Ein Fall, an dem sich das entzündet, ist die Festnahme von Sean Combs,
besser bekannt als P. Diddy, am vergangenen Montag wegen des Verdachts,
eine „kriminelle Unternehmung“ zu betreiben. Er soll über Jahrzehnte Frauen
missbraucht, bedroht und genötigt haben, seine sexuellen Wünsche zu
erfüllen. Dafür soll er mithilfe von Angestellten ein ganzes System
aufgebaut haben, damit seine Gewalttaten nicht an die Öffentlichkeit
kommen.
## „Extreme Gefahr“ für die Gesellschaft
Die Vorwürfe gegen Combs sind seit Längerem bekannt. Im Mai
[2][veröffentlichte CNN ein Video,] in dem zu sehen ist, wie er seine
Ex-Freundin Casandra Ventura zu Boden schlägt, auf sie eintritt und sie
anschließend über den Hotelflur zerrt. Es ist grausam, diese Szene
anzugucken. Noch grausamer ist lediglich das Wissen, dass es noch viel
gewaltvollere Vorwürfe gegen den Rapper und Unternehmer gibt. Combs hat vor
Gericht unschuldig plädiert, er muss bis zum Prozessbeginn in Haft bleiben,
weil er eine „extreme Gefahr“ für die Gesellschaft darstelle.
Der Fall P. Diddy ist nur die aktuellste Schreckensnachricht in einer
ganzen Reihe von Meldungen, die seit Wochen auf uns einprasseln. Wie der
Tod der olympischen Läuferin [3][Rebecca Cheptegei], sie wurde von ihrem
Ex-Freund angezündet. Oder die ehemalige Miss-Schweiz-Finalistin, die von
ihrem Mann mit einem Messer getötet und anschließend mit einer Gartenschere
zerlegt wurde und deren Körperteile im Stabmixer zerkleinert wurden.
Und dann ist da noch dieser [4][Prozess in Frankreich, der Grausamkeiten
offen legt,] die kaum zu begreifen sind. Ein Mann hat über neun Jahre
hinweg seine Ehefrau Gisèle Pélicot unter Drogen gesetzt und sie dann
entweder selbst vergewaltigt oder auf einer Website zur Vergewaltigung
angeboten. Mit dem geständigen Ehemann sind 50 weitere Männer angeklagt,
sie sind Journalisten, Krankenpfleger, Informatiker, Feuerwehrmänner. Über
200 Mal soll Pélicot vergewaltigt worden sein, sie selbst wusste wegen
Erinnerungslücken durch die Drogen nichts davon. Erst Videos, die die
Polizei sicherstellte, ließen sie begreifen, was passiert war. Statt zu
schweigen, geht sie mit ihrem Gesicht und ihrer Geschichte in die
Öffentlichkeit – im Namen aller Frauen, die sich nicht erinnern können.
Dafür bekommt sie international Anerkennung und Respekt – vor allem von
Frauen.
All die genannten Fälle mögen nicht direkt vor oder hinter unserer Haustür
passiert sein, aber das heißt nicht, dass nicht auch hier in Deutschland
geschlagen, vergewaltigt und getötet wird: Mittlerweile wird fast jeden
zweiten Tag eine Frau von ihrem (Ex-)Partner getötet. Ich könnte jetzt
weiter eine Statistik nach der anderen runterbeten, doch letztlich zeigen
sie alle das Gleiche: Wir alle kennen Frauen, die Gewalt erfahren, und wir
alle kennen Männer, die gewalttätig sind.
## Und die Männer?
Die Taten können passieren, weil andere mitmachen, das System stützen oder
wegschauen. Im Fall von Pélicot sind es die 90 Männer, die sie vergewaltigt
haben. Aber auch die Plattform, die es erlaubt hat, das Angebot des
Ehemanns online zu stellen. Es sind die Ärzt_innen, die sie wegen Schmerzen
im Unterleib konsultierte, die aber trotz Entzündungen nicht hellhörig
wurden.
Die aktuelle Empörung über all diese Gewalttaten in etablierten wie
sozialen Medien ist richtig. Doch im Regelfall ebbt sie nach ein paar Tagen
oder Wochen wieder ab, ohne dass sich irgendetwas verbessert hat. Doch wenn
uns das Leben von Queers und Frauen etwas wert ist, dann dürfen wir den
Moment nicht an uns vorbeiziehen lassen – wir müssen ihn nutzen.
Wir müssen noch lauter schreien, damit die Regierung zum Handeln gezwungen
wird. Wir müssen mehr werden, die schreien, damit wir misogyne Strukturen
aufbrechen. Allein werden Feminist_innen das nicht schaffen. Jetzt sind vor
allem die gefragt, die bislang geschwiegen haben – und das sind vor allem
Männer.
20 Sep 2024
## LINKS
[1] /Gewalt-gegen-Frauen/!6032478
[2] https://edition.cnn.com/2024/05/17/entertainment/sean-combs-cassie-ventura/…
[3] /Ugandische-Athletin-ermordet/!6034954
[4] /Vergewaltigungsprozess-in-Frankreich/!6032713
## AUTOREN
Carolina Schwarz
## TAGS
Misogynie
Gewalt gegen Frauen
Männergewalt
Sexualisierte Gewalt
Feminismus
GNS
Schwerpunkt #metoo
Jay Z
Sexualisierte Gewalt
Beyoncé
deutsche Literatur
Harvey Weinstein
Feminismus
Wohnungsmarkt
Schwerpunkt Femizide
## ARTIKEL ZUM THEMA
Juryauswahl im P. Diddy Prozess: Sean Combs vor Gericht „ein wenig nervös“
Dem Rapper wird vorgeworfen, Menschen zum Sex gezwungen, erpresst, bedroht
und misshandelt zu haben. Der Prozess beginnt mit der Geschworenenauswahl.
Vergewaltigungsvorwurf gegen Jay-Z: It’s a hard-knock life – for us!
In der Klage gegen P. Diddy wurde ein bisher geschwärzter Name enthüllt:
Jay-Z. Er soll mit P. Diddy eine 13-Jährige vergewaltigt haben. Überraschen
solche Nachrichten noch?
Unterstützerin von Gisèle Pelicot: „Für mich sind diese Männer keine Mens…
Bei ihrem Vergewaltigungsprozess erhält Gisèle Pelicot Unterstützung von
den feministischen „Amazones d’Avignon“. Die Gründerin spricht über den
Fall.
Neues Meme zu Popstar: Thank you, Beyoncé
Auf Social Media danken Menschen gerade massenhaft ironisch Beyoncé. Darin
steckt auch eine ernste Kritik an Macht und Einfluss in der Musikbranche.
Autorin über Debütroman: „Liebe und Schmerz nicht verbinden“
Gewaltvolle Liebesverhältnisse und die Grenzen der Leidenschaft: Ruth-Maria
Thomas' Roman „Die schönste Version“.
#MeToo in Großbritannien: Harrods düstere Schatten
Angestellte des Londoner Elitekaufhauses belasten den Ex-Besitzer Al-Fayed.
Er soll sie sexuell missbraucht oder vergewaltigt haben.
Vergewaltigungsprozess in Frankreich: Der Mut der Madame Pélicot
Gisèle Pélicot wurde vom Ehemann sediert, missbraucht und Männern über
Jahre zur Vergewaltigung ausgeliefert. Ihr Fall könnte nun etwas verändern.
Wohnungs- und Obdachlosigkeit: Jung, weiblich, gefährdet
Wohnungslosigkeit trifft auch junge Menschen, darunter viele Frauen. Sie
leben besonders gefährlich. Wohnungsmangel ist nur eine der Ursachen.
Gewalt gegen Frauen: Kein sicheres Leben
In den vergangenen Wochen jagte eine Nachricht über misogyne Gewalt die
nächste und zeigt: Das Leben von Frauen ist noch immer weniger wert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.