# taz.de -- Autorin über Debütroman: „Liebe und Schmerz nicht verbinden“ | |
> Gewaltvolle Liebesverhältnisse und die Grenzen der Leidenschaft: | |
> Ruth-Maria Thomas' Roman „Die schönste Version“. | |
Bild: So kann im schlimmsten Fall enden, was als gewaltvolle Beziehung begonnen… | |
taz: Frau Thomas, worum geht es in „Die schönste Version“? | |
Ruth-Maria Thomas: Es geht um Jella und Yannick. Eine vermeintlich große | |
Liebe, die alles richtig machen will, bis sie an ihre Grenzen gerät: Was | |
ist noch intensiv, was schon gefährlich? Und was tun, wenn Grenzen | |
überschritten werden? Es geht um häusliche Gewalt, um die Fallstricke | |
weiblicher Sozialisation und um das Aufwachsen als Mädchen in einer Zeit | |
vor MeToo, um die späten Nullerjahre und die Lausitz. | |
taz: Was hat Sie zu Ihrem Debütroman inspiriert? | |
Thomas: Die Geschichten aus den Nullerjahren vor MeToo erstrecken sich noch | |
bis ins Heute. Über vieles wurde damals nicht gesprochen. Ich wollte | |
versuchen, meinen Beitrag zu leisten, dass Leerstellen mit Geschichte und | |
Sprache gefüllt werden. Es ist kein Portrait der Millennials, aber eine | |
Geschichte aus dieser Zeit, die versucht, viel davon einzufangen. | |
taz: Warum greifen Sie auch zur radikalen Darstellung sexualisierter | |
Gewalt? | |
Thomas: Es ist einfach radikal, was Jella passiert. Wenn es um häusliche | |
und sexualisierte Gewalt geht und um das Überleben, weiß ich gar nicht, wie | |
ein Buch aussehen würde, das nicht radikal ist. Ich finde es gefährlich, | |
wenn das ausgespart wird. Wenn wir über Konsens und Grenzen reden, finde | |
ich wichtig, das aufzuzeigen. Gerade wenn es um Sex geht, wird oft viel | |
ausgespart. Ich wollte meiner Protagonistin unbedingt zugestehen, dass sie | |
denken darf, was sie eben denkt in diesen Situationen, dass das ehrlich ist | |
und ich ihr da nichts verbiete. Für sie ist das wichtig, dass sie sich das | |
alles genau anguckt. | |
taz: Was haben Sie beim Schreiben über Ihre eigene Sozialisation gelernt? | |
Thomas: Einen Blick für die leisen Zwischentöne. Bei häuslicher Gewalt ist | |
es oft so, dass Täter und Opfer klar benannt werden. Für Jella ist das aber | |
nicht so klar. Sie fühlt sich auch als Täterin, weil sie im Buch die Erste | |
ist, die körperlich übergriffig wurde. Aber diese verbale und vor allem | |
patriarchale stille Gewalt, die hat ja schon viel früher angefangen. Diese | |
patriarchalen Ansprüche, das Mitdenken von ihrem Partner, diese Einengung | |
und die ständige Kontrolle. Das war schon gewaltvoll, wurde aber nicht als | |
Gewalt erkannt, weil es quasi normal war in so heterosexuellen | |
Beziehungskontexten. | |
taz: Wie können wir die Grenze zur Gewalt in Beziehungen besser erkennen? | |
Thomas: Es hilft, sich erst mal von toxischen Liebesbildern zu | |
verabschieden, von Sätzen wie: „Wahre Liebe muss wehtun.“ Wenn wir Liebe | |
und Schmerz und damit auch Gewalt zusammen denken, dann ist die Gefahr | |
groß, dass man die Gewalt nicht realisiert. Liebe und Schmerz und Leid, das | |
gehört nicht zusammen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. | |
taz: Hat sich die Wahrnehmung von sexualisierter Gewalt nicht verändert? | |
Thomas: Es gibt heute ein anderes gesellschaftliches Bewusstsein für | |
sexuelle Gewalt. Es gibt auch eine differenziertere Sprache und das schafft | |
auch eine differenziertere Welt. Begriffe wie „red flag“ oder | |
„struktureller Sexismus“, die hatte Jella in ihrem Kosmos nicht. Sie | |
helfen, Gefühle zu beschreiben und für sich selbst zu bewerten. Darüber zu | |
sprechen ist mehr im gesellschaftlichen Mainstream angekommen. Dennoch gibt | |
es mehr Femizide und mehr Fälle häuslicher Gewalt: Im vergangenen Jahr ist | |
jeden zweiten Tag eine Frau von ihrem Ehe-, Ex- oder Lebenspartner | |
umgebracht worden. | |
taz: Was möchten Sie den Leser*innen mitgeben? | |
Thomas: Was ich mir wünschen würde, wäre, dass das Buch dazu beiträgt, | |
nicht mehr automatisch zu fragen: Warum hat die Protagonistin das mit sich | |
machen lassen? Warum ist sie denn nicht gegangen? Und dass es zum | |
Reflektieren über sich selbst anregt. Dass man sich traut, hinzuschauen und | |
darüber zu sprechen. Dass wir dagegenhalten, wenn wir das bei anderen | |
sehen. Ich würde mir auch sehr wünschen, dass Männer dieses Buch lesen und | |
mit ihren Kumpels darüber sprechen, Verantwortung übernehmen und sich | |
anschauen. Was kann es mit Frauen machen, in diesen Strukturen groß zu | |
werden und zu leben. | |
13 Oct 2024 | |
## AUTOREN | |
Franka Ferlemann | |
## TAGS | |
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