| # taz.de -- Digitale Patientenakte: Schweigen oder widersprechen? | |
| > Die Krankenkassen werben für die elektronische Patientenakte und weisen | |
| > auf die Widerspruchsmöglichkeit hin. Was Versicherte nun wissen sollten. | |
| Bild: Bald einfach von Rechner zu Rechner: Die ePA soll den Datenaustausch erle… | |
| 1. Was ist die elektronische Patientenakte? | |
| Momentan gilt für die meisten gesetzlich Versicherten: Gehen sie zur | |
| Ärztin, werden die dabei dokumentierten Daten, etwa Notizen, Ergebnisse von | |
| Blutuntersuchungen oder Röntgenbilder, in der Praxis gespeichert. | |
| Weitergegeben werden sie nur in bestimmten Fällen – etwa wenn eine | |
| niedergelassene Chirurgin den im Krankenhaus eingegipsten Bruch | |
| weiterbehandeln soll. Die [1][elektronische Patientenakte] (ePA) soll | |
| das ändern: Statt lokal in den Praxen sollen die medizinischen Daten in | |
| einer jeweils patientenbezogenen digitalen Akte gesammelt werden. | |
| Standardmäßig haben alle behandelnden Institutionen darauf Zugriff. | |
| 2. Warum senden die Krankenkassen nun Briefe an die Versicherten? | |
| Bislang müssen Patient:innen, die so eine digitale Akte nutzen wollen, das | |
| bei ihrer Krankenkasse anmelden. [2][Doch ab Anfang kommenden Jahres gilt | |
| laut einem im Dezember verabschiedeten Gesetz das Gegenteil:] Wer nicht | |
| Nein sagt, bekommt die ePA automatisch. Die Briefe sollen nun dazu dienen, | |
| die gesetzlich Versicherten über das Widerspruchsrecht zu informieren – und | |
| für die Nutzung zu werben. Das kritisiert Thomas Moormann, | |
| Gesundheitsexperte des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv): „Es muss | |
| neutral informiert werden, doch die uns vorliegenden Schreiben erwähnen | |
| zwar die Vorteile, aber keine Risiken.“ Er fordert außerdem umfassendere | |
| Informationen direkt in dem Schreiben – ein Link zu einer Internetseite | |
| reiche nicht aus, schließlich gebe es auch Versicherte, die diesen Weg | |
| nicht gehen wollen oder können. | |
| 3. Was können die Versicherten jetzt entscheiden? | |
| Zunächst gilt die Grundsatzfrage: Elektronische Patientenakte – ja oder | |
| nein? Wer sie nicht möchte, muss widersprechen. Wer das vergisst oder erst | |
| später beschließt, doch keine zu wollen, kann auch im Nachhinein noch | |
| widersprechen. Eine einmal angelegte ePA muss dann gelöscht werden. Wer | |
| sich grundsätzlich für die digitale Akte entscheidet, hat weitere Optionen: | |
| So lässt sich per App einstellen, welche Dokumente für die Behandelnden | |
| sichtbar sind und welche verborgen. Auch der Zugriff für Forschungszwecke, | |
| standardmäßig erlaubt, lässt sich sperren. Die taz hat eine Reihe an | |
| Krankenkassen gefragt, welche Möglichkeiten zum Widerspruch sie ihren | |
| Versicherten bieten. Wer einen grundsätzlichen Widerspruch einlegen möchte, | |
| hat bei vielen Kassen – etwa der Techniker Krankenkasse, Barmer, AOK und | |
| hkk – die Möglichkeit, das neben digitalen Wegen auch per Brief oder | |
| telefonisch zu erledigen. | |
| 4. Was spricht für die ePA? | |
| Das Bundesgesundheitsministerium nennt folgende Argumente: | |
| Doppeluntersuchungen sollen vermieden werden, Ärzt:innen können sich | |
| schnell einen Überblick über die gesamte Krankengeschichte verschaffen, der | |
| Wechsel von einer Praxis zur anderen oder die Zusammenarbeit von mehreren | |
| behandelnden Stellen soll sich so verbessern. Der Medikationsplan soll | |
| verhindern, dass unterschiedliche Ärzt:innen Medikamente verordnen, die | |
| zu Wechselwirkungen führen können. Zudem soll die ePA perspektivisch als | |
| automatisches Back-up von wichtigen Dokumenten dienen. | |
| 5. Was spricht gegen die ePA? | |
| Die Deutsche Aidshilfe warnt in einer [3][Handreichung] vor Stigmatisierung | |
| und Benachteiligung von HIV-positiven Menschen – und auch von anderen | |
| Patient:innengruppen. Etwa Menschen mit psychischen Erkrankungen, Menschen | |
| mit Suchtvergangenheit oder queeren Menschen. „Es ist schwer zu | |
| durchschauen, welche Informationen in der Akte von wem einsehbar sind“, | |
| sagt Holger Wicht, Sprecher der Deutschen Aidshilfe. Wer die Vorteile | |
| nutzen und Nachteile vermeiden wolle, müsse viel technisches Wissen | |
| mitbringen und sich ausgiebig damit beschäftigen. „Das ist keine gute | |
| Voraussetzung für den selbstbestimmten Umgang mit Daten.“ | |
| Teile der Krankengeschichte komplett zu verbergen ist mindestens aufwendig, | |
| teils auch gar nicht möglich. So lassen sich etwa Informationen über | |
| psychische Erkrankungen, Schwangerschaftsabbrüche, sexuell übertragbare | |
| Krankheiten oder eine Substitutionsbehandlung nicht nur aus einschlägigen | |
| Dokumenten, sondern zum Beispiel auch aus dem Medikationsplan erkennen. Die | |
| Einsicht hier partiell zu erlauben geht nicht. Auch dass persönliche | |
| Gesundheitsdaten an Dritte gelangen, ist nicht ausgeschlossen. Dazu muss es | |
| nicht einmal einen Angriff auf die IT-Infrastruktur geben. Eine Lücke ist | |
| die Weitergabe der Daten für Forschungszwecke: Diese werden nicht | |
| anonymisiert, sondern nur pseudonymisiert weitergegeben. Der Name wird also | |
| entfernt, weitere persönliche Informationen, die eine Identifizierung | |
| erlauben können, bleiben. | |
| 6. Kann die ePA Leben retten? | |
| Das Bundesgesundheitsministerium verweist hier auf Anfrage auf den | |
| [4][Arzneimittelreport der Barmer von 2022]. Die Versicherung wertet darin | |
| unter anderem ein Pilotprojekt aus, in dem Hausärzt:innen Menschen | |
| betreut haben, die mindestens fünf unterschiedliche Medikamente dauerhaft | |
| einnehmen. Im Rahmen des Projekts haben die Praxen digital die | |
| vollständigen medizinischen Vorgeschichten der Betroffenen bekommen. | |
| Zusätzlich haben die teilnehmenden Praxen Hinweise auf vermeidbare Risiken, | |
| etwa gefährliche Wechselwirkungen, erhalten. Die Sterblichkeit der | |
| untersuchten Gruppe sei im Vergleich zur Routineversorgung um 10 bis 20 | |
| Prozent gesunken, so die Barmer. Bundesweit hochgerechnet bedeute das ein | |
| Potenzial von 65.000 bis 70.000 vermeidbaren Todesfällen jährlich. | |
| Allerdings: Ärzt:innen sind nicht verpflichtet, die ePA nach | |
| möglicherweise relevanten Inhalten zu durchsuchen. Wer sich also durch die | |
| digitale Akte eine gezieltere Behandlung erhofft, sollte selbsttätig auf | |
| eventuell wichtige Inhalte hinweisen. | |
| 7. Welche Verantwortung haben Versicherte, die sich für eine ePA | |
| entscheiden? | |
| Die Gematik – das ist die Gesellschaft, die hinter der Digitalisierung des | |
| Gesundheitssystems steht – betont: „Bei der ePA handelt es sich um eine | |
| patientengeführte Akte.“ Das bringt neben den Vorteilen wie der Möglichkeit | |
| einzusehen, wer auf die digitale Akte zugegriffen hat, auch Verantwortung | |
| mit sich. So werden in den Arztpraxen gespeicherte Gesundheitsdaten nach | |
| festen Zeiträumen gelöscht. Die ePA ist aber als dauerhafter Speicherort | |
| angelegt. Sollen Vorerkrankungen etwa aus dem Kindes- oder Jugendalter | |
| nicht für die späteren Behandelnden sichtbar sein, muss man sich selbst um | |
| die Ausblendung kümmern. Die medizinischen Institutionen sind außerdem | |
| nicht dazu verpflichtet, alte Dokumente, also solche, die vor der | |
| Erstellung der ePA entstanden sind, in die Akte einzupflegen. Wer etwa | |
| einen älteren Laborbefund darin haben will, muss das Dokument selbst | |
| einstellen. | |
| 8. Was machen Menschen ohne Smartphone? | |
| Das Konzept ePA ist auf die Nutzung per App ausgelegt. Die meisten | |
| Krankenkassen bieten zusätzlich Programme für den Computer, allerdings in | |
| der Regel mit eingeschränktem Funktionsumfang. Für alle, die auch diese | |
| Möglichkeit nicht haben, ist ein Zugriff über eine Vertrauensperson | |
| vorgesehen – zum Beispiel ein Familienmitglied, das die Verwaltung der ePA | |
| übernimmt. Fällt auch diese Option weg, sollen Versicherte gewünschte | |
| Widersprüche gegen den Zugriff über die Ombudsstellen der Krankenkassen | |
| geltend machen können. | |
| 8 Sep 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/elektronische-patientenakte.html | |
| [2] /Gesetz-zu-Gesundheitsdaten-verabschiedet/!5980352 | |
| [3] https://www.aidshilfe.de/meldung/elektronische-patientenakte-deutsche-aidsh… | |
| [4] https://www.barmer.de/presse/barmer-arzneimittelreport-2022-gefahren-der-po… | |
| ## AUTOREN | |
| Svenja Bergt | |
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