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# taz.de -- Big Brother Award für die Bahn: Nackt im Zug
> Datenschützer:innen werfen der Deutschen Bahn Digitalzwang vor.
> Dafür erhält sie den Big Brother Award. Prämiert wird auch ein
> Bundesminister.
Bild: „Kann ich ein Ticket kaufen?“ – „E-Mail-Adresse bitte?“
Berlin taz | Mal eben schnell ein Bahnticket am Schalter kaufen, bar zahlen
und abfahren. Das wird immer schwieriger. Die Deutsche Bahn setze alles
daran, „unüberwachtes Bahnfahren unmöglich zu machen“, so der [1][Verein
Digitalcourage]. Am Freitag verlieh der Verein deshalb der Bahn den
Negativpreis für Überwachung, den Big Brother Award. Der Verein vergibt die
Auszeichnung jährlich an Unternehmen und Institutionen, die besonders
negativ in Sachen Überwachung und Umgang mit persönlichen Daten auffallen.
„Die Deutsche Bahn erhebt Daten in einer Vielzahl, mit einem regelrechten
Digitalzwang dahinter“, kritisiert der Künstler und Datenschutzexperte
Padeluun von Digitalcourage. Das Unternehmen wisse in der Regel, wer wann
von welchem Startort zu welchem Ziel reise. Aufgrund der beim Ticketkauf
anzugebenden Daten sei eine anonyme Fahrt nur noch schwer realisierbar.
Eine individuelle Nachverfolgbarkeit sei gegebenenfalls bis hin zum
Sitzplatz möglich. Dass auch Strafverfolgungsbehörden Zugriff auf solche
Daten hätten, sei besonders problematisch angesichts des Szenarios, eines
Tages nicht demokratische Kräfte in politischer Verantwortung zu wissen.
Die Datensammlung ist der eine Teil, Digitalzwang der andere. Grundsätzlich
ist [2][Digitalzwang] ein zunehmendes gesellschaftliches Phänomen – nicht
nur bei der Bahn. So setzen etwa Arztpraxen immer stärker auf eine
Terminvereinbarung per Onlineplattform, Banken machen die analoge
Kontoverwaltung unattraktiver und teurer, und teilweise braucht man sogar
für den Eintritt ins Schwimmbad ein digitales Ticket.
## E-Mail-Adresse ist verpflichtend
Die Bahn steht jedoch besonders im Fokus, weil ein Digitalzwang hier das
Grundbedürfnis nach Mobilität einschränken kann. So gibt es etwa die
[3][Bahncard nicht mehr als Karte], das macht Kauf und Mitnahme für
Menschen ohne Smartphone deutlich aufwendiger. Sparpreistickets lassen sich
zwar via Website buchen, doch braucht es hier verpflichtend die Angabe
einer E-Mail-Adresse. Selbst beim Kauf von Sparpreistickets am Schalter
verlangt die Bahn mittlerweile eine E-Mail-Adresse.
Eine Bahn-Sprecherin sagte gegenüber der taz, die E-Mail-Adresse beim Kauf
eines Sparpreistickets am Schalter sei nötig, um zum Beispiel über
Verspätungen oder Gleiswechsel zu informieren. Die Bahncard akzeptiere man
auch als PDF-Ausdruck – den man sich gegebenenfalls im Reisezentrum
erstellen lassen könne. Daher sei niemand zur Smartphonenutzung gezwungen.
Die Zahl der Menschen, die gar keinen Zugang zur digitalen Welt haben, sei
„sehr gering“, so die Sprecherin. Im Fernverkehr würden 90 Prozent aller
Tickets digital gekauft, im Nahverkehr seien es 78 Prozent. [4][In einer
Umfrage des Verbraucherzentrale Bundesverbands] von diesem Sommer gab
jedoch knapp die Hälfte der Befragten an, sich etwas oder stark
eingeschränkt zu fühlen, wenn ein Fahrkartenkauf nur noch digital möglich
wäre.
Auch der hessische Landesdatenschutzbeauftragte Alexander Roßnagel hatte
Anfang Oktober die Praxis der Bahn kritisiert. Die
Digitalisierungsstrategie sei „wenig rücksichtsvoll gegenüber Menschen, die
datenschutzbewusst oder wenig technikaffin sind“, sagte er der Deutschen
Presse-Agentur. Auf taz-Anfrage gab die Behörde an, dass ihr dazu
„zahlreiche Beschwerden“ vorliegen. Allerdings sei man noch in der Prüfung
der Datenerhebungspraxis der Bahn.
Weitere Preisträger des Big Brother Awards sind in diesem Jahr die beiden
Handelsplattformen [5][Temu] und [6][Shein], die sächsische Polizei sowie
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Er erhält die
Negativauszeichnung für seinen Einsatz für das deutsche
[7][Gesundheitsdatennutzungsgesetz] und den europäischen
Gesundheitsdatenraum. In dessen Rahmen sollen die Daten von europäischen
Patient:innen europaweit ausgetauscht und genutzt werden können, was
unter anderem der wissenschaftlichen und industriellen Forschung
zugutekommen soll.
„Die Patientendaten sollen pseudonymisiert für Dritte zugänglich sein“,
sagte Thilo Weichert, Ex-Datenschutzbeauftragter Schleswig-Holsteins und
Laudator Karl Lauterbachs im Vorfeld der Verleihung. „Das wäre kein
Problem, wenn damit die Anonymität der Patienten gesichert wäre.“
Doch das sei nicht der Fall, kritisierte Weichert. Im Gegenteil, zahlreiche
sensible persönliche Informationen blieben in den Datensätzen und
ermöglichten eine Identifizierung. Besonders leicht sei das etwa bei selten
auftretenden Erkrankungen oder dann, wenn sich Gendaten, die immer öfter
Teil einer Diagnose seien, in den Datensätzen befänden.
Weichert kritisierte auch, dass eine Identifizierung nicht einmal verboten
sei. Und im Gegensatz zu den bei den Ärzt:innen befindlichen Daten
könnten hier auch Strafverfolgungsbehörden im Rahmen einer Beschlagnahmung
darauf zugreifen.
„Es soll einen Paradigmenwechsel beim Patientengeheimnis geben“,
beanstandet Weichert. Mit der Weitergabe von Daten an Dritte werde die
ärztliche Schweigepflicht über Bord geworfen und das Vertrauensverhältnis
zwischen Ärztin und Patient leide.
Das Verfahren, das Unternehmen oder Institutionen Zugriff auf diese
Patientendaten gibt, sei zudem nicht transparent, und wirksame Strafen für
einen Missbrauch seien nicht vorgesehen. Unterm Strich sei das Gesetz daher
verfassungswidrig. Das Bundesgesundheitsministerium ließ eine Anfrage der
taz zu diesen Fragen unbeantwortet.
11 Oct 2024
## LINKS
[1] https://digitalcourage.de/
[2] /Zwang-zum-Digitalen/!6009157
[3] /Aenderungen-bei-der-Deutschen-Bahn/!5975891
[4] https://www.vzbv.de/pressemitteilungen/ticket-nur-gegen-mailadresse-digital…
[5] /Vorwuerfe-gegen-Temu/!6006316
[6] /Oekotest-warnt-vor-Kleidung-von-Shein/!6026134
[7] /Gesetz-zu-Gesundheitsdaten-verabschiedet/!5980352
## AUTOREN
Svenja Bergt
## TAGS
Datenschutz
Deutsche Bahn
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Verbraucherschutz
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Digitale Patientenakte
Verkehrspolitik
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