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# taz.de -- Physiker über Energiewende: „Mit Klimawandel keinen überzeugt“
> Der Physiker Ramón Méndez hat Uruguay unabhängig von Öl und Gas gemacht.
> Gewirkt hätten vor allem wirtschaftliche Argumente.
Bild: Klimafreundlicher Strom für Uruguay: Windkraftanlagen 170 Kilometer öst…
taz: Herr Méndez, [1][Uruguay] ist ein Vorbild bei der Nutzung erneuerbarer
Energien. Wie ist es dazu gekommen?
Ramón Méndez: Bis 2006 bestand die Elektrizitätsmatrix Uruguays zu 56
Prozent aus Erdöl, das zudem 38 Prozent der gesamten Importe des Landes
ausmachte. Wir waren in hohem Maße von den weltweiten Schwankungen bei den
Ölpreisen und den Unwägbarkeiten der Nachbarländer abhängig, die oft selbst
keinen Strom, kein Gas oder Öl für den Export hatten. Wir fragten uns also,
wie unsere Elektrizitätsmatrix in 30 Jahren aussehen sollte, und überlegten
zurückgehend, was wir in 20 und dann in 10 Jahren getan haben müssten, um
dieses Ziel zu erreichen. Seit 2019 besteht die Elektrizitätsmatrix zu 50
Prozent aus Wasserkraft, zu 30 Prozent aus Windenergie, zu 15 Prozent aus
Biomasse, zu 3 Prozent aus Solarenergie und nur zu 2 Prozent aus Öl.
taz: Das klingt einfach und plausibel.
Méndez: Zuallererst bedurfte es einer parteiübergreifenden politischen
Vereinbarung zur Umsetzung eines noch zu definierenden Szenarios. Die
Formel für die Elektrizitätsmatrix war nicht leicht zu finden. Dann galt
es, einen Markt mit entsprechenden Regulierungen zu schaffen. Statt Öl und
Gas mussten jetzt Windräder und Solarpaneele importiert werden. In den vier
Jahren der Umstellung wurden 6 Milliarden Dollar investiert, was 12 Prozent
des uruguayischen Bruttoinlandsprodukts entspricht.
taz: Sie sagen, dass für die Energiewende ein Paradigmenwechsel
erforderlich ist. Wie müssen wir uns diesen vorstellen?
Méndez: Erneuerbare Energien sind die kostengünstigsten Energiequellen, das
muss nicht mehr diskutiert werden. Doch trotz ihrer Kostenvorteile setzen
sie sich auf den Energiemärkten nicht durch, weil deren Regulierungen auf
der Grundlage der fossilen Brennstoffe geschaffen wurden. Dabei handelt es
sich um kurzfristige Märkte, auf denen der Spot-Handel mit Treibstoffen die
Preise täglich neu bestimmt. Bei den erneuerbaren Energien gibt es jedoch
keine Treibstoffe. Daher sind neue Regelungen für einen langfristigen Markt
erforderlich.
taz: Was bedeutet das?
Méndez: In Uruguay ist die gesamte Nachfrage auf 20 Jahre hinaus
vertraglich geregelt. Energie ist damit ein stabiler Kostenfaktor,
unabhängig von den schwankenden Preisen auf dem Spotmarkt für Treibstoffe
oder unvorhergesehenen Ereignissen wie etwa dem Krieg gegen die Ukraine,
denn wir sind nur noch zu zwei Prozent von fossilen Brennstoffen abhängig.
taz: Wie kann eine langfristige Marktregulierung in neoliberalen Zeiten
geschaffen werden?
Méndez: Die Energiewende wird mit der alten Denkweise nicht gelingen. Die
Entscheidung des EU-Parlaments vom Juli 2022, Erdgas als grüne Energie zu
klassifizieren, ist ein historischer Fehler. Wenn Europa an seinen
kurzfristigen Marktmechanismen festhält, wird es zu einer Bremse für
erneuerbare Energien. Wenn wir nicht in die Höhlen zurückkehren wollen,
müssen wir alle Kompromisse eingehen. Die Notwendigkeit, den Markt neu zu
strukturieren, sprich einen völlig anderen Markt zu schaffen, muss auch in
den europäischen Ländern eingesehen werden.
taz: Durch den Krieg in der Ukraine ist sich Deutschland seiner
Gasabhängigkeit von Russland voll bewusst geworden. Anstatt diese
Abhängigkeit zu verringern, ist der grüne Wirtschaftsminister nach Katar
geflogen, um Gas zu kaufen. Hat Deutschland hier eine Chance verpasst?
Méndez: In einer Entfernung von 10.000 Kilometern und ohne die Drohung
eines bevorstehenden kalten Winters ist dies leicht zu kritisieren. Dennoch
müssen die Lehren daraus gezogen werden. Auch zukünftig wird es
unvorhergesehene Ereignisse geben. Uruguay verfügt wie Deutschland über
keine eigenen fossilen Brennstoffe und dennoch haben wir die Auswirkungen
des Krieges in der Ukraine nicht zu spüren bekommen. Wer weiterhin von
Rohstoffen abhängig ist, deren Preise er nicht kontrollieren kann, wird
sich in einer solchen Situation wiederfinden. Erneuerbare Energien sind der
Weg, um davon unabhängig zu werden.
taz: Deutschland ist ein kleiner Flächenstaat mit einer hohen
Bevölkerungsdichte, hat kaum Rohstoffe, aber eine große Wirtschaft mit
hohem Energieverbrauch. Wie kann dieser Weg aussehen?
Méndez: Für Deutschland wird es schwieriger sein, einen Anteil von 98
Prozent an erneuerbaren Energien zu erreichen, als für Uruguay. Zumal die
Sonne weniger scheint und der Wind nicht überall so stark weht. Allerdings
gibt es inzwischen Technologien, die viel stärker genutzt werden könnten,
wie zum Beispiel Offshore-Windräder. Wir müssen heute auch global denken.
Ein Beispiel ist die grüne Molekularwirtschaft, zu der auch grüner
Wasserstoff gehört.
taz: In Deutschland wehren sich viele Menschen etwa gegen Windräder.
Méndez: Wer heute kein Windrad hinter seinem Haus möchte, muss morgen mit
mehr Hitze, Stürmen und Überflutungen leben. Die Alternative ist, mit der
Verschmutzung durch Gas, Öl und Kohle fortzufahren und uns selbst eine
Falle zu stellen. Wenn alle mit Elektroautos fahren, der Strom dafür aber
nicht aus erneuerbaren Energien stammt, macht das keinen Sinn. Die
Umstellung wird kommen, aber je später damit angefangen wird, desto höher
werden die Kosten sein. Wenn man also fragt, was das geringere Übel ist,
lautet die Antwort: erneuerbare Energien.
taz: Was würden Sie den Grünen empfehlen?
Méndez: Das Narrativ muss geändert werden. In Uruguay haben wir niemanden
mit dem Klimawandel überzeugt, das war ein zweitrangiges Argument. Wir
haben die Leute überzeugt, weil es die beste Lösung für sie und die
Wirtschaft war. Als Grüner in Deutschland würde ich sagen, dass die
erneuerbaren Energien in erster Linie die beste Lösung für Deutschlands
Wirtschaft und seine Menschen und nicht für den Klimawandel sind. Sie
machen unabhängig von Importen fossiler Brennstoffe, sie sind billiger und
verhindern extreme Preisschwankungen.
30 Sep 2024
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## AUTOREN
Jürgen Vogt
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