# taz.de -- Stichwahl ums Präsidentenamt: Uruguay rückt wieder nach links | |
> Der gemäßigt-linke Yamandú Orsi wird neuer Präsident des | |
> lateinamerikanischen Landes. Durchregieren kann er nicht, ihm fehlt die | |
> Mehrheit im Parlament. | |
Bild: Hat gut lachen: Uruguays Wahlgewinner Yamandu Orsi am Wahlabend (rechts) | |
Buenos Aires taz | Yamandú Orsi wird der neue Präsident Uruguays. Mit 49,8 | |
Prozent der Stimmen gewann der Kandidat der gemäßigt-linken Frente Amplio | |
die [1][Stichwahl am Sonntag] überraschend deutlich. Der Kandidat der | |
konservativ-liberalen Regierungsallianz, Álvaro Delgado, erhielt nur 45,9 | |
Prozent der Stimmen. 4,3 Prozent der Wahlberechtigten gaben leere oder | |
ungültige Stimmzettel ab. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp 90 Prozent, im | |
Land herrscht Wahlpflicht. | |
Damit kehrt die Linke nach fünf Jahren an die Macht zurück. Bereits von | |
2005 bis 2020 hatte das „Breite Bündnis“ aus Kommunistinnen, gemäßigten | |
Sozialdemokratinnen und Sozialliberalen drei aufeinanderfolgende Amtszeiten | |
lang das Präsidentenamt inne. Vor fünf Jahren verlor sie die Stichwahl nur | |
knapp gegen den [2][amtierenden Präsidenten Luis Lacalle Pou]. Der | |
konservativ-liberale Präsident gratulierte als einer der ersten seinem | |
gewählten Nachfolger zum Sieg. | |
Orsis Triumph stand bereits eine Stunde nach Schließung der Wahllokale | |
fest. In Montevideo feierte seine Anhängerschaft schon am frühen Abend auf | |
den Straßen der Hauptstadt: Jubelnde Menschen mit Parteifahnen und hupende | |
Autokorsos prägten das Bild. Tausende zogen freudestrahlend und glücklich | |
zur großen Bühne an der Rambla, der breiten Uferstraße am Rande der | |
Altstadt. | |
Ohrenbetäubender Jubel brandete auf, als der 57-Jährige auf die Bühne trat. | |
Er werde der Präsident der sozialen Integration sein, der niemanden | |
zurücklässt, versprach er seiner Anhängerschaft. Und: „Ich werde der | |
Präsident sein, der zum nationalen Dialog aufruft“, ist seine Botschaft an | |
die unterlegene Regierungsallianz. | |
Niedergeschlagenheit und Enttäuschung herrschte hingegen bei der | |
Anhängerschaft von Álvaro Delgado. Der gratulierte Orsi zwar zum Sieg, | |
beschwor aber zugleich den Zusammenhalt der Allianz bei seinem Auftritt. | |
„In Uruguay beginnt eine neue Zeit, in der niemand die Mehrheit hat“, sagt | |
der 55-Jährige und meint damit die Pattsituation im zukünftigen Kongress. | |
Orsi habe jetzt die Verantwortung, um nationale Übereinkünfte zu erzielen, | |
sagte der Unterlegene. | |
## Sozialliberaler Kurs, wenig linke Umverteilung | |
Auch wenn die letzten Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen vorausgesagt hatten, | |
hatte sich in den letzten Tagen ein leichter Trend in Richtung Machtwechsel | |
angedeutet. Das Ergebnis der Kongresswahl im Oktober hatte die | |
Konservativen unter Druck gesetzt. In beiden Kammern büßte die | |
Regierungsallianz ihre Mehrheit ein. Bei einem Sieg wäre Delgado ein | |
Präsident ohne parlamentarischen Rückhalt gewesen – eine [3][in Uruguays | |
Demokratie] noch nie dagewesene Situation. Delgado hatte bis zum Schluss | |
versucht, die Furcht vor einer so unsicheren Situation einzudämmen: „Ich | |
möchte als Präsident alles geben, um nationale Vereinbarungen zu | |
erreichen.“ | |
Allerdings kann sich Yamandú Orsi nicht auf eine solide Mehrheit im | |
Kongress stützen. Die Frente Amplio hat zwar mit 16 der 30 Sitze eine | |
Mehrheit im Senat. In der Abgeordnetenkammer verfügt sie aber nur über 48 | |
der 99 Sitze. Orsi wird für seine Vorhaben Mehrheiten aushandeln müssen, | |
wenn auch aus einer etwas besseren Position heraus. | |
Welchen [4][wirtschaftspolitischen Kurs] Yamandú Orsi verfolgen wird, | |
zeigte er im September, als er den Wirtschaftswissenschaftler Gabriel | |
Oddone als möglichen Wirtschaftsminister präsentierte. Der 61-Jährige gilt | |
als Sozialliberaler, der die Haushaltsdisziplin vor allem bei den | |
Staatsausgaben garantieren soll. Linke Umverteilungsszenarien sind mit ihm | |
nicht zu machen. | |
Orsi hatte Oddone benannt, um die Finanzmärkte zu beruhigen, nachdem der | |
stabile uruguayische Peso gegenüber dem Dollar plötzlich absackte. Ein | |
weiterer Verfall der Landeswährung wäre Wasser auf die Wahlkampfmühle der | |
Regierungsallianz gewesen. | |
## Uruguay hat eine relativ große Mittelschicht | |
Im regionalen Vergleich erscheint das kleine Land zwischen Brasilien und | |
Argentinien mit seinen rund 3,4 Millionen Einwohner*innen dennoch wie | |
eine soziale Oase. „Uruguay zeichnet sich in Lateinamerika durch ein | |
geringes Maß an Ungleichheit und Armut aus“, erklärt die Weltbank. Relativ | |
gesehen sei die Mittelschicht die größte in Amerika und der Karibik und | |
mache über 60 Prozent der Bevölkerung aus. | |
Zwar wächst die Wirtschaft nach Angaben der Weltbank im laufenden Jahr um | |
3,2 Prozent, aber ein Drittel der 1,5 Millionen Erwerbstätigen muss mit dem | |
Mindestlohn auskommen, von denen wiederum die meisten junge Menschen sind. | |
Das zeigt sich auch in der Kinderarmut, die Lacalle Pou seinem Nachfolger | |
hinterlässt. | |
## Rechtsextreme büßten deutlich Stimmen ein | |
Wie lange die bisher regierende Allianz aus den fünf Parteien von | |
rechtsaußen bis liberal zusammenhält, ist offen. So ist der rechtsextreme | |
Cabildo Abierto des Ex-Generals Guido Manini Ríos von den 2019 errungenen | |
11,5 Prozent der Stimmen im Wahlgang im Oktober auf 2,6 Prozent | |
geschrumpft. | |
Mit seinem überraschenden 16 Prozent der Stimmen [5][beim ersten Wahlgang | |
Ende Oktober] ist der 40-jährige Andrés Ojeda von der rechtsliberalen | |
Partido Colorado der eigentliche Aufsteiger rechts von der Mitte. Andrés | |
Ojeda wird die kommenden fünf Jahre nutzen, um sich für die nächste | |
Präsidentschaftswahl in aussichtsreiche Stellung zu bringen. | |
Gemäß der Verfassung muss der mit hohen Sympathiewerten aus dem Amt | |
scheidende Präsident Lacalle Pou mindestens einmal aussetzen. Für die | |
aussichtsreichsten Kandidaten aus dem rechten Lager beginnt damit bereits | |
mit der Amtseinführung von Yamandú Orsi am 1. März kommenden Jahres der | |
Wahlkampf. | |
Die Analyse der Wählerwanderung wird zeigen, ob Uruguays zukünftiger | |
Präsident Yamandú Orsi die entscheidenden Stimmen aus den ländlichen | |
Regionen erhielt. Den Vorwurf, die Frente Amplio sei zu einem Bündnis | |
geworden, das nur die Interessen der städtischen Bevölkerung vertritt, | |
konnte Orsi nicht nur mit seiner Vergangenheit als junger Countrysänger mit | |
Gitarre und begeisterter Folkloretänzer abwehren. „Yamandú Orsi versteht, | |
dass Uruguay nicht nur die Hauptstadt ist“, sagte sein politischer Mentor | |
José Mujica. | |
25 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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