# taz.de -- Ärger mit dem Sozialticket: Armutsnachweise, bitte! | |
> Eine App sollte das Fahren mit Sozialticket erleichtern. Doch nun | |
> scheitert sie am Datenschutz. Eine Lösung ist nicht in Sicht. | |
Bild: Die Alternative zur App ist die Rückkehr zum alten Berlin Pass | |
Berlin taz | Fast ein Jahr lang schon macht es Ärger – und eine [1][Lösung | |
für das Sozialticket ist weiter nicht in Sicht]. Einig ist man sich in der | |
Koalition offenbar nur darüber, dass es mit der geplanten App nichts wird. | |
Sie sollte es den Beziehern von Sozialleistungen einfach machen, mit dem | |
vergünstigten 9-Euro-Monatsticket zu fahren. „Aber das ist | |
datenschutzrechtlich unmöglich, sagen Bundes- und | |
Landesdatenschutzbeauftragte unisono“, erklärt der SPD-Sozialpolitiker Lars | |
Düsterhöft. | |
Die aktuelle Übergangslösung könnte dauerhaft bleiben: Sozialticket-Nutzer | |
müssen bei BVG-Kontrollen zusätzlich einen Leistungsbescheid ihrer Behörde | |
vorzeigen. Die einzige Alternative wäre die Rückkehr zum alten Berlin Pass. | |
Das will aber laut Düsterhöft der Koalitionspartner CDU nicht. In gewisser | |
Hinsicht sei dies auch verständlich: „Schon so ist das Ziel, dass jeder | |
binnen 14 Tagen einen Termin beim Bürgeramt bekommt, nicht einzuhalten.“ | |
Die Diskussion im Senat sei noch nicht abgeschlossen, so ein Sprecher der | |
Sozialverwaltung zur taz. Die App ist vermutlich datenschutzrechtlich nicht | |
umsetzbar und [2][der Berlin Pass noch nicht vollständig ausgeschlossen,] | |
da auch andere Ämter für die Ausstellung in Betracht kämen. | |
Der Berlin Pass wurde Anfang 2023 eingestellt, um die Bürgerämter zu | |
entlasten und die Verwaltung zu digitalisieren. Stattdessen sollten | |
Sozialleistungsempfänger automatisch einen Berechtigungsnachweis | |
erhalten, um eine VBB Kundenkarte S zu beantragen. Das Sozialticket ist nur | |
mit dieser Karte gültig, um Betrug vorzubeugen. | |
## Die App ist vermutlich datenschutzrechtlich nicht umsetzbar | |
Viele Ämter kamen allerdings mit dem Verschicken dieses | |
Berechtigungsnachweises nicht hinterher, Betroffene warteten teils Monate | |
darauf. Andere scheiterten an der zunächst nur digital möglichen | |
Beantragung der Kundenkarte S bei der BVG. So kam es, dass viele Menschen | |
notgedrungen schwarzfuhren. | |
Das wurde auch nicht besser, als im Oktober 2023 die bis heute geltende | |
Übergangslösung eingeführt wurde, wonach ein Nachweis, dass man Leistungen | |
von einer Sozialbehörde erhält, ausreicht. Insgesamt bekamen bis Jahresende | |
[3][mindestens 10.000 Menschen bei Kontrollen ein „erhöhtes | |
Beförderungsentgelt“ (EBE)] von 60 Euro aufgebrummt. | |
Ende Februar dieses Jahres einigten sich dann BVG und Senat auf die App, | |
die bis Jahresende entwickelt werden sollte. Auch für Menschen, die nicht | |
digital unterwegs sind, werde man eine Lösung finden, verkündeten BVG-Chef | |
Henrik Falk und Sozialstaatssekretär Aziz Bozkurt (SPD) im Sozialausschuss. | |
Das alles ist nun obsolet. | |
## 4.890 Strafen im Zusammenhang mit dem Sozialticket dieses Jahr | |
Wie sich zeigt, hat es wohl auch keine richtige Lösung für die vielen | |
Menschen gegeben, die unverschuldet EBEs kassiert haben. Im Winter hatten | |
Politiker und Initiativen gefordert, dass den Betroffenen die 60 Euro | |
rückwirkend erlassen werden. Nun erfuhr die taz von der im Schillerkiez | |
angesiedelten „Bewegung 9 Euro Ticket“, dass eine Person zwei Rechtstitel | |
bekommen habe – sie hatte drei EBE bekommen, weil ihr der Nachweis zum | |
Sozialticket fehlte, diese dann aber nicht bezahlt. „Schlimmstenfalls droht | |
eine Ersatzfreiheitsstrafe“, so die Initiative. | |
Wie viele weitere Menschen das betrifft, ist unklar. Die BVG erklärte, vom | |
1. März bis zum 15. August dieses Jahres seien 4.890 erhöhte | |
Beförderungsentgelte im Zusammenhang mit einem Sozialticket ausgestellt | |
worden. [4][Die Sozialticket-Fälle würden kulant geprüft und, wo möglich, | |
entsprechend gehandelt.] | |
Aber was heißt das? Aus der Sozialverwaltung erfuhr die taz, man habe sich | |
seinerzeit mit der BVG geeinigt, dass Menschen, die nachweislich die 60 | |
Euro nicht zahlen könnten, nur eine „Verwaltungsgebühr“ von 7 Euro zahlen | |
müssten – aber dies sei nicht nach außen kommuniziert worden, damit nicht | |
„tausende ankommen“. Bei der BVG heißt es, bereits eingeleitete | |
EBE-Verfahren „pauschal und ungeprüft einzustellen“, sei tarifrechtlich | |
nicht möglich. | |
28 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Memarnia | |
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