# taz.de -- Ankerverbot in Berlin: Solidarität auf dem Wasser | |
> Seit drei Monaten gilt auf Berliner Gewässern ein Ankerverbot. Das | |
> rüttelt an der Vision vom freien Leben auf dem Wasser. Ein | |
> Hausboot-Besuch. | |
Bild: Der Klassenkampf um die Spree ist noch nicht entschieden | |
Berlin taz | Jan Ebel schaut aufs Wasser und sucht in der Ferne nach | |
bekannten Bootsgesichtern. Er kennt viele hier in der [1][Rummelsburger | |
Bucht], die wie er auf Booten leben. Nur wenige sind schon so lange auf dem | |
Wasser wie Ebel und seine Familie. Vor 13 Jahren hat der als Kindergärtner | |
arbeitende Erzieher seinen Lebensmittelpunkt auf den schwankenden | |
Untergrund verlegt. Neun davon lebt er nun schon ganzjährig auf seinem | |
Hausboot. | |
Doch es sind unruhige Zeiten angebrochen. Das seit Juni dieses Jahres | |
[2][geltende Ankerverbot] rüttelt heftig an der Vision vom Leben auf dem | |
Wasser. „Noch haben wir diesen Freiraum. Aber wir erleben gerade live, wie | |
dieser immer weiter eingeschränkt wird“, sagt Ebel. „Die Bedrohung, die mit | |
der Verordnung einhergeht, ist existenziell.“ | |
Sein Boot und Zuhause ankern etwa hundert Meter vom Ufer entfernt, mitten | |
auf dem Wasser in der Rummelsburger Bucht, die an die Bezirke | |
Friedrichshain-Kreuzberg und Lichtenberg grenzt. Unter der Woche paddeln | |
Ebel und sein Sohn jeden Morgen mit einem Boot zum Ufer, um dann mit dem | |
Lastenrad in die Kita zu fahren. | |
Da wird es mit der neuen Regelung schon kompliziert. Denn die | |
Bundesverordnung „zur vorübergehenden Abweichung von der | |
Binnenschifffahrtsstraßen-Ordnung“ verbietet das Stillliegen von Booten | |
außerhalb genehmigter Liegeplätze entlang der innerstädtischen Spree. Das | |
macht das unbemannte Ankern in der Bucht faktisch unmöglich. | |
## Boote schließen sich zu Ankerverbänden zusammen | |
Ankern ist damit nur noch in Nebengewässern möglich. [3][Die Verordnung] | |
sieht auch vor, dass immer eine Person an Bord sein muss, um in einer | |
Gefahrensituation handeln zu können. Personen, die ihren Lebensmittelpunkt | |
auf dem Wasser haben, bereitet das große Sorgen. Denn natürlich ist es auch | |
für Hausbootbesitzer*innen notwendig, gelegentlich ans Ufer zu | |
fahren, um Einkäufe zu tätigen, der Lohnarbeit nachzugehen, einen | |
Arzttermin wahrzunehmen oder Freund*innen zu treffen. Doch die neue | |
Verordnung verhindert genau das und bedroht damit die Existenz der | |
Wasserbewohner*innen. | |
Um dem entgegenzuwirken, haben sich viele der Boote zu sogenannten | |
Ankerverbänden zusammengeschlossen. Damit soll gewährleistet werden, dass | |
immer eine Person an Bord und ansprechbar ist. Auch Jan Ebel hat sich mit | |
anderen Hausbooten verbunden und kann somit das neue Gebot einigermaßen | |
einhalten. Bei allen negativen Folgen hat das Gesetz also auch einen | |
positiven Effekt: „Alle hier in der Bucht sind viel enger zusammengerückt, | |
um sich gegenseitig zu unterstützen.“ | |
Für alleinstehende Boote ohne Ankerverband bedeutet das Gesetz jedoch ein | |
Vollzeitjob. Für Ebel ist unverständlich, warum auf dem Hauptstrom der | |
Spree wegen erhöhten Verkehrsaufkommens ein komplettes Ankerverbot gilt, | |
obwohl auf beiden Uferseiten genug Raum zum Anlegen und Ankern wäre. Auch | |
an anderen Stellen in Berliner Gewässern sei ausreichend Platz vorhanden. | |
Er fragt sich, wer davon eigentlich profitiert. „Über die Personen und | |
Institutionen, die das Gesetz auf den Weg gebracht haben, lässt sich nur | |
mutmaßen“, sagt Ebel. | |
Die Lichtenberger CDU-Fraktion frohlockt auf ihrer Facebook-Seite, dass mit | |
der neuen Verordnung endlich ein Mittel gefunden worden sei, „um | |
verantwortungslose Stilllieger in den Griff zu bekommen und gleichzeitig | |
den geregelten Wassersport und Wassertourismus weiter zu ermöglichen“. | |
Stillliegende Boote, die zum Wohnen oder für Partys „zweckentfremdet“ | |
würden und damit bei Anwohner*innen durch Müll und Lärm für Unmut | |
sorgten, sind der CDU schon lange ein Dorn im Auge. Ebenso wie | |
unbeaufsichtigte Boote, die auf dem Wasser treiben und sinken. | |
## Schätzungsweise 80 Flussbewohner:innen in der Bucht | |
Wie viele Boote sich genau auf dem Wasser befinden, ist nicht bekannt. Laut | |
Schätzungen sind es in der Bucht aktuell rund 200, auf denen um die 80 | |
Personen temporär oder dauerhaft leben. Zuständig für die Wasserstraßen | |
Berlins ist das Bundesverkehrsministerium (BMDV). Auch hier wird die neue | |
Regelung mit dem Problem von schrottreifen, verkehrsuntüchtigen, nicht | |
ordnungsgemäß gekennzeichneten oder besitzlosen Booten begründet. | |
Jan Ebel sitzt auf einem Hocker, über ihm baumeln ein rostiges Beil und ein | |
alter Anker – Fundstücke vom Grund der Bucht. Er zeigt auf einen schräg | |
stehenden Kahn im Wasser, nicht weit von seinem Boot entfernt. „Natürlich | |
bin ich auch dafür, dass schrottreife und nicht zuordenbare Schwimmkörper | |
hier verschwinden und abgeschleppt werden“, sagt er. Aber das wäre auch | |
ohne neue Regelung möglich gewesen. „Mit der Verordnung wird vor allem | |
gezeigt, dass es eine starke Lobby gegen uns gibt.“ | |
Aus eigener Initiative organisiert Jan Ebel mit Freund*innen und anderen | |
Bootsbewohner*innen seit Jahren große [4][Umweltaktionen auf der | |
Spree]. „Wir wollen dem Wasser auch etwas zurückgeben“, sagt er. Dafür | |
ziehen sie mehrmals im Jahr ehrenamtlich Tonnen von Schrott und Müll aus | |
dem Wasser. Hinter den Aktionen steht der gemeinnützige [5][Verein | |
Spree:publik], bei dem Ebel Mitglied ist. Er versteht sich als | |
Zusammenschluss von Berliner Kunst- und Kulturflößen sowie der | |
unkommerziellen Freizeitschifffahrt. | |
Neben Umweltaktionen organisiert er auch Integrationsprojekte, | |
Infoveranstaltungen und Kunst- und Kulturveranstaltungen. Ziel ist, den | |
Zugang zum Wasser jenseits kommerzieller Interessen für alle zu öffnen und | |
für eine partizipative Nutzung der Gewässer einzutreten. Formiert und | |
gegründet hat sich Spree:publik im Zuge der Androhung des Ankerverbots, | |
das bereits vor mehreren Jahren im Raum stand und zunächst [6][erfolgreich | |
abgewehrt] werden konnte. | |
## Im Winter kommt das Aussterben | |
Auch Maloup Mendes ist mit ihrem Kollektiv und dem [7][Kulturfloß Anarche] | |
Teil der Spree:publik. Bei den genannten Schrottbooten in der Bucht sei | |
jahrelang unklar gewesen, wer für ihre Bergung eigentlich verantwortlich | |
ist, sagt sie. Um nicht einfach zuzusehen, wie ein Boot nach dem anderen | |
auf den dunklen Grund der Rummelsburger Bucht sinkt, sind sie vor Jahren | |
mit der Spree:publik selbst aktiv geworden. „Wir haben irgendwann | |
angefangen, eigenes Bergungsmaterial zu kaufen, um die Schiffe entsorgen zu | |
können und haben dabei viele Erfahrungen gesammelt.“ | |
Auch Mendes hält Reglementierungen auf dem Wasser prinzipiell für | |
notwendig, um den Problemen gerecht zu werden. Doch die neue Regelung sei | |
dabei wenig hilfreich, sagt sie. Sie schlägt stattdessen die Einführung | |
einer kostengünstigen Versicherungspflicht für alle Boote vor. Die würde | |
die Besitzer*innen dazu anhalten, mehr Acht zu geben und den Zustand | |
ihrer Boote im Blick zu behalten. | |
Doch mit der neuen Stillliegeverordnung sei „das Leben auf dem Wasser | |
gekippt“, sagt Mendes. Spätestens ab dem Winter werde es für Viele nicht | |
mehr möglich sein, auf dem Wasser zu leben, weil sie keinen festen | |
Liegeplatz am Ufer haben oder die Ankerwache nicht mehr einhalten können. | |
Für sie fühlt sich die Verordnung „wie ein großes Aussieben an, weil ein | |
Großteil der Wassernutzung nicht mehr möglich ist“. | |
Der Beschluss trifft jedoch nicht nur Hausbootbewohner*innen, sondern auch | |
Kultur- und Bildungsevents, die auf dem Wasser stattfinden, wie Konzerte, | |
Kinovorstellungen oder Lesungen. Solche Veranstaltungen durchzuführen wird | |
immer schwieriger, wenn Boote nicht mehr einfach irgendwo festgemacht | |
werden können und man allerhand Genehmigungen braucht. | |
## Gründung eines freien Hafens geplant | |
Durch das Ankerverbot übertragen sich die Gentrifizierungsprozesse, die | |
seit Jahren in der Stadt stattfinden, auf die Spree und bedrohen die | |
letzten Kultur- und Freiräume auf dem Wasser. Um diesem Trend | |
entgegenzuwirken, setzt sich die Spree:publik für die Gründung eines | |
freien Hafens für Kunst und Kultur in der Rummelsburger Bucht ein. „Mit dem | |
Hafen soll die Demokratisierung des Wassers vorangebracht werden“, sagt | |
Mendes. | |
Die Idee ist, dass die Stadt einen Teil der Spundwand auf der Seite des | |
Alt-Stralauer Ufers langfristig pachtet, um einen Ort zu schaffen, an dem | |
Kollektiv- und Kulturboote sicher einkehren können. Verwaltet werden soll | |
das Projekt von der Spree:publik. Damit einher gehen auch Planungen für | |
eine barriereärmere Infrastruktur, öffentliche Toiletten, Müllentsorgung | |
und den notwendigen Dialog mit den Anwohner*innen. | |
Die Pläne und dafür hat die Spree:publik dem Bezirksamt | |
Friedrichshain-Kreuzberg bereits vorgelegt. Man stehe seitdem in | |
regelmäßigem Austausch mit dem Bezirk, um einen gemeinsamen Fahrplan | |
entwickeln zu können, heißt es. Auch der dafür notwendige gemeinnützige | |
Verein inklusive Satzung wurde bereits gegründet. | |
Ziel ist es, den Zugang zum Wasser für alle zu gewährleisten und einen Ort | |
zum Austausch sowie ein niedrigschwelliges Kulturangebot zu schaffen. „Wir | |
hoffen sehr, dass wir den Hafen bekommen“, sagt Mendes. Es könnte die | |
Chance auf einen der letzten öffentlichen Orte am Wasser sein, an dem | |
öffentliche Kultur angeboten und geschaffen wird. | |
## Demonstration gegen das Ankerverbot im September | |
Für Jan Ebel ist die Gemeinschaft auf dem Wasser „ein kleines alternatives | |
Dorf“, das er als Bereicherung für die Stadt sieht und für das er sich | |
einsetzen will. Auch weil es für ihn keine Alternative gibt: An Land zu | |
ziehen, ist für ihn keine Option, aus Berlin weg ziehen möchte er auch | |
nicht. „Ich bin hier angekommen. Das ist mein Ding.“ Vielen seiner | |
Nachbar*innen auf dem Wasser würde es ebenso gehen. | |
Im September soll es daher eine große Demonstration gegen das neue | |
Ankerverbot geben. Dann wollen sie die große Solidarität unter den | |
Bootsbewohner*innen auf die Spree tragen und für ein freies Leben auf | |
dem Wasser eintreten. | |
28 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /taz-Sommerserie-Nah-am-Wasser/!5870854 | |
[2] /Ankerverbot-in-Berlin/!6008954 | |
[3] https://www.recht.bund.de/bgbl/1/2024/143/VO.html | |
[4] /Ein-Hausbootbewohner-ueber-Buerokratie/!5969270 | |
[5] https://spreepublik.org/author/spreepublik/ | |
[6] /Ankerverbot-in-Berlin-vom-Tisch/!5791160 | |
[7] https://anarche.noblogs.org/ | |
## AUTOREN | |
Kai Liesegang | |
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