# taz.de -- Ankerverbot in Berlin: Bugwelle der Verdrängung | |
> Eine neue Verordnung verbietet unbemanntes Ankern und Stillliegen auf der | |
> Spree. Hausbootbewohner:innen und Kulturflößen droht das Ende. | |
Bild: Nicht kommerziell genug, zu alternativ? Hausboot in der Rummelsburger Buc… | |
BERLIN taz | In der Rummelsburger Bucht an der Halbinsel Stralau schaukeln | |
die Boote gemächlich vor sich hin. Doch die Idylle auf diesem Seitenarm der | |
Spree zwischen Friedrichshain und Lichtenberg, Heimathafen für Dutzende | |
Bewohner:innen von Hausbooten, aber auch für eine alternative | |
Kulturszene ist trügerisch. | |
Tatsächlich herrscht derzeit große Aufregung um eine neue Rechtsverordnung. | |
Die verbietet das [1][Stillliegen von Booten] außerhalb von genehmigten | |
Liegeplätzen entlang von 35 Kilometern der innerstädtischen Spree künftig | |
selbst für kleine Boote unter 20 Meter Länge. Geankert werden darf nur noch | |
in Spree-Nebengewässern wie der Rummelsburger Bucht. Doch eine neue | |
Anwesenheitspflicht auf den Booten macht das Wohnen auf ihnen quasi | |
unmöglich. | |
Die [2][Verordnung regelt eine Abweichung von der bundesweit gültigen | |
Binnenschifffahrtsstraßen-Ordnung] und tritt am 1. Juni für zunächst drei | |
Jahre in Kraft. Bekannt wurde sie mit der jüngsten Veröffentlichung des | |
Bundesgesetzblatts – überraschend für all jene, die auf Berlins Gewässern | |
unterwegs sind. Bei einem eilig einberufenen vierstündigen Treffen des | |
Vereins Spree:publik, eines Zusammenschlusses der Kunst- und Kulturflöße, | |
sei der „Schock“ groß gewesen, berichtet Vorstandsmitglied Max Bayer der | |
taz. | |
Was bleibt, sind viele Fragezeichen: Wie konnte eine Regelung so schnell | |
Wirklichkeit werden, die vor drei Jahren noch erfolgreich verhindert werden | |
konnte? Was ist die Motivation dahinter? Und: Wie geht man nun damit um? | |
„So sehr eingeschränkt und in Gefahr habe ich den Freiraum Berliner | |
Wasserstraße noch nie gesehen“, sagt Bayer. | |
Dabei hat das linke Floßkollektiv „Anarche“, zu dem auch Bayer gehört, | |
angesichts eines angemieteten Liegeplatzes noch Glück. Hier kann das Boot | |
auch weiterhin ohne Ankerwache, also ohne beaufsichtigende Person liegen. | |
Anders verhält es sich etwa mit dem Kulturfloß „Unkraut“, das ohne eigenen | |
Platz gleich in der Nähe liegt. „Wir fühlen uns nach aufgeben und wissen | |
nicht, ob wir unsere Kultur- und Sozialevents überhaupt noch durchführen | |
können“, heißt es aus dem Kollektiv. Die neue Verordnung werde „viele | |
Bewohner:innen aus der Bucht vertreiben“, so die Einschätzung. | |
## Wie konnte eine Regelung so schnell Wirklichkeit werden | |
Einer jener Betroffenen ist Emanuel Ott, der seit fünf Jahren auf einem | |
„kleinen Holzhausbötchen“ in der Rummelsburger Bucht lebt. Als | |
Selbstständiger muss er regelmäßig an Land arbeiten, auch wenn er das Boot | |
„nie für lange Zeit“ verlasse. Doch selbst das soll künftig verboten sein. | |
In den Bereichen der Spree, in denen entfernt vom Ufer geankert werden | |
darf, neben dem Rummelsburger See etwa an der Großen Krampe in Müggelheim | |
oder auf der Müggelspree, muss sich dann eine beaufsichtigende Person | |
„ständig an Bord aufhalten“, wie es in der neuen Verordnung heißt. Ott | |
sagt: „Es ist aber unmöglich, immer an Bord zu sein.“ Bislang war es | |
erlaubt, das Boot einen Tag lang unbeaufsichtigt zu lassen. | |
Ott hat Angst, dass sein alternatives Lebensmodell „illegalisiert“ wird. | |
Treffe die Wasserschutzpolizei künftig ein Boot ohne Besatzung an, werde | |
eine Strafe von 55 Euro fällig, die im Wiederholungsfall auch verdoppelt | |
werden könne. Wie er und die anderen Betroffenen mit der neuen Regelung | |
umgehen werden, ist noch nicht entschieden: Die Möglichkeiten reichen von | |
Abwarten und im Falle von Strafen möglichst kollektiv Widerspruch einlegen | |
bis zur Gründung von Ankerverbänden mit anderen Booten, die dann von einer | |
Ankerwache beaufsichtigt werden. Dies erlaubt die neue Verordnung explizit. | |
Ginge es nach dem schwarz-roten Senat, wäre in Zukunft nicht einmal das | |
möglich. Wie eine Sprecherin auf taz-Anfrage mitteilte, hat sich die | |
zuständige Senatsverkehrsverwaltung in einer Stellungnahme zu der neuen | |
Verordnung „für ein flächendeckendes Stillliegeverbot auf nicht | |
zugelassenen Liegestellen ausgesprochen“. Das wäre das Ende der | |
Möglichkeit, auf Berliner Gewässern zu leben. | |
Das zuständige Bundesverkehrsministerium war jedoch der Auffassung, dass | |
das „nicht die strengen Anforderungen erfüllt, die seitens der | |
Verwaltungsgerichte hieran hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit gestellt | |
werden“. Doch die Hoffnung, die Spree von nichtkommerziellen Angeboten zu | |
befreien, hat man beim Senat noch nicht aufgegeben: Demnach hat das | |
Bundesministerium „in Aussicht gestellt, strengere, weitergehende Maßnahmen | |
in die Wege zu leiten, sofern die jetzt vorgesehenen Maßnahmen nicht | |
erfolgversprechend sein sollten“. | |
Auch Angler:innen sind betroffen | |
Um welche Erfolge es geht, kann nur gemutmaßt werden. In der Vergangenheit | |
hatten neben Lärmbeschwerden vor allem Schiffswracks, teils auch sinkende | |
Boote in der Rummelsburger Bucht für Unmut gesorgt. Vor drei Jahren hatte | |
sich daher der damalige Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD), der | |
seinen Wahlkreis in Lichtenberg hat, für ein Ankerverbot starkgemacht. Dazu | |
[3][kam es aber nicht, auch weil sich die damals noch grün geführte | |
Senatsverwaltung dagegen ausgesprochen hatte]. Zuvor hatte der Verein | |
Spree:publik lautstark gegen ein Ankerverbot getrommelt. | |
Denn laut Spree:publik wird die Verordnung den beabsichtigten Zweck nicht | |
erfüllen. „Leidtragende sind in erster Linie diejenigen, die auf den Booten | |
leben, diese angemeldet haben und ordnungsgemäß mit ihnen umgehen“, sagt | |
Bayer. Gegen sie sei es leicht, Strafen zu verhängen. Anders verhalte es | |
sich mit Besitzer:innen von Schrottboten, die gar nicht ausfindig zu | |
machen seien. Bayer bezweifelt, dass Berlin überhaupt die Mittel dafür | |
habe, Bootswracks abzuschleppen und zu verschrotten. Das Problem werde | |
fortbestehen, während die Bewohner:innen und Nutzer:innen von | |
Kulturangeboten drangsaliert würden. | |
Und womöglich nicht nur die: Vor drei Jahren hatte die grüne | |
Senatsverwaltung noch vor Auswirkungen auf alle anderen | |
Wassernutzer:innen gewarnt: etwa auf Wassertourist:innen, die dann | |
auch nicht mehr anlegen können. Bootsbewohner Emanuel Ott weist darauf hin, | |
dass auch Angler:innen betroffen sind. Auch die müssten ankern, um ihrer | |
Tätigkeit nachzugehen, das ist aber auf der Spree, abgesehen von ihren | |
Nebenarmen, nun nicht mehr gestattet. Ott meint: „Ich bezweifle, dass diese | |
Verordnung gut durchdacht ist.“ | |
21 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Drohendes-Ankerverbot-in-Berlin/!5785756 | |
[2] https://www.recht.bund.de/bgbl/1/2024/143/VO.html | |
[3] /Ankerverbot-in-Berlin-vom-Tisch/!5791160 | |
## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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