# taz.de -- Drohendes Ankerverbot in Berlin: No Anker – no Party | |
> Die Haus- und Kulturboote der Rummelsburger Bucht werden durch ein | |
> Ankerverbot bedroht. Betroffen wäre aber die gesamte Freizeitschifffahrt. | |
Bild: Konzert auf der „Unkraut“ von der Band KAYAM | |
BERLIN taz | Während im Hintergrund über der Oberbaumbrücke die Sonne | |
untergeht und sich von vorne die Insel der Jugend nähert, ist die Party auf | |
dem Kulturfloß Unkraut voll im Gange. Im überdachten Mittelteil tanzen | |
Kollektivmitglieder und Gäste zwischen DJ-Pult, Buffet und Bar; andere | |
schauen vom Bug, wo auf der Hinfahrt noch eine Band gespielt hat, und vom | |
Dach, wo sich auch das Steuerrad befindet, in das Abendrot. Als es dunkel | |
geworden ist, dreht das Floß, das komplett aus Recyclingmaterialien gebaut | |
ist und dessen Gerippe ein ehemaliges Gewächshaus ist, noch ein paar Runden | |
vor der [1][Rummelsburger Bucht]. Dann wirft es für die Nacht den Anker | |
aus. | |
Doch der Heimathafen Bucht ist akut bedroht. Geht es nach Innensenator | |
Andreas Geisel (SPD), wird schon bald, womöglich Ende des Sommers, ein | |
Ankerverbot dafür sorgen, dass [2][all die Hausboote und Flöße und mit | |
ihnen die alternative Szene, sprich mehrere Dutzend Wasser-Bewohner*innen, | |
und die bunte Kulturlandschaft] verschwinden. Doch nicht nur in der | |
Rummelsburger See, auch in anderen Gewässern in Berlin und Brandenburg – | |
zum Beispiel in der Spree-Oder-Wasserstraße, der Dahme oder Müggelspree – | |
soll das unbemannte Stilllegen von Booten bis zu 20 Metern Länge | |
(„Kleinfahrzeugen“) verboten werden. | |
Die drohende Änderung der Binnenschifffahrtsstraßen-Ordnung schwingt mit an | |
diesem Donnerstagabend auf der Unkraut, die eigentlich einen freudigen | |
Anlass für ihre Ausfahrt hat: Für die nächsten zwei Jahre werden | |
Kulturveranstaltungen auf dem Boot von der Essener VielRespektStiftung mit | |
insgesamt 100.000 Euro unterstützt. Dem anwesenden Stifter Reinhard | |
Wiesemann, der sein Geld mit einer Computerfirma gemacht hat, geht es | |
darum, Respekt und Vielfalt zu fördern – das Floß mit seinem diversen Team | |
sei dafür „genau der richtige Ort“, sagt er. | |
Eine Fotoausstellung auf dem Floß zeigt, wie vielfältig es von dem | |
achtköpfigen Kollektiv in den vergangenen fünf Jahren genutzt wurde: als | |
Veranstaltungsfläche bei der Fête de la Musique, als [3][Protestschiff | |
gegen AfD-Demos] oder, wie am vergangenen Sonntag für Berlins | |
Kohleausstieg. Als Ort für Lichtinstallationen oder für Umweltschulungen | |
für Kinder und auch für Ausflüge mit Geflüchteten. | |
Zusammen mit Flößen wie der Anarche oder der Panther Ray hat die Unkraut | |
die Wasserfläche in der Rummelsburger Bucht und darüber hinaus als | |
Kulturort etabliert. Daniel Haider, der das Boot einst mit gebaut hat, ist | |
eigentlich voller Vorfreude auf die kommenden Veranstaltungen – 28 wurden | |
schon ausgewählt – sagt aber auch: „Der Fortbestand unseres Projektes ist | |
in Gefahr.“ Neben ihm steht Stifter Wiesemann und sagt zum drohenden | |
Ankerverbot: „Wir müssen aufpassen, dass die Welt nicht immer glatter | |
wird.“ | |
## Gestörte Nachbarn | |
Vielen Anwohner*innen in den teuren Neubauten rings um die | |
Rummelsburger Bucht ist das bunte Treiben auf dem Wasser dagegen zu viel. | |
Zu laut, zu dreckig, ein ästhetisches Problem sind die oft vorgetragen | |
Klagen etwa aus dem Anwohner*innenverein Wir e. V. Viele Boote, | |
besonders die bewohnten, seien in einem schlechten Zustand, mehrere seien | |
zuletzt gesunken. | |
Der Verein Spree:publik, der Zusammenschluss der Kunst- und Kulturflöße, | |
verschweigt die Probleme nicht. Sprecher Claudius Schulze spricht von einer | |
„sozial angespannten Situation und vielen Nachbarschaftskonflikten“; das | |
nun drohende Ankerverbot sei dennoch „mega schräg“. Gegen „Boote, die ei… | |
Gefahr für Umwelt und Sicherheit darstellen“ gebe es aber schon jetzt eine | |
gesetzliche Handhabe, hieß es zuletzt in einer Mitteilung. | |
Schulze ist zu einem Experten der Binnenschifffahrtsstraßen-Ordnung | |
geworden, einer Bundesverordnung, die nur durch Bundesverkehrsminister | |
Andreas Scheuer (CSU) geändert werden kann. An diesen habe sich Andreas | |
Geisel als Wahlkreisabgeordneter von Rummelsburg Ende vergangenen Jahres in | |
einem persönlichen Brief gewandt. | |
## Versteckte Paragraphen, große Wirkung | |
Geisels Bitte: den Paragraphen 21.24, der Sonderbestimmungen für | |
Kleinfahrzeuge in Berlin-Brandenburger-Gewässern beinhaltet, zu ändern. In | |
Satz 1 heißt es: „Ein unbemanntes Kleinfahrzeug darf nur an einer | |
genehmigten Liegestelle stillliegen.“ Es folgt jedoch eine Ausnahme – | |
jedenfalls für Gewässer abseits der innerstädtischen Spree zwischen Spandau | |
und Insel der Jugend (Stralauer Spitze) –, deren Streichung nun im | |
Rechtssetzungsverfahren ist: „Abweichend von Satz 1 darf ein unbemanntes | |
Kleinfahrzeug an einer ungenehmigten Liegestelle bis zu einem Tag | |
stillliegen.“ | |
Wenn diese Möglichkeit gestrichen wird, auf dem Wasser oder am Ufer | |
außerhalb von festen Liegestellen ein Boot für einen Tag unbewacht liegen | |
zu lassen, dürften in der Konsequenz „Kleinfahrzeuge nicht mehr verlassen | |
werden“, sagt Schulze. Davon betroffen wäre auch der Wassertourismus. Schon | |
jetzt aber fehlten ausreichend öffentliche Liegestellen, wie auch jüngst in | |
Scheuers „Masterplan Freizeitschiffahrt“ angemahnt wurde, die wenigen | |
Hafenplätze dagegen seien teuer. Schulze sagt: „Regattasport, | |
Wassertourismus und Kulturboote werden zu Kollateralschäden eines | |
übereifrigen Law&Order-Populismus von Geisel und Scheuer gegen einzelne | |
Boote und Bootseigner*innen.“ | |
Die Floßszene will die Änderung verhindern und hat selbst ganz eigene Pläne | |
für die Rummelsburger Bucht. Ein Kulturhafen solle diese werden, ein Ort, | |
wo Boote legal zusammen kommen dürfen, um Kultur auf dem Wasser zu machen, | |
wie Daniel Haiser von der Unkraut sagt. Die Idee existiert schon seit | |
Jahren, zunächst wollte man zum Spreepark, das sei jedoch gescheitert. | |
Demnächst sollen im Rahmen eines Workshops auf dem Floß konkrete Pläne für | |
den Kulturhafen erarbeitet werden. | |
Ob zunächst das Ankerverbot verhindert werden kann, steht in den Sternen. | |
Die in Berlin zuständige Senatsverwaltung für Umwelt und Kultur ist derzeit | |
aufgefordert, eine Stellungnahme zum Verfahren abzugeben. Dem Vernehmen | |
nach ist man sich im Hause von Regine Günther (Grüne) der Problematik | |
bewusst. Allerdings wäre eine Absage an die Pläne für das | |
Bundesverkehrsministerium nicht bindend. | |
26 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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