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# taz.de -- Bewegungstermine in Berlin: Wieder ungemütlich werden
> Die Wohnungsfrage ist ungelöst, sie ernsthaft zu bekämpfen, wird nicht
> mal mehr versucht. Die Bewegung muss mal wieder alles selber machen.
Bild: Ja, wenn alle das täten, wie soll unsere Welt dann florier'n?!
Die Auseinandersetzung über die Wohnungsfrage hat an Schwung verloren. Das
liegt natürlich nicht daran, dass die Politik plötzlich die Wichtigkeit des
menschlichen Grundrechts auf angemessene Unterkunft erkannt hat und
entsprechend handeln würde. Politik, die tatsächlich etwas gegen soziale
Probleme tut, gehört bekanntlich ins Reich der Utopie. Also explodieren
Miet-, Betriebs- und Heizkosten munter weiter. Immer noch werden Miet- in
Eigentumswohnungen umgewandelt und Mieter:innen auf die Straße gesetzt,
fortwährend wird soziale Infrastruktur verdrängt und die Yuppifizierung
vorangetrieben.
Der Grund für das allgemeine Gefühl von Machtlosigkeit und Erschlagenheit
liegt genau darin, dass alles weitergeht wie bisher. Das Kapital und die
ihm gehörige Politik haben eine Reihe von Siegen errungen, gut für sie,
katastrophal für die große Masse der Bevölkerung. Der Mietendeckel und die
systematische Anwendung des Vorkaufsrechts sind futsch, die
Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen wird blockiert. Mit ihrem
heroischen Akt der Selbstopferung hat es Franziska Giffey nach der Wahl
sogar geschafft, die Mietnervensägen von Grünen und Linken aus dem Senat zu
schmeißen.
Es ist deshalb richtig, dass der Aufruf zur kommenden [1][Großdemo des
Mietenwahnsinn-Bündnisses am 1. Juni] unter dem Motto „Die Miete ist zu
hoch“ (Startpunkt 14 Uhr, Potsdamer Platz) von einem wohnungspolitischen
„Totalversagen“ spricht. Andererseits ist wohl auch die Idee des Versagens
noch zu wohlwollend. Denn klar, angesichts des staatlichen
Versorgungsauftrags ist die Mietenpolitik natürlich ein Totalversagen. Legt
aber nicht gerade die Systematik dieses Versagens inzwischen eine ganz
andere Zielsetzung herrschender Politik nahe?
Erinnern wir uns an die tragende, systematische Rolle, die die Politik beim
Ausverkauf Berlins gespielt hat. Die [2][Dokureihe „Capital B“] hat in
eindrucksvoller Weise erzählt, wie nach dem Mauerfall die CDU-Riege um
Diepgen und Landowsky die Stadt ruiniert hat. Es ist bekannt, wie die
Polizei immer wieder auf Geheiß der Politik selbstverwaltete Träume räumen
ließ. Spätestens aber die schwarz-rote Blockade der Vergesellschaftung
zeigt, dass die Politik eben nicht immer will, aber nie kann. Sie will ganz
einfach nicht.
## „Nicht fordern – kämpfen!“
Die Mietenbewegung steht damit vor einem ähnlichen strategischen Dilemma
wie die Klimabewegung. Beide hatten ihr Momentum: Die Mietenbewegung hat
den politischen Raum für die progressiven Ansätze von Rot-Rot-Grün 2016
eröffnet, die Klimabewegung konnte den (viel zu späten) Kohle- und
Atomausstieg erkämpfen. Inzwischen sehen sich beide Bewegungen jedoch
wieder nur noch mit Blockaden auf allen Ebenen konfrontiert. Auch diese
Kolumne kann da kein Patentrezept liefern.
Was aber eher nicht helfen wird: der nächste große Appell an das soziale
Gewissen von SPD und CDU, an den sachpolitischen Verstand oder den
staatlichen Versorgungsauftrag. Um wieder Momentum zurückzugewinnen, reicht
es nicht, zu appellieren und zu überzeugen. Man muss ungemütlich sein,
richtig nerven und eine Gegenmacht aufbauen, die die Politik nicht
ignorieren kann. An einem solchen Projekt arbeiten im Hintergrund etwa die
Aktivist:innen von Deutsche Wohnen & Co. enteignen, die [3][einen
zwingenden Gesetzesvolksentscheid] vorbereiten.
Lohnenswert in Betracht zu ziehen sind auch die Rezepte, die [4][im
anarchistischen Block] auf der Mietenwahnsinn-Demo kursieren werden. Der
Block sammelt sich unter dem Banner „Nicht fordern – kämpfen!“. Aufgeruf…
wird zur Besetzung leerer Häuser, der Markierung von Leerstand, der
Enteignung von Spekulanten und dem Verbrennen von Räumungstiteln und
Mieterhöhungen. Wenn alle das täten, die Welt würde wohl anders
funktionieren.
## Von anderen Bewegungen lernen
Ein anderer Ansatz ist es, von vergangenen Bewegungen und Kämpfen zu
lernen. Der Friedrichshainer Stadtteilladen Zielona Góra (in der Grünberger
Str. 73) zeigt zu diesem Zweck am Donnerstag (30. 5., ab 18 Uhr) [5][zwei
Filme über die französische Gelbwestenbewegung], die 2018 auch in der
deutschen Linken für viele Diskussionen gesorgt hatte. „L’histoire des
gilets jaunes par nous“ (dt.: Die Geschichte der Gelbwesten – erzählt von
uns selbst) und „Un Moment Sans Retour“ (dt.: Ein Moment ohne Wiederkehr)
sind beide kürzlich in Frankreich erschienen. Nach den Filmen soll es eine
Diskussion geben.
[6][In der Regenbogenfabrik] (Lausitzer Str. 21a) soll es am Sonntag (2.
6.) ebenfalls darum gehen, wie alles anders gehen könnte. Hier wird der
zweiteilige Film [7][„Sold City – Wenn Wohnen zur Ware wird“] gezeigt.
Dieser setzt sich im ersten Teil mit der Kommodifizierung von Wohnraum und
im zweiten Teil mit der wohnungspolitischen Situation in anderen Ländern
auseinander. Gezeigt werden soll so, dass Immobilienkonzerne enteignet
werden müssen. Nach dem ersten Teil (Start 18 Uhr) gibt es eine Debatte mit
dem Filmemacher und Soziologen Matthias Coers. Danach (20:30 Uhr) folgt der
zweite Teil.
## Praktische Solidarität leben
Ein wichtiger Schritt zum Aufbau von Gegenmacht ist es auch, Solidarität
praktisch werden zu lassen. [8][Eine Gelegenheit dazu] bietet sich am
Freitag (31. 5., 11-17 Uhr) in Hellersdorf. Dort müssen Bauarbeiten am
[9][Jugendclub La Casa] (Wurzener Straße 8, PLZ 12627) getätigt werden, der
ein wichtiger politischer Freiraum für Heranwachsende in der Platte ist.
Auch Spenden werden gebraucht (IBAN DE50 1009 0000 3742 8940 01,
Empfänger:in KuDePo e. V., Verwendungszweck „Dachbaustelle Spende“).
Ebenfalls eine gute Idee: Den Yuppies ihre Träume von eintönigen
Häuserfassaden nehmen. Im Rahmen der Ausstellung [10][„Feminist City
Utopia“ in der Galerie neurotitan] (Rosenthaler Str. 39) findet am Samstag
(1. 6., 12-15 Uhr) ein Drop-in-Workshop zu kreativer Fassadengestaltung
statt. Zuerst soll ein Entwurf auf Papier vorbereitet und dann an einer
Wand ausprobiert werden. So können politische Statements im Stadtbild
vorbereitet werden.
Klar ist, dass Widerstand nur mit Solidarität, also zusammen, erfolgreich
sein kann. Am Vorabend vom alljährlichen Straßenfest in der
Kreutzigerstraße in Friedrichshain, der Fiesta Kreutziga, findet dort eine
szenische Erzählung über die Größe und Kraft der Gemeinschaft statt. Titel:
[11][„Allein machen sie dich ein“]. Vielleicht birgt die Zeitreise zurück
zur Anfangszeit der Ostberliner Hausbesetzungen ja ein paar Ideen, wie das
mit dem Erhalt und der Erkämpfung von Freiräumen klappen könnte. (Freitag,
31. 5., 19:30 Uhr)
Das [12][Straßenfest Fiesta Kreutziga selbst] findet am Samstag (1. 6., ab
14:30 Uhr) statt. Unter dem Motto „Abenteuer statt Frust“ wird das
34-jährige Bestehen der KreutzigA gefeiert. Es gibt ein Kinderfest,
Infostände, leckeres Essen, Musik, Cocktails, gezapftes Bier – und vieles
mehr.
28 May 2024
## LINKS
[1] https://www.mietenwahnsinn.info/2024/demo-01-06/
[2] /Berlin-Serie-Capital-B/!5959745
[3] /Deutsche-Wohnen--Co-enteignen/!5961670
[4] https://kontrapolis.info/13018/
[5] https://stressfaktor.squat.net/node/305338
[6] https://stressfaktor.squat.net/node/305551
[7] https://www.sold-city.org/de/
[8] https://stressfaktor.squat.net/node/305297
[9] https://www.instagram.com/lacasahellersdorf/?hl=de
[10] https://neurotitan.de/Galerie/Archiv/2024/20240525_Feminism.html
[11] https://stressfaktor.squat.net/node/304969
[12] https://stressfaktor.squat.net/node/305608
## AUTOREN
Timm Kühn
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