| # taz.de -- Freier Zugang zum Ufer: Die Grenzen der Freiheit | |
| > In Brandenburg ist der freie Zugang zu Ufern in der Verfassung verankert. | |
| > Doch die Realität sieht anders aus. Ein Besuch an gesperrten Ufern der | |
| > Spree. | |
| Bild: Zumindest vom Wasser aus freie Sicht aufs Ufer: 200 Schwimmer:innen demon… | |
| Die Krumme Spree ist nicht nur krumm, sie windet sich mit ihren zahlreichen | |
| Mäandern und Altarmen auch um die Frage herum, wem ihre Ufer eigentlich | |
| gehören. Natürlich allen, sagt dazu die Brandenburger Landesverfassung. | |
| Dass es so einfach nicht ist, zeigen die blauen Andreaskreuze, die an der | |
| Krummen Spree zwischen Kossenblatt und Trebatsch angebracht sind. „Ufer | |
| frei“ steht auf ihnen, manchmal auch versehen mit einem dicken | |
| Ausrufezeichen. | |
| Das mit den Kreuzen hat sich Ray Höpfner ausgedacht. Schon in den | |
| Neunzigerjahren hat der Ingenieur aus Trebatsch mit seiner Mutter die | |
| [1][Initiative „Ufer frei“] gegründet, seitdem prangen die Kreuze wie | |
| Mahnmale an der Krummen Spree und weiter flussabwärts bis Beeskow, der | |
| Kreisstadt im Brandenburger Landkreis Oder-Spree. „Inzwischen haben wir | |
| bereits 600 Kreuze aufgestellt“, erzählt Höpfner stolz. | |
| Eines davon steht in Werder bei Kossenblatt. Unweit davon hat der private | |
| Eigentümer sein Grundstück am Spreeufer mit Maschendraht und Stacheldraht | |
| gesichert. Für Höpfner ist das Kreuz ein Zeichen, eine solche Sperrung | |
| nicht einfach hinnehmen zu wollen. | |
| Doch so einfach ist es meistens nicht. Viele Grundstücke an der Spree | |
| reichen bis zum Wasser. Einen Uferweg anzulegen, würde teilweise jahrelange | |
| Enteignungsverfahren nach sich ziehen. „Es geht um den Grundsatz der | |
| Uferfreiheit, und der bringt uns in einen schwer zu lösenden Widerspruch“, | |
| [2][hatte schon 2019 der damalige Ortsvorsteher von Werder der Märkischen | |
| Oderzeitung berichtet]. | |
| „Menschen sind Ufergucker“ ist so ein Satz, den Ray Höpfner gern benutzt. | |
| Und weil das so ist, muss das Ufergucken – allen Widersprüchen zum Trotz – | |
| auch möglich gemacht werden. Um den freien Zugang zu den Ufern, der in der | |
| Landesverfassung steht, durchzusetzen, hat sich Ray Höpfner deshalb an den | |
| zuständigen Ausschuss im Potsdamer Landtag gewandt. Die Antwort war | |
| ernüchternd. „Kein Handlungsbedarf“, hieß es. Über Bebauungspläne etwa | |
| hätten die Gemeinden eine „hinreichende Rechtsgrundlage“, um | |
| „einzelfallbezogen zu reagieren“. | |
| Solche Antworten stacheln Ray Höpfner eher noch an, als dass sie ihn | |
| entmutigen. Natürlich weiß er, dass eine kleine Gemeinde kaum Personal und | |
| Mittel hat, über aufwendige Bebauungsplanverfahren Wegerechte zu sichern | |
| und, wenn nötig, einen Rechtsstreit mit einem Eigentümer auszufechten. Doch | |
| Höpfner geht es ums Prinzip. „Neue Zäune sind nicht das, was ich mir nach | |
| dem Ende der DDR gewünscht habe“, sagt er. | |
| ## Uferlos im Szeneviertel | |
| Im grün regierten Rathaus des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg | |
| sind Bebauungspläne kein Fremdwort. Mit solchen B-Plänen sichert sich der | |
| Bezirk von Investoren bei Neubauprojekten etwa eine gewisse Zahl an | |
| Sozialwohnungen oder den Bau einer Kindertagesstätte. Seit 2008 sollen die | |
| Bebauungspläne am Kreuzberger und Friedrichshainer Ufer der Spree auch | |
| einen durchgehenden Uferweg möglich machen. | |
| Carsten Joost steht am Ufer der Spree unterhalb der „Uber-Arena“ und schaut | |
| auf die Kreuzberger Seite. Die Fassaden der geklinkerten Fabrikgebäude | |
| reichen bis ans Ufer des Flusses, der hier bis 1990 die innerdeutsche | |
| Grenze bildete. Von einem Uferweg ist weit und breit nichts zu sehen. | |
| Schlimmer noch: „Auf der Freifläche neben einer der Fabriken hat der Bezirk | |
| einen Neubau genehmigt, der ebenfalls bis zum Spreeufer reicht“, ärgert | |
| sich Joost. | |
| [3][Carsten Joost ist Architekt] und war Initiator eines Bürgerentscheids, | |
| der ein neues Kapitel an der innerstädtischen Spree hätte aufschlagen | |
| können. Den Investorenplänen von Bürobauten, Glaspalästen und privaten | |
| Wasserzugängen setzte die Initiative [4][„Spreeufer für alle“] die Vision | |
| eines 50 Meter breiten öffentlichen Uferwegs entgegen. Einem entsprechenden | |
| Bürgerentscheid gaben am 18. Juli 2008 87 Prozent der Wählerinnen und | |
| Wähler ihre Ja-Stimme. [5][„Bürger versenken Mediaspree“ jubelte damals | |
| die taz] in Anspielung auf einen gleichnamigen Zusammenschluss von | |
| Investoren. | |
| Wenn sich Carsten Joost heute umdreht und nicht auf das Kreuzberger, | |
| sondern auf das Friedrichshainer Spreeufer schaut, weiß er, dass damals | |
| eine Schlacht gewonnen, der Krieg um die Spreeufer wohl aber verloren | |
| wurde. Namentlich das Quartier rechts und links der „Uber-Arena“ ist eine | |
| Stadt, geboren aus einem Investorentraum. Für einen wie Joost ist es ein | |
| Albtraum. Selbst die Straßen sind hier nicht öffentlich, sondern privat. | |
| Der einzige Lichtblick ist der „Park an der Spree“, eine breite Promenade | |
| zwischen East Side Gallery und Spreeufer. „Mit dem Bürgerentscheid hat der | |
| Park aber nichts zu tun“, lacht Joost. Es ist ein sarkastisches, auch | |
| hilfloses Lachen. Denn der am Ufer langgezogene Park ist eine | |
| Ausgleichsmaßnahme für den Bau der Investorenstadt an der „Uber-Arena“. D… | |
| „freie Ufer“ als Almosen für einen in private Hände gegebenen Städtebau. | |
| Und auf der Kreuzberger Seite? Wird ein Bebauungsplan nach dem andern | |
| bearbeitet, sagt Joost. „Dort, wo die Gewerbegrundstücke nicht bis ans Ufer | |
| reichen, sollen Wohnungen gebaut werden.“ Zwischen den Neubauten und der | |
| Spree ist auch ein Uferweg vorgesehen. „Der Bau beginnt aber erst, wenn | |
| alle B-Pläne festgesetzt sind.“ | |
| Ungehindert am Flussufer spazieren und radeln, wünschen sich viele. Doch | |
| auch, wenn die Politik diesen Wunsch teilt, scheitert sie zumeist an | |
| Investoren, denen ein privates Ufer mehr in die Kassen spült als ein frei | |
| zugängliches. Ein bisschen scheint das sogar der Landespolitik peinlich. | |
| 2021 beschloss das Berliner Abgeordnetenhaus mit der Mehrheit von SPD, | |
| Grünen und Linken einen Antrag mit der Überschrift [6][„Das Wasser und die | |
| Ufer gehören Berlin“]. Der Senat wurde darin aufgefordert, ein | |
| Uferwegekonzept vorzulegen. | |
| Ein solches Konzept gibt es auch vier Jahre später noch nicht. In ihrer | |
| Antwort auf eine schriftliche Anfrage der Linken-Abgeordneten Katalin | |
| Gennburg musste die inzwischen von der CDU geführte Umweltverwaltung sogar | |
| einräumen, dass man nicht einmal wisse, wie viele Kilometer Uferweg es | |
| entlang der 40 Kilometer langen Spree von Köpenick bis Spandau gebe. | |
| Und dort, wo es eine Promenade gibt wie unterhalb der „Uber-Arena“, wird | |
| sie immer wieder unterbrochen. Das zeigt Carsten Joost bei einem | |
| Spaziergang in Richtung und entlang des „Parks an der Spree“. Auf der Höhe | |
| zweier umstrittener Investorenbauten wird die Promenade schmaler und | |
| schmaler, bis sie auf einen Erdhügel trifft: die Rampe einer im Krieg | |
| zerstörten Brücke. Erst dahinter geht es weiter. Wer das Hindernis | |
| überwinden will, muss entweder den Umweg über Stufen hinauf ins Hinterland | |
| nehmen – oder er passiert einen illegalen Trampelpfad und muss aufpassen, | |
| nicht ins Wasser zu fallen. | |
| „In meiner Heimatstadt ist das anders“, sagt Joost und erzählt vom Mainufer | |
| in Frankfurt, das er als Student bereits mitgeplant hat. Als | |
| [7][Museumsufer] ist es seit den Achtzigerjahren ein öffentlicher Ort | |
| geworden. Auch sonst gibt es viele freie Ufer in Deutschland, nur nicht an | |
| der Spree. | |
| ## Schwimmdemo mit Kreuz | |
| Stolz zeigt Dirk Sarnoch den Kalender aus Oberschöneweide. Das Blatt vom | |
| Juli 2024 ziert ein Luftbild der Schwimmdemo im vergangenen Jahr am | |
| [8][Kaisersteg]. „Ray Höpfner war auch dabei“, schmunzelt Sarnoch, der um | |
| die Ecke die [9][Buchhandlung „Werk 116]“ betreibt. „Beim Schwimmen zog er | |
| eines seiner blauen Kreuze neben sich her.“ | |
| Ray Höpfners Initiative hat sich inzwischen mit anderen Bürgerinitiativen | |
| vernetzt. Mit Leuten in Potsdam, die darum kämpfen, dass die | |
| Ufergrundstücke am Griebnitzsee – auch dort verlief die Mauer – für die | |
| Allgemeinheit geöffnet werden. 33 blaue Kreuze stehen dort schon. Und mit | |
| der Initiative [10][„Ufer frei in Schöneweide“], die schon zweimal die | |
| Schwimmdemo organisiert hat. Auch Sarnoch gehört der Initiative an. | |
| Der Kaisersteg ist eine Brücke für Radfahrerinnen und Fußgänger, die die | |
| Ufer in Niederschöneweide und Oberschöneweide miteinander verbindet. Vor | |
| allem für die 14.000 Studierenden der [11][Hochschule für Technik und | |
| Wirtschaft Berlin (HTW]) ist sie ein Segen, sie verkürzt den Weg vom | |
| S-Bahnhof zur Hochschule erheblich. | |
| Aber eigentlich müsste man sagen: Sie würde ihn erheblich verkürzen. Denn | |
| das Ufer gleich hinter dem Kaisersteg ist gesperrt. Am Bauzaun hängt eines | |
| der blauen Kreuze. Angebracht haben es „Ufer frei in Schöneweide“ zusammen | |
| mit Ray Höpfner. „Seit Jahren weigert sich der private Eigentümer, den Weg | |
| zu öffnen“, sagt Sarnoch. | |
| Auch der Bezirk Treptow-Köpenick hat sich eingeschaltet, die grüne | |
| Baustadträtin Claudia Leistner war bei der letzten Schwimmdemo vor Ort. | |
| Doch eine Handhabe hat auch sie nicht, wenn der Besitzer selbst nicht bauen | |
| will. Ein Deal fällt flach. | |
| „Das Privateigentum ist mächtiger als die Verwaltung“, seufzt Dirk Sarnoch. | |
| Aufgeben will seine Initiative dennoch nicht. „Auch in diesem Jahr wird es | |
| wieder eine Schwimmdemo geben“, kündigt er an. Immerhin: Auf dem | |
| gegenüberliegenden Spreeufer wird es einen neuen Uferweg geben. Der Bezirk | |
| hat ihn in den Bebauungsplan für ein Neubaugebiet geschrieben. | |
| Auch Ray Höpfner hat in Trebatsch einen Teilerfolg erreicht. Mit knapper | |
| Mehrheit stimmte die Gemeindevertretung dafür, die Ufer der Spree künftig | |
| freizuhalten. Doch der Erfinder der blauen Kreuze will mehr. „Wenn jemand | |
| stirbt, darf bei einem Verkauf des Grundstücks der Uferstreifen nicht mit | |
| verkauft werden“, fordert er. Dann erzählt er von seinem großen Traum. „W… | |
| wollen, dass es auch in Deutschland ein Jedermannsrecht gibt wie in | |
| Skandinavien.“ | |
| Jeder soll also überall zum Ufergucker werden können. „Damit das möglich | |
| wird, muss der freie Zugang zum Ufer ins Grundgesetz“, sagt Ray Höpfner. | |
| Von Uwe Rada erscheint Ende März im KJM-Buchverlag das Buch [12][„Spree“]. | |
| Der Fluss wird dort als politische Landschaft beschrieben. | |
| 17 Mar 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://uferfrei.wordpress.com/worum_geht_es/ | |
| [2] https://www.moz.de/lokales/beeskow/buergerprotest-stahltor-und-stacheldraht… | |
| [3] https://www.planungsagentur.de/ | |
| [4] http://www.spreeufer-fuer-alle.de/ | |
| [5] /Buergerentscheid-in-Friedrichshain-Kreuzberg/!5179056 | |
| [6] https://www.parlament-berlin.de/ados/18/IIIPlen/vorgang/d18-3716.pdf | |
| [7] https://www.museumsufer.de/ | |
| [8] https://de.wikipedia.org/wiki/Kaisersteg | |
| [9] https://werk116.de/ | |
| [10] https://www.instagram.com/sw_uferfrei/ | |
| [11] https://www.htw-berlin.de/ | |
| [12] https://www.kjm-buchverlag.de/produkt/spree/ | |
| ## AUTOREN | |
| Uwe Rada | |
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