# taz.de -- Sperrung eines Sees in Brandenburg: Baden verboten | |
> Privater Eigentümer, willige Behörde: Die Sperrung der Badestelle in Groß | |
> Köris zeigt, wie schnell der freie Zugang zu Seen eingeschränkt werden | |
> kann. | |
Bild: Matthias Rackwitz vor der abgesperrten Badestelle am Großen Karbuschsee | |
Wenn Matthias Rackwitz am Zaun steht, hinter dem einmal die Dorfbadestelle | |
war, kann er nur den Kopf schütteln. „Seit dem Krieg wurde hier gebadet“, | |
sagt der 52-Jährige aus Groß Köris. | |
Rackwitz hat sogar die [1][Brandenburger Landesverfassung] mitgebracht zur | |
Badestelle am Großen Karbuschsee im Landkreis Dahme-Spreewald südlich von | |
Berlin. „Die Nutzung des Bodens und der Gewässer“, zitiert er aus Artikel | |
40, „ist in besonderem Maße den Interessen der Allgemeinheit und künftiger | |
Generationen verpflichtet.“ | |
An der nur zehn Meter breiten Badestelle am Karbuschsee ist die | |
Allgemeinheit ausgesperrt worden. Vom privaten Eigentümer des Sees, der | |
einige hundert Meter entfernt in einer Villa lebt und nun einen Zaun | |
gezogen hat. Vom [2][Naturpark Dahme-Heideseen], der auf einer Tafel | |
informiert, dass an der Badestelle die seltene Art der Binsenschneide | |
vorkommt. Und von der [3][Unteren Naturschutzbehörde (UNB)] des | |
Landkreises, die eine „temporäre“ Schließung der Badestelle für fünf Ja… | |
genehmigt hat. | |
Matthias Rackwitz, Gartenbauingenieur, Anwohner und Vorsitzender im | |
örtlichen Naturschutzbund, würde gern darüber lachen. In Wirklichkeit ist | |
er stinksauer. | |
## Andrang im Coronasommer | |
Diese Geschichte ist kein großer Skandal, es geht nicht um Korruption oder | |
Machtmissbrauch, nicht um das große Geld. Es ist eine kleine Geschichte aus | |
der Provinz, die davon erzählt, was passiert, wenn verschiedene Interessen | |
aufeinandertreffen und wer am Ende am längeren Hebel sitzt. Und es ist eine | |
Geschichte, die sich überall wiederholen kann. Trotz des Artikels 40 der | |
Landesverfassung. | |
Begonnen hat die Geschichte vor zwei Jahren. Damals wurde der | |
[4][Managementplan] des Flora-Fauna-Habitat-Gebiets „Heideseen bei Groß | |
Köris“ beraten, zu dem auch der Große Karbuschsee gehört. In der | |
abschließenden Fassung ist von der Binsenschneide, einer Sumpfpflanze, die | |
früher zum Decken von Dächern verwendet wurde, nur an wenigen Stellen die | |
Rede. | |
Besondere Schutzmaßnahmen werden im Managementplan nicht vorgeschlagen, | |
erst recht keine Absperrung der Badestelle. „Auch bei einem ersten | |
Vorort-Termin“, sagt Matthias Rackwitz, „war von einer Sperrung keine | |
Rede.“ Er räumt allerdings ein, dass es von diesem Termin kein Protokoll | |
gibt. | |
Zwei Jahre lang war dann am Karbuschsee alles wie immer. Die Bewohner von | |
Groß Köris gingen, wenn es warm wurde, baden, die Sonne schien immer | |
länger, der Regen wurde immer weniger, ein Brandenburger Sommer halt an | |
einem Brandenburger See. Einem See allerdings, der nicht allen gehört, | |
sondern zu weiten Teilen dem Berliner Handwerker Michael Müller, der sich | |
die ehemalige Villa, die einmal zu einer Künstlerkolonie gehört hat, | |
gekauft hat und seitdem dort lebt. | |
Dann kam der Sommer 2020, jener Sommer, in dem alle der Pandemie entfliehen | |
und sich im Grünen vom Lockdown erholen wollten. Schnell galt der | |
Karbuschsee als Geheimtipp, auch für die Berliner. Nicht nur an der | |
Badestelle drängelten sich die Menschen, auch die Forstwege, die zum See | |
führen, waren mit Autos vollgestellt. Der Versuch, das Seeufer mit dem | |
schützenswerten Schilf und der Binsenschneide mit Kiefernpfählen zu | |
schützen, blieb erfolglos. | |
Im Sommer darauf eskalierte die Lage. In einem Schreiben an die taz listet | |
die Untere Naturschutzbehörde die Vorkommnisse am Karbuschsee auf: „Massive | |
Verstöße durch illegales Parken“, „Befahren von Wald von bis zu 70 Pkws am | |
Tag“, „Vermüllung und Verschmutzung im Bereich der Badestelle“ durch bis… | |
200 Badegäste täglich. | |
Für die UNB war das der traurige Höhepunkt einer schon vorher | |
festzustellenden „(Fehl-)Entwicklung bei der Nutzung der Naturbadestelle“. | |
Den Antrag des Eigentümers, die Stelle zu sperren und den Zugang zum See | |
einzuzäunen, hat die UNB dann „landschaftsschutzrechtlich genehmigt“. | |
## Wessen Interesse wiegt mehr? | |
Seitdem steht in Groß Köris die Frage im Raum, was mehr wiegt. Der Schutz | |
einer seltenen Art wie der Binsenschneide? Das Gewohnheitsrecht der | |
Anwohner, an der kleinen Sandbucht zu baden? Oder das Interesse des | |
privaten Seenbesitzers, seine Ruhe zu haben? | |
Dass Seen nicht einfach in Privatbesitz fallen dürfen, war ein großes | |
Anliegen von Carsten Preuß. Bereits 2009 hatte der Brandenburger | |
BUND-Vorsitzende eine [5][Bundestagspetition] gestartet, mit der die | |
Bundesregierung aufgefordert wurde, „auf die Privatisierung von Gewässern | |
in Ostdeutschland zu verzichten und die Seen den Ländern und Kommunen | |
kostenlos zu übertragen“. | |
Zur Begründung sagte Preuß damals: „Die Seen müssen zu Erholungszwecken f�… | |
jedermann zugänglich bleiben.“ 112.000 Unterschriften waren | |
zusammengekommen. Als Reaktion auf die Petition hatte Brandenburg 2012 65 | |
Seen vom Bund gekauft. Der Karbuschsee war aber schon damals privat. | |
Seit 2021 ist Carsten Preuß Leiter des Naturparks Dahme-Heideseen. Er hat | |
den Konflikt am Karbuschsee von seinem Vorgänger Gunnar Heyne geerbt, der | |
inzwischen Chef der Berliner Forsten ist. Gerne hätte die taz mit Preuß | |
gesprochen und ihn gefragt, welches Interesse im Zweifel mehr wiegt. Denn | |
ein Naturpark, so steht es in der Satzung, ist nicht nur für Naturschutz | |
zuständig, sondern auch für Regionalentwicklung und nachhaltigen Tourismus. | |
Doch Preuß soll nicht mit der Presse sprechen. An seiner Stelle antwortet | |
das [6][Landesamt für Umwelt], dem der Naturpark Dahme-Heideseen zugeordnet | |
ist. „Unterschiedliche Ziele werden in jedem Einzelfall abgewogen“, | |
schreibt Behördensprecher Thomas Frey auf eine schriftliche Anfrage der | |
taz. „In FFH-Gebieten sind die abgestimmten und behördenverbindlichen | |
Managementpläne die Grundlage für Entscheidungen.“ | |
Tatsächlich geht aber aus dem Managementplan nicht hervor, dass sich | |
unmittelbar an der Badestelle, die dort als „geduldet“ klassifiziert wird, | |
ein Vorkommen der geschützten Binsenschneide befindet. Das bestätigt auch | |
LfU-Sprecher Thomas Frey. „Die Binsenschneide befindet sich nicht direkt an | |
der Badestelle“, räumt er ein. | |
Allerdings gehe es seinem Amt am Karbuschsee nicht allein um die | |
Binsenschneide. „Insgesamt wurde die Ufervegetation durch Tritt, | |
Lagerfeuer, Stand-up-Paddling, Anlegen von Booten und Ähnliches sehr in | |
Mitleidenschaft gezogen und zurückgedrängt“, so Frey. „Das betraf nicht n… | |
die direkte Badestelle, sondern auch weitere Uferbereiche.“ | |
Nichts zu machen also? Waren es verantwortungslose Badegäste, die Matthias | |
Rackwitz und den anderen in der Gemeinde das Badevergnügen genommen haben? | |
## Kleine Lösung gesucht | |
In Groß Köris wollen sie sich damit nicht abfinden. Inzwischen hat auch der | |
Gemeinderat die Aufhebung der Sperrung gefordert. „Das Votum war | |
einstimmig“, sagt Gemeindevertreterin Birgit Mittwoch der taz, „das kommt | |
bei uns nicht allzu häufig vor.“ In Groß Köris gebe es nur noch wenige | |
Seen, die öffentlich zugänglich seien. „Das kann man an einer Hand | |
abzählen.“ Sie will nun versuchen, wenigstens einen Kompromiss zu | |
erreichen. Zusammen mit der örtlichen Schule will sie ein Projekt | |
entwickeln, wie der Zugang zur Badestelle wieder geöffnet und gleichzeitig | |
beschränkt werden könne. „Da wollen wir die Schüler einbeziehen“, sagt | |
Mittwoch. „Es kann doch nicht sein, dass private Eigentümer entscheiden, ob | |
abgesperrt wird oder nicht.“ | |
Im zuständigen [7][Amt Schenkenländchen] hat man den Beschluss des | |
Gemeinderats zur Kenntnis genommen. „Wir haben das an die Untere | |
Naturschutzbehörde weitergereicht“, sagt Amtsdirektor Oliver Theel der taz. | |
Allerdings habe die UNB darauf den Bescheid nicht zurückgenommen, sondern | |
noch einmal ausdrücklich bestätigt. „Wir selbst können da nichts machen“, | |
sagt Theel. | |
Für den Amtsdirektor ist die Sperrung ein schwieriges Thema. „Da schlagen | |
zwei Herzen in meiner Brust“, gesteht er. Natürlich verstehe er das | |
Anliegen der Bewohner zu baden. Aber er sehe auch die massiven Schädigungen | |
der Natur. „Die Leute bleiben nicht an der Badestelle, sondern weichen ins | |
Schilf aus“, ärgert er sich. „Sie legen Decken über das Röhricht oder | |
machen Lagerfeuer.“ | |
Nicht nur am Karbuschsee hat Theel solche Entwicklungen beobachtet, sondern | |
auch am [8][nahen Tonsee]. „Bis zu 2.000 Leute kommen da manchmal an einem | |
Tag“, sagt er. „Solche Auswüchse könnten schon aus hygienischen Gründen | |
eine Sperrung erfordern.“ Den Naturschutz bräuchte es also nicht, um einen | |
Zaun zu ziehen. Der Tonsee ist, obwohl er im Naturpark liegt, kein | |
FFH-Gebiet. | |
Nun, da die neue Badesaison bevorsteht, will Gemeinderatsvertreterin Birgit | |
Mittwoch noch einmal das Gespräch mit dem Eigentümer suchen, der für die | |
taz nicht erreichbar war. Auch Amtsdirektor Oliver Theel würde sich einer | |
„kleinen Lösung“, wie er es nennt, nicht in den Weg stellen. „Wir wollen | |
doch auch, dass das Baden wieder möglich ist“, sagt er und betont, dass die | |
Sperrung nur für fünf Jahre angeordnet sei. „Danach kann man den See wieder | |
nutzen.“ | |
Matthias Rackwitz kann darüber nur lachen. „Nach fünf Jahren gibt es hier | |
keine Badestelle mehr, dann ist alles zugewachsen“, sagt er und schüttelt | |
erneut den Kopf. „Dann gibt es auch an der Badestelle die Binsenschneide, | |
und dann wird für immer gesperrt.“ | |
21 Apr 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://bravors.brandenburg.de/de/gesetze-212792 | |
[2] https://www.dahme-heideseen-naturpark.de/ | |
[3] https://www.dahme-spreewald.info/de/Politik_&_Verwaltung/Kreisverwaltun… | |
[4] https://lfu.brandenburg.de/lfu/de/aufgaben/natur/natura-2000/managementplan… | |
[5] /!478405/ | |
[6] https://lfu.brandenburg.de/lfu/de/ | |
[7] https://www.amt-schenkenlaendchen.de/ | |
[8] https://www.reiseland-brandenburg.de/poi/dahme-seenland/naturbadestellen/na… | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
## TAGS | |
Wasserprivatisierung | |
Hitzesommer | |
Wasserversorgung | |
Brandenburg | |
Stadtland | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Berliner Seenwanderer: „Ich will einfach den See umrunden“ | |
Norman Heise ist Seenumrunder und zugleich Berlins oberster | |
Elternvertreter. Ein Gespräch übers im-Kreis-Laufen und Nachtschichten fürs | |
Ehrenamt. | |
Carsten Preuß will in den Bundestag: Parteilos für die Linke | |
Carsten Preuß ist Naturschützer und tritt in Brandenburg als Direktkandidat | |
an. Er hat Zweifel daran, dass das Klima im Kapitalismus zu retten ist. | |
Tourismus nach Corona: Ansturm aus Berlin erwartet | |
Das Brandenburger Gastgewerbe fordert Lockerungen und hofft, dass der | |
regionale Tourismus profitiert, sagt Ellen Rußig von Seenland Oder-Spree. | |
Brandenburg verhandelt: Seenland in Bürgerhand | |
Nach der Einigung in Mecklenburg-Vorpommern verhandelt nun Brandenburg mit | |
dem Bund um seine Seen. Eine Einigung ist laut Ministerium in greifbarer | |
Nähe. |