# taz.de -- Leistungen für Asylbewerber:innen: Juristisch fragwürdig | |
> Die Vorschläge der Bundesregierung zur Asylrechtsverschärfung sind | |
> inhuman. Sie dürften zudem einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht | |
> standhalten. | |
Bild: Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Eisenhüttenstatt | |
Nach dem Anschlag in Solingen ist eine besorgniserregende Dynamik | |
entstanden, in der sich Politiker*innen verschiedener Parteien schier | |
darin überbieten, Maßnahmen zur Aushöhlung des Asylrechts in den | |
öffentlichen Diskurs zu werfen. Als norwegischer Ministerpräsident sagte | |
Jens Stoltenberg 2011 auf das Utøya-Attentat: „Unsere Antwort muss mehr | |
Demokratie und Offenheit sein, aber nicht mehr Naivität.“ [1][Von solch | |
besonnenem Verhalten ist man in Deutschland weit entfernt.] Vielmehr | |
scheint es, dass Stück für Stück die Forderungen von rechts außen | |
übernommen werden und von einem Kernstück des Grundgesetzes, dem Grundrecht | |
auf Asyl, wenig bleibt. | |
Nun hat die [2][Bundesregierung ein Maßnahmenpaket] als Reaktion auf den | |
Anschlag vorgestellt. Danach sollen sogenannte Dublin-Flüchtlinge keine | |
Sozialleistungen mehr bekommen. Dies ist ein Vorschlag, der | |
verfassungsrechtlich nicht zu halten sein dürfte und dem Gebot der | |
Menschlichkeit widerspricht. Betroffen von dem Vorschlag sind Menschen, die | |
in einem EU-Staat die Europäische Union erstmals betreten haben und nach | |
der Dublin-III-Verordnung der EU einen Anspruch auf ein Asylverfahren in | |
diesem EU-Staat haben. | |
Sind Geflüchtete weitergereist und befinden sich in einem anderen EU-Staat, | |
müssen sie in den EU-Staat, in dem sie erstmals EU-Boden betreten haben, | |
für ein Asylverfahren dorthin zurückkehren. Nach den [3][Plänen der | |
Bundesregierung sollen Geflüchtete,] die in einem anderen EU-Staat erstmals | |
EU-Boden betreten haben und bei denen der jeweilige Staat einer | |
Rücküberstellung zugestimmt hat, keinen Anspruch auf Sozialleistungen mehr | |
haben. | |
Dabei kann man sich zunächst fragen, welche Sozialleistungen Geflüchtete | |
überhaupt bekommen. Dies richtet sich nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. | |
Die Leistungen bewegen sich in einem erheblichen Umfang unterhalb der | |
Leistungen, die Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit zustehen. | |
Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten Menschen einen notwendigen | |
Bedarf für Ernährung, Kleidung, Gesundheitspflege sowie für einen | |
notwendigen persönlichen Bedarf des täglichen Lebens. Im Falle, dass | |
Menschen in Aufnahmeeinrichtungen wohnen, erhalten sie das als | |
Sachleistungen. Wenn es zu wenig Kleidung gibt, [4][erhalten sie | |
Bezahlkarten,] Wertgutscheine oder andere „unbare Abrechnungen“. | |
## 108 Euro für ein 12-jähriges Kind | |
Der notwendige persönliche Bedarf beträgt für ein 12-jähriges Kind | |
monatlich 108 Euro und der notwendige Bedarf mit Ausnahme der Kosten für | |
die Unterkunft 162 Euro. Das sind insgesamt 270 Euro. In einem Monat mit 30 | |
Tagen stehen dem Kind also täglich 9 Euro zur Verfügung. | |
Selbst wenn man davon ausgeht, dass das Kind weder Kleidung noch Duschgel | |
noch Zahnpasta, keine Haarbürste und keine Schuhe braucht, erscheint es | |
schwierig, ein Kind gesund mit diesem Geldbetrag zu ernähren. Für ein Kind | |
mit deutscher Staatsangehörigkeit liegt der Regelbedarf aktuell bei 390 | |
Euro monatlich. Geflüchtete Menschen haben außerdem [5][Anspruch auf | |
ärztliche und zahnärztliche Behandlung], jedoch nur bei akuten Erkrankungen | |
und Schmerzen. | |
Es war auch davon die Rede, dass Dublin-Flüchtlinge zukünftig nur noch | |
„Bett, Brot und Seife“ erhalten sollen. Dies ist nach der geltenden | |
Rechtslage jetzt schon möglich. Nach § 1a Absatz 1 | |
Asylbewerberleistungsgesetzes haben Geflüchtete, die einen Ausreisetermin | |
und eine Ausreisemöglichkeit haben und ihre nicht erfolgte Ausreise „zu | |
vertreten haben“, ab dem auf den Ausreisetermin folgenden Tag keinen | |
Anspruch auf Leistungen für Kleidung oder Haushaltsgüter. | |
Bis zu ihrer Abschiebung erhalten sie lediglich Leistungen für Essen, | |
Unterkunft, Heizung, Körper- und Gesundheitspflege. Nur in besonderen | |
Einzelfällen können ihnen darüber hinausgehende Leistungen als | |
Sachleistungen erbracht werden. | |
## Existenzminimum nicht berücksichtigt | |
Es lässt sich bereits gegenwärtig sagen, dass die grundsätzlich geringere | |
Existenzsicherung für geflüchtete Menschen und die vorgesehenen Kürzungen | |
eine erhebliche Diskriminierung darstellen. Die Bundesregierung scheint | |
Geflüchtete vollständig von Sozialleistungen ausschließen zu wollen. Doch | |
wie das genau aussehen und zudem verfassungsrechtlich zulässig sein soll, | |
bleibt ihr Geheimnis. | |
Das Bundesverfassungsgericht hat für den Fall festgehalten, dass der | |
Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die | |
Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will, er nicht | |
pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren darf | |
(Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 18. 7. 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL | |
2/11). | |
Vielmehr muss dargelegt werden, dass der Bedarf an existenznotwendigen | |
Leistungen signifikant von dem anderer bedürftiger Personen abweicht. Es | |
ist schon fragwürdig, wie zu begründen sein soll, dass der Bedarf | |
geflüchteter Menschen grundsätzlich niedriger ist als der von Menschen, die | |
nicht geflüchtet sind. | |
Migrantinnen und Migranten kommen meist ohne Habseligkeiten in Deutschland | |
an und müssen sich hier vieles erst beschaffen. Dies spräche eher für einen | |
höheren als für einen niedrigeren Bedarf. Wie nun der Gesetzgeber begründen | |
möchte, dass der Bedarf Geflüchteter so niedrig ist, dass dieser | |
vollständig entfallen kann, ist nicht ersichtlich. Sodass davon von | |
auszugehen sein dürfte, dass dieses Vorhaben einer verfassungsrechtlichen | |
Prüfung nicht standhält. | |
Dass eine solche Regelung Menschen in einer ausweglosen Situation | |
zurücklässt, ist offensichtlich. Sie dürfen nicht arbeiten, und es steht zu | |
befürchten, dass Menschen darauf mit Betteln und kriminellem Verhalten | |
regieren und versuchen werden, sich dem Zugriff durch Behörden zu | |
entziehen. | |
Dies kann vom Gesetzgeber nicht intendiert sein und widerspricht dem Gebot | |
der Menschlichkeit. Auch wenn es gerade kaum wahrscheinlich erscheint, | |
bleibt zu hoffen, dass sich die Regierung an der Besonnenheit Stoltenbergs | |
orientiert und von ihren Vorschlägen ablässt. | |
6 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
Franziska Drohsel | |
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