Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Berliner Plattenladen vor dem Aus: Jimi Hendrix darf als Letzter ra…
> Lange 40 Jahre sorgte der Plattenladen Groove Records in Kreuzberg für
> den richtigen Sound. Jetzt bricht die Gentrifizierung den Groove.
Bild: Typische Handbewegung im Schallplattenladen
Alles muss raus“, steht am Schaufenster. Eine Woche noch, dann wird der
Plattenladen Groove Records in Kreuzberg Geschichte sein. Weggentrifiziert,
wie so viele Läden im Kiez in den letzten Jahren, die nicht mehr mitziehen
können bei den Mieten, die hier inzwischen verlangt werden.
Groove gibt es seit 40 Jahren und damit zählt er zu den [1][ältesten
aktiven Plattenläden Berlins]. Er hat die Umstellung von Vinyl auf CD und
in letzter Zeit wieder zurück zum Vinyl überlebt und die Zeiten, in denen
Plattenläden komplett out waren, weil sich alle ihre Musik lieber im
Internet kostenlos besorgten. Das ist keine geringe Leistung.
Aber als dem Betreiber von Groove Ende April von einer Londoner
Immobilienfirma mitgeteilt wurde, dass der bestehende Mietvertrag nicht
verlängert werden würde, war ihm schnell klar, dass es das jetzt war für
ihn. Er könne gerne bleiben, wurde ihm gesagt, nur müsse er dann eben
künftig statt rund 700 Euro etwa 2.500 Euro monatlich abdrücken.
Als man Detlef Müller in seinem Laden darauf anspricht, antwortet er erst
ganz ruhig, um dann völlig erregt zu sagen: „Ich werde denen doch keine
solche Summen monatlich bezahlen.“ Und schaut einen dabei so wütend an, als
wäre man selbst ein eben eingeflogener Abgesandter aus London.
## In Nachbarschaft zur Markthalle 9
Groove Records liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zur Markthalle 9. Für
viele gilt diese mit ihren ganzen ausgesuchten Spezialitäten für
Foodie-Hipster als Motor der Gentrifizierung im Kiez. Als vor einigen
Jahren [2][der Aldi in der Markthalle raussollte], wurde dagegen
protestiert. Der Aldi, wurde gesagt, sei der einzige Grund für Leute, die
finanziell eher in der Bratwurstliga spielen, überhaupt noch diesen Ort zu
besuchen.
Für Groove Records wird der Aufstieg seines Nachbarn zum Hipsterzentrum
Kreuzbergs nicht nur schlecht gewesen sein. Hipster lieben Vinyl.
Allerdings schlabbern sie neben dem Stöbern in den Plattenkisten auch gerne
noch einen Cappuccino mit Mandelmilch oder so etwas. Ein Bedürfnis, auf das
sich der neue schicke [3][Rough-Trade-Store in Berlin-Neukölln] ganz
selbstverständlich eingestellt hat.
Groove Records ist das genaue Gegenteil eines solchen Ladens, der den
schnöden Akt des Plattenkaufs zu einem Shoppingerlebnis machen möchte.
Detlef Müller ist vielmehr noch Plattenhändler alten Schlags. In
Internetbewertungen seines Ladens finden manche, er sei ein echt super Typ.
Nicht wenige beschweren sich aber auch darüber, dass sie nach einer Frage
angeschnauzt und wie Idioten behandelt worden seien.
Leicht erregbar ist Müller in jedem Fall. Was eine Woche vor der
unfreiwilligen Beendigung seines Lebenswerks auch verständlich ist. Man
fragt ihn, ob es denn gar keine Möglichkeit gäbe, einfach an anderer Stelle
weiterzumachen. Da gibt es nichts, sagt er. Rund 30 Euro Miete pro
Quadratmeter seien inzwischen normal, und andere Plattenläden könnten nur
durchhalten, weil sie noch alte Mietverträge hätten. Und dann wird er
wieder aufbrausend und vermittelt einem erneut das Gefühl, als sei man
selbst der Hauptverantwortliche dafür, dass Groove Records nun dichtmachen
muss.
Eine Woche vor dem Ende ist der Laden halb leergekauft. Die große Wühlerei
ist bereits vorüber, an diesem sonnigen Nachmittag inspiziert gerade nur
ein Kunde das Angebot. Was nicht mehr weggehe für die 20 Prozent Rabatt,
werde er später im Internet verkaufen, sagt Müller. Verramschen werde er in
den letzten Tagen die feinen Platten von Chet Baker, Sun Ra oder Erykah
Badu, die noch in den Regalen stehen, jedenfalls nicht.
In einer Ecke des Ladens hat er eine Art Erinnerungswand eingerichtet. Auf
einem Foto sieht man ihn, fast 40 Jahre jünger, in enger Lederhose direkt
vor seinem Laden stehend. „Hier, das bin ich mit Lynyrd Skynyrd“, sagt er
über ein weiteres Bild, „und das bin ich als Goa-DJ“.
Ein Leben für die Musik wird hier noch einmal Revue passieren gelassen.
Müller zeigt dann noch auf ein Poster von Jimi Hendrix an der Wand. Das
werde er als Letztes abnehmen, sagt er, bevor er seinen Laden schließlich
für immer schließen wird.
31 Aug 2024
## LINKS
[1] /Vinylhaendler-Platten-Pedro-im-Interview/!5794218
[2] /Streit-um-das-bessere-Leben/!5581756
[3] /Rough-Trade-Laden-in-Berlin/!6003012
## AUTOREN
Andreas Hartmann
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
Kolumne Großraumdisco
wochentaz
Schallplatten
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Vinyl
Berlin-Kreuzberg
Schwerpunkt Stadtland
taz Plan
Schwerpunkt Stadtland
Schwerpunkt Stadtland
Schwerpunkt Stadtland
Kolumne Großraumdisco
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kreuzberger Ukuleleladen muss schließen: Abschied vom „hüpfenden Floh“
Ausverkauf im Leleland in der Gneisenaustraße. Ladenbesitzer Harry Truetsch
muss sein Geschäft aufgeben. Es ist einmalig in Europa.
Schallplattenladen auf dem Land: Es muss sich drehen
Ulf Karge verkauft seit 30 Jahren im brandenburgischen Kyritz
Schallplatten. Mit einem neuen Preis für Plattenläden wird das nun
vielleicht gewürdigt.
Kinotipp der Woche: Neue Einstellung
Das Arsenal widmet sich mit den 60er Jahren einer experimentierfreudigen
Phase des japanischen Kinos, in der auch das Samurai-Genre neu erzählt
wurde.
Deutsches Symphonie-Orchester im Zoo: Musik mit Tieren im Hintergrund
Wenn im Zoo klassische Musik gespielt wird, stellen sich schon Fragen:
Haben zum Beispiel Elefanten wirklich ein besonderes Ohr für Béla Bartók?
Gemeinschaftliches Singen in Hamburg: Vom Glück des Singens
Singen wirft immer auch Fragen auf: Ob man als Kölnerin etwa bei Shantys
mittun darf? Klärung findet sich beim Chorsingen im Museum am Rothenbaum.
„A l’Arme“-Festival für ungestüme Musik: Laut ist gut, lauter noch bess…
Statt Schönklang gibt es fiese Störgeräusche zum Verzücken der
Noise-Aficionados. Die haben glückliche Momente beim „A l’Arme!“-Festival
in Berlin.
Craftbeer-Tasting für Frauen: Ohne Männer perlt es besser
Die Craftbeer-Szene ist von Männern dominiert. Ein Laden in Hamburg bietet
Verkostungen exklusiv für Frauen an.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.